Gert Westphal:
Die Jahreszeiten in der deutschen Dichtung.
der Hörverlag, Hamburg 2019, 4 CDs.
Gert Westphal, die Legende unter den Sprechern, lässt in diesem Hörbuch ein Lieblingsmotiv deutscher Dichter lebendig werden, die Jahreszeiten. Liveaufnahmen aus den Jahren 1989–1991 lassen keinen Zweifel, dass Westphal die große Kunst der Rezitation beherrschte, wie nur wenige. Und wenn man sich darauf einlassen kann, findet sich hier im Überschwang der großen Gefühle, der dichterischen Kunstsprache, auch der Charme der vergangenen Jahrhunderte.
Mit einem „Best of“ der Dichtung reist der Hörer mit Gedichten von Walther von der Vogelweide über Goethe zu Hölderlin, von Heine bis Rilke, durch den Ablauf des Jahres vom Osterspaziergang, zu Storms Sommermittag und Mörikes Septembermorgen bis in Eichendorffs Winternacht. Aber nicht nur Gedichte, auch Prosatexte sind dabei, Heines Harzreise, Andersens Märchen von der Eintagsfliege oder Fontanes Briefe mit Impressionen aus der Sommerfrische bringen Lebendigkeit und schaffen Nähe, während die Sprache der Lyrik den Hörer oft auf Distanz hält.
Dazu schiebt der 2002 verstorbene Westphal immer wieder eigene Gedanken ein, erklärt das Entstehen, den Wandel der Jahreszeiten und gibt begleitende Texte zu den Dichtern weiter. Und am Ende gibt es noch die fünfte Jahreszeit – nein, nicht den Karneval, sondern eine sehr spezielle, nur wenige Herbsttage dauernde, laut Tucholsky: „Es ist die Zeit, in der ältere Herren sehr sentimental werden – es ist nicht der Johannistrieb, es ist etwas andres. Es ist: optimistische Todesahnung, eine fröhliche Erkenntnis des Endes.“ Das alles in vier Audio-CDs mit knapp fünf Stunden Spieldauer und dazu ein erklärendes Booklet.
Angelika Hornig
Angelika Hornig ist Journalistin und beschäftigt sich vor allem mit kulturellen Themen. Sie lebt und arbeitet in Minden.