Ein weites Feld

Über Religion und Literatur

Bernhard Lang: Religion und Literatur in drei Jahrtausenden.
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2018,
764 Seiten, Euro 79,–.

Sofern sich Germanisten interessiert über biblische Texte beugen, werden sie von Theologen oft geringschätzig vertrieben. Andersherum staunt man immer wieder, dass das Selbstverständnis der Theologen für die Deutungshoheit über die (literarische) Welt keine Grenzen kennt. Jede feinsinnige Autorin, jeder sprachgewandte Rockpoet, der an die Oberfläche der Berühmtheit kommt, wird mit der Lupenbrille auf mögliche religiöse Bezüge hin gedreht und gewendet, ungefragt, aber im Handumdrehen in die eigene Kartei aufgenommen und ist fortan für jede schlechte Predigt gut. Dass es auch seriöser und tatsächlich gewinnbringend geht, hat Karl-Josef Kuschel mit seiner literarischen Bilanz Jesus im Spiegel der Weltliteratur (1999/2010) unter Beweis gestellt, in der er acht deutschsprachigen und neunzehn internationalen Autoren folgt und in beeindruckend klaren Einführungen deren Umgang mit der Jesus-Geschichte transparent macht – etwa bei Ernest Hemingway, Günter Grass oder Anna Seghers. Dass und wie die Germanisten selbst zu lesen vermögen, hat Wolfgang Braungart 2016 mit seiner Pflichtlektüre für alle Predigerseminare „Literatur und Religion in der Moderne“ gezeigt. Nun hat Bernhard Lang eine nächste und die bisher wohl umfangreichste Enzyklopädie dieser Art vorgelegt „Religion und Literatur in drei Jahrtausenden“.

Hundert Bücher stellt er vor, die er wohlweislich nicht als die hundert Bücher betitelt hat, um die Zeigefinger auf alles Fehlende nicht zu groß und übermächtig werden zu lassen. Natürlich gibt es die trotzdem, und wie Karl-Josef Kuschel seinerzeit wird sich gewiss auch Bernhard Lang anhören müssen, was alles fehlt. Wie gerne wären wir alle der dringend neue Bundestrainer und wüssten die erfolgreichste Aufstellung. Und wie schnell können wir alle händeweise aufzählen, was uns in diesem Sammelwerk fehlt und in unserer Schatzkiste des literarischen Olymps mit ikonografischem Stecken garantiert Platz gefunden hätte. Aber muss das sein? Eins ist doch sicher: Eine Auswahl ist eine Auswahl. Sie ist immer individuell.

Womöglich wäre der Autor tatsächlich besser beraten gewesen, in Ansätzen weniger zu wollen und sich ganz und klar auf die Gattung des Romans zu beschränken, damit die Felder der Lyrik und des Dramas frei zu lassen, um diese vielleicht noch einmal gesondert in den Blick zu nehmen oder anderen zu öffnen. Sieht man aber davon ab, hat Bernhard Lang klug gewählt und seinen Ansatz konsequent verfolgt. Er eröffnet mit Hilfe klarer Kategorien, die er in acht Kapiteln durch die Buchgeschichte führt, und mit präzisen Inhaltsangaben und Kurzinterpretationen, die die Werke vorstellen, einen kenntnisreichen Kosmos der religiös durchwirkten Dichtung der Welt. Dafür gruppiert er die Werke in die großen literarischen Werke der Dichtung (Nietzsches Zarathustra), die Heiligen Schriften (Offenbarung) und die aufklärerische Sachliteratur (Freuds Zukunft einer Illusion). Zugegeben: Auch die sogenannten Heiligen Schriften selbst detailliert in diese Kanon einzubeziehen irritiert zunächst. Warum treibt Lang Basisschrift und Reflexionswerk unter ein Dach? Wird der sehr sprachklare Autor hier doch unklar? Im Detail erweist sich das als völlig konsequent. Konsequent ist Lang auch, indem er Autoren zu Wort kommen lässt, die manchem vordergründigen akademischen Anspruch nicht genügen, aber doch deutlich mehr zu sagen haben, als deren Horizont reicht – ich denke an Hermann Hesse, an Max Frisch oder Jean-Paul Sartre und deren dichterlebenslanges Suchen und rebellisches Aufbegehren, das sich, statt sich hinter intellektuellem Scharfsinn zu verschanzen, über die Wirklichkeit her- und in dieselbe aufgemacht hat, wovon immer neue Generationen profitieren. Bernhard Langs hundert Bücher sind ein weites Feld – und ein bemerkenswerter und inspirierender Beitrag, sie zu ergründen und die Liste fortzuschreiben.

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