Gegen das Wegsehen

Ein Netz von vielen zur Integration von Geflüchteten
Gerettete Flüchtlinge  in einem Boot
Foto: dpa / Felipe Passolas

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Diakonie haben zusammen mit anderen Organisationen der Zivilgesellschaft ein neues Programm für die Integration von Flüchtlingen gestartet: "Neustart im Team (NesT)". 500 besonders Schutzbedürftigen soll dabei geholfen werden. Dafür stehen ihnen ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren zur Seite.

Kanada ist ein Vorbild: Dort helfen mittlerweile rund eine Million Menschen als Mentorinnen und Mentoren bei der Integration von Flüchtlingen. Viele davon waren selbst einmal in das nordamerikanische Land geflohen – und beschreiben ihre ehrenamtliche Arbeit nun als „sehr bereichernd“, so schildert es Pfarrer Edgar Born von der „Zivilgesellschaftlichen Kontaktstelle“ (ZKS) am „Institut für Kirche und Gesellschaft“ der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) in Schwerte. „Wir wollen es miteinander schaffen!“, betont er.

„Wir“, das ist in diesem Fall ein Bündnis aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Zu ihnen gehören unter anderem die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Diakonie Deutschland und die EKvW, aber auch der Paritätische Wohlfahrtsverband und die Bertelsmann Stiftung. Sie alle beteiligen sich am Pilotprojekt zur Integration von besonders schutzwürdigen Flüchtlingen: NesT, heißt das Programm. Es steht für „Neustart im Team“. In einem ersten Schritt hat das NesT-Bündnis die Aufnahme von 500 Flüchtlingen zugesichert – sie werden addiert zu den 9 700 besonders schutzwürdigen Flüchtlingen, die Deutschland nach internationalen Absprachen aufnehmen will.

Das Besondere an dem NestT-Programm: Es beruht zu einem großen Teil auf ehrenamtlicher Arbeit – die Kirchen sichern nur die Finanzierung vor allem der Wohnungsmieten für die kommenden zwei Jahre zu. So hat etwa die EKvW einen Fonds in Höhe von 425 000 Euro angelegt, der die Hilfe für 120 Flüchtlinge in der EKvW finanziell absichert. Es werden Gruppen von mindestens fünf ehrenamtlichen Mentorinnen und Mentoren gebildet, die sich dabei um die Integration der Geflüchteten kümmern – dazu erhalten die Helferinnen und Helfer Schulungen, um sie nicht zu überfordern und eine gute Qualität der Hilfe sicher zu stellen. Helfen können sie beispielsweise bei Behördengängen, Schul- und Arztbesuchen.

Die Schutzbedürftigen, die im NesT-Rahmen ausgewählt werden, stammen aus Jordanien, Ägypten, Äthiopien oder dem Libanon kommen – vor allem Familien erhalten die Hilfe, da bei ihnen die Integration als besonders vielversprechend gilt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entscheidet dabei nach einem Vorschlag des Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), wer in Deutschland aufgenommen werden kann. Der Vorteil dieses Verfahrens: So ist sichergestellt, dass alle Aufgenommenen einen sicheren Aufenthaltsstatus haben. Das bedeutet, die Flüchtlinge können sich in Deutschland voll auf ihre Integration konzentrieren, sie haben unter anderem einen Krankenversicherungsschutz und das Recht zu arbeiten.

Der westfälische Oberkirchenrat Ulrich Möller sagte, zwar scheine die Zahl 500 bei etwa 1,4 Millionen Menschen, die besonders schutzbedürftig seien, zunächst einmal klein. Sie könnten allerdings als Stachel gegen das Wegsehen und Verdrängen der Flüchtlingskatastrophe vor den Toren Europas wirken. Die 500, denen man zunächst helfen könne, könnten zu einem „Symbol für die Menschlichkeit“ werden – und mittelfristig sei es vielleicht sogar möglich, auf diesem Wege eines Tages 5.000 oder 50.000 zu integrieren.

Martin Dutzmann, der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik und der EU, betonte, mit diesem Pilotprojekt nehme die Zivilgesellschaft dem Staat keine Aufgabe ab, für die er eigentlich die Verantwortung habe. Aber man helfe mit der eigenen Expertise dem Staat, damit es nicht mehr zu den teilweise katastrophalen Verhältnissen komme wie vor vier Jahren, als etwa in Berlin sowohl das Land wie die Zivilgesellschaft ob der vielen Flüchtlingen überfordert waren.

Ulrich Lilie, der Präsident der Diakonie Deutschland, unterstrich, die humanitäre Katastrophe der ertrinkenden Flüchtlinge im Mittelmeer auf dem Weg nach Europa sei ein „Armutszeugnis für das Europa der Menschenrechte“. Mit dem Programm NesT zeige ein Bündnis der Zivilgesellschaft, dass es nicht die Politik anklagen wolle, sondern bereit sei, selbst Verantwortung zu übernehmen, um diese Katastrophe zu beenden.

Eine der zukünftigen Mentorinnen wird die 31-jährige Syrerin Jehan Awan sein. Sie musste aus ihrer Heimat fliehen und lebt nun mit ihrer Familie, einem Mann und zwei kleinen Kindern, seit vier Jahren in Schale-Hopsten bei Osnabrück. Sie sei mittlerweile „sehr gut“ integriert in Schale, auch dank der Hilfe von einzelnen deutschen Familien. Da sie neben Deutsch auch Arabisch und Kurdisch spreche, glaube sie, als Mentorin hilfreich sein zu können. Denn sie wolle mit dem FesT-Programm nach all der Hilfe, die sie in der Bundesrepublik erfahren habe, „Gutes an Deutschland zurück geben“.

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