Die Macht als Diener

Die Brutalität in der Politik hat offensichtlich zugenommen
Gessler Autorenbild
Foto: Rolf Zöllner

Berühmte Worte Jesu an seine Jünger: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an“, sagt er, Markus zufolge. „Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“

Diese rund 2 000 Jahre alten Sätze würden – ähnlich den Aussagen Jesu zur Feindesliebe – bis heute nicht so häufig zitiert werden, wenn sie nicht etwas Weltfremdes hätten. Denn sie verlangen für den Gebrauch von Macht unter Christen und wohl auch in der Politik fast Unmögliches: Nutze die Macht als ein Diener, nehme Dich selbst zurück, zeige Anstand.

Das ist so ungefähr das Gegenteil der berühmten Sentenz, die unter anderem der ziemlich grobe alte Politik-Haudegen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) schon vor Jahren zustimmend zitiert hat: „Wem es leicht zu heiß wird, der sollte nicht in die Küche gehen.“ Austeilen und einstecken muss man können in der Politik, das ist klar, und zwar ordentlich.

Der SPD-Chefin und Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles ist es kürzlich zu heiß geworden, obwohl auch sie es in langen Jahren bis in die heißeste Ecke der Politik geschafft hat. Sie ist gescheitert mit ihrer Politik, ja, aber weggemobbt wurde sie auch. Und sie hat das brutale Spiel lange Zeit mitgemacht.

Der SPD-Politiker Franz Müntefering ist über Nahles gestolpert, Sigmar Gabriel ebenso. Berüchtigt ist der Satz, den sie Martin Schulz über Gabriel gesagt haben soll: „Entweder du killst ihn, oder er killt dich.“ Dass ausgerechnet Sigmar Gabriel, dem jüngst Anteil am Sturz von Nahles nachgesagt wurde, danach für seine Partei „eine Entgiftung“ forderte, entbehrt nicht einer zynischen Komik. Aber die Frage bleibt: Ist Politik mit Anstand und Respekt, ohne Zynismus und im Sinne Jesu, überhaupt möglich?

Andrea Nahles hat sich öffentlich stets zu ihrem christlichen Glauben bekannt, er kommt sogar im Titel ihres zehn Jahre alten, autobiographisch gefärbten Buches vor: Frau, gläubig, links: Was mir wichtig ist, heißt es.

Wie sie diesen Anspruch an sich selbst im Politikalltag verwirklichte, das können wohl nur die beurteilen, die ihr sehr nahe waren.

Immerhin spricht für sie, dass das größte Alphatier der deutschen Politik, Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die selbst ungezählte konkurrierende Männer weggedrängt hat, Nahles am Ende ein ehrendes Attribut attestierte: „einen feinen Charakter“.

Politik war sicherlich immer brutal, da es um Macht über Menschen geht – und nur Zyniker und Despoten mit ihr spielen. Doch es könnte sein, dass die Brutalität sogar noch zugenommen hat: durch die Verrohung in den Sozialen Medien, durch die Möglichkeit ständiger Reproduktion längst vergangener Festlegungen und Fehleinschätzungen des politischen Personals. Und vielleicht auch dadurch, dass in allen Volksparteien die Grundlage eines gemeinsamen Wertekanons sowie biographisch wie ideologisch gegründeter Solidarität bröckelt.

Wenn nichts mehr bleibt als der Kampf um die Macht, ist der Verlust von Anstand und Respekt fast zwangsläufig. Um so wichtiger sind Anforderungen an die Politik, wie sie nicht zuletzt Jesus gestellt hat. Denn ohne sie zerstört sich die Demokratie selbst.

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