Wachstum

Blumen- und Seelen-Gärtner

Anmerkungen zu der Monografie Rilke als Gärtner kommen nicht aus ohne einen Hinweis auf den ebenfalls in der Insel-Bücherei erschienenen Zwillingsband Rilkes Tiere, herausgegeben von Angelika Overath und Manfred Koch. Vor allem aber nicht ohne einen sich verneigenden Satz vor Sandra Richters fundierter, biografisch umfangreicher Vorarbeit Rainer Maria Rilke oder Das offene Leben. Sie räumt detailreich nüchtern und empathisch ehrlich auf dem vielfach überladenen Rilke-Altar auf, indem sie der Verflechtung von Werk und Autor mit der Idealisierung eines Künstlers und der suggestiven Wirkmächtigkeit seiner Sprache ein Ende macht und diese so der plakativen Überhöhung und mythischen Einverleibung durch romantisierende Glorifizierung entreißt.

Dabei ist Sandra Richters Entthronung Rainer Maria Rilkes alles andere als eine Abrechnung mit dem Dichter. Sandra Richter stellt eine Leiter an den Dich­terhimmel und ermächtigt Rilke, für sich selbst zu sprechen. Ihr Blick auf dieses Dichterleben ist unverblümt. Gleichwohl nimmt sie alles Blühen, alle Größe und alles Scheitern, alle Schönheit der Sprache wie ihre rhythmisch vollendete Stilisierung wahr und ist so klug, sie nicht allein mit heutigen Augen zu überfliegen und der Mode besserwissender Bewertung und Zuschreibung zu unterwerfen. Sondern sie bezieht immer auch Zeit und Wirklichkeit Rilkes ein und beleuchtet sie, respektvoll unaufdringlich. So bindet sie in ihrer Darstellung den Menschen Rilke mit seinen Wünschen und Vorstellungen, seinen Eitelkeiten und Ängsten ein.

Neue Ehrlichkeit

Das ist eine neue Ehrlichkeit, eine Offenbarung, die Raum lässt, ohne ihn gleich wieder zuzustellen. Wem etwas an Rilke und seiner Dichtung liegt – und das will ich gern unterstellen oder dafür werben –, der lese zunächst diese Biografie.

Fürs Gärtnern ist zyklisch immer Zeit – so auch für diesen kleinen Band, der ästhetisch und inhaltlich ganz in die Reihe der Insel-Bücherei passt und den Dichter und seine Zeit noch einmal in die Gartenlaube lädt. Mit abgestreiften Handschuhen, gesäuberter Rosenschere, bei frisch gebrühtem Tee. Hier erscheint der zeitlebens Ruhelose ruhig, als würden die eigenen Verse zur erfahrenen Gewissheit: „Rast! / Gast sein einmal. / Nicht immer selbst seine Wünsche / bewirten mit kärglicher Kost. / Nicht immer feindlich nach allem fassen; / einmal sich alles geschehen lassen / und wissen: / Was geschieht, ist gut.“

Schon die Einführung bestätigt den Garten für Rilke als Erholungs- und Kraftort, der aber noch mehr ist als ein Ausgleich: Er wird Äquivalent zum eigenen Schaffen, Anschauungs- und Lernort. Und das Gärtnern wird zu einer unmittelbar tätigen, praktischen Kunst, die Wesentliches voraussetzt: Hören und Sehen auf den Zyklus der Jahreszeiten und Wissen um die Bedürfnisse der Pflanzen. Er vergleicht den Beruf mit dem Literaturbetrieb, sieht im Baumbeschnitt und in der Blumenpflege, im Jäten und Düngen die Arbeit von Redaktion und Lektorat und erkennt und erwartet eine hohe Professionalität, damit ein Garten auch ein solcher ist: gepflegt und gehegt: kultiviert, das Natürliche in Form und zu Schönheit und Nutzen bringend.

Das verlangt Zeit für Wachsen und Werden – und damit Kontinuität und eine Sesshaftigkeit, die Rilke nicht gewohnt ist und erst lernen muss. Dafür bildet er sich fachlich, aber auch literarisch auf den traulichen Pfaden der Lyrik weiter – etwa im gezielten Lesen von Naturlyrik wie Johann Gaudenz von Salis-Seewis’ Seelenspiegel „Bünder Nachtigall“, in der auch dessen berühmtes, volksliedartiges Herbstgedicht „Bunt sind schon die Wälder“ zu finden ist. Sandra Richter und Anna Kinder zeigen in diesem Büchlein den Seelen-Gärtner, der Rilke als Autor Vielen war und ist, als Blumen-Gärtner, der das Formen und Gestalten an der Wind und Wetter ausgesetzten Wirklichkeit des eigenen Gartens noch einmal neu begreift.

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