Sendungsbewußt

Auf der Suche nach Gott

Gegen Ende des Buches fragt Isabel Hartmann Reiner Knieling: „Machen wir es uns nicht ein bisschen einfach? Überall, wo etwas Vitales spürbar ist, ist Gott.“ Volltreffer, möchte man sagen. Auch wenn ihr Gesprächspartner antwortet: „Es ist so einfach.“

Die beiden Autoren sind ein Liebes- und Ehepaar. Sie arbeiten am Gemeindekolleg der velkd in Neudietendorf, er als Leiter, sie als seine Stellvertreterin. Und sie sind auf der spirituellen Suche nach Gott. Vorgelegt haben sie einen Erfahrungsbericht in Dialogform. Darin werden biographische Erinnerungen, Tagebuchaufzeichnungen, Übertragungen von biblischen Texten und protokollierte Gespräche miteinander verwoben. Am Ende der Kapitel laden sie die Leser zu einer vertieften Auseinandersetzung ein.

Was man über das Leben der beiden erfährt, ist mäßig interessant. Das kann von Vorteil sein, da es den Vergleich mit relativ normalen Lebensläufen ermöglicht. Zugleich hat das Buch Bekenntnischarakter und ist von Sendungsbewusstsein getragen. Der Text strotzt nur so von Begriffen wie Kraft, Energie und Vitalität. Gott erscheint als unsichtbares Kraftzentrum, der gemeinsame Glaube als Kraftnetzwerk.

Schon in Reiner Knielings Erzählungen über Jugenderlebnisse steuert diese Semantik den Text. Frühe Auflehnung gegen den „Kontrollgott“, studentische Kritik an einseitiger theologischer Rationalität und schließlich das aktuelle Bekenntnis: „Für mich ist entscheidend, ob ich mich lebendig fühle. Vital. Frei.“ Isabel Hartmann beschreibt sich als religiös auf eigene Faust, als freie Frau, findet Gott in ihrer Sehnsucht, redet mit ihm Tacheles und sucht ihn in der halben Welt. Beide träumen von „mehr Lebendigkeit in der Kirche“ und leiden „an den Verhältnissen innerhalb des kirchlichen Systems.“

Doch nun haben sie offenbar etwas gefunden, von dem sie rückblickend berichten, dass und wie sie es zuvor gesucht hatten: einander und Gott als universellen Kraftquell. Zu ihren Erfahrungen gehören Träume, das Jesusgebet und ein Gebetskampf beim Fasten. Auch Sünde und Kreuz beschäftigen sie. Doch ein Hauptimpuls der Darstellung scheint aus der Management-Theorie U von Otto Scharmer zu stammen. Leider wird das erst nach und nach deutlich.

Im Schlusskapitel jedoch begegnen die Autorin und der Autor als Begleitende in der Unternehmensentwicklung. Geschildert wird, wie Mitarbeitende im Kreis sitzen und sich „für eine höhere Quelle der Inspiration“ öffnen. Es geht „um die gemeinsame Berufung“. Als Entwickler „spiritueller Prozessdesigns“ begleiten Hartmann und Knieling den „Prozess in der Haltung: Gott als Quelle der Kraft und der Erkenntnis ist mitten unter uns.“

Doch damit nicht genug. Sie sind überhaupt davon inspiriert die, „universelle Energie Gottes in die Zukunftsfragen einzubeziehen“. Sie haben und suchen „Verbündete, die sich am Beitrag zum Ganzen orientieren“. Und sie führen dazu Gespräche in „schöpferischen Dialogen“.

Die Theorie U ist so populär wie umstritten. Der Soziologe Stefan Kühl kritisiert an ihr die gleichzeitige Veränderung von allem und allen, die Aufhebung der Differenzen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Religion, die Aufhebung der Interessenkonflikte in einer Gemeinschaftsideologie sowie eine mit esoterischer Terminologie angereicherte Steuerungsphantasie. Diese Kritikpunkte lassen sich nicht pauschal auf das vorliegende Buch übertragen, sollten aber bei der Lektüre im Hinterkopf sein.

Doch zurück zu Gott: Unterscheidet die lutherische Theologie den verborgenen vom offenbaren Gott, so erleben die Autoren ihn als kosmisch-energetisch und personal. Ist er in der dialektischen Theologie der „ganz Andere“, so kommt er ihnen nah als „Gott in uns, zwischen uns“.

Was Luther von diesem Buch gehalten hätte, ist schwer zu sagen. Karl Barth hätte es mit spitzen Fingern angefasst.


 

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