Religiöse Rechte

Christentum und Extreme

Angesichts der politischen Entwicklungen in den vergangenen Jahren überrascht es nicht: Auf der Suche nach öffentlichen Einordnungen und Positionierungen zur extremen Rechten wird man bei den evangelischen und katholischen Kirchen in Deutschland mittlerweile sehr schnell fündig. Und auch der kirchliche Diskurs greift Themen wie die Gefährdung und den Schutz der Demokratien in Deutschland, Europa und weltweit immer häufiger und immer nachdrücklicher auf (siehe zum Beispiel das Schwerpunktthema „Demokratie in Gefahr“ in zeitzeichen im August 2025).

Umso wichtiger ist es deshalb, dass sich die vier Herausgeber:innen des Buches Topoi und Netzwerke der religiösen Rechten nun daran machen, den wissenschaftlich bisher eher schwach beleuchteten Zusammenhang von Christentum und Rechtsex­tremismus (und vielen in der Nähe befindlichen Phänomenen) eingehend in den Blick zu nehmen. Unterstützt von 15 weiteren Autor:innen tun dies Hans-Ulrich Probst, Dominik Gautier, Karoline Ritter und Charlotte Jacobs aus theologischer und religionssoziologischer Perspektive. Sie richten sich dabei an ein außerordentlich interdisziplinäres Publikum.

Analyse und Reflexion

Der Sammelband teilt sich in zwei inhaltliche Schwerpunkte zur Analyse und Reflexion der religiösen Rechten auf: internationale Vernetzungen und verbindende Feindbilder. Anhand von vielfältigen Beispielen wie der globalen Vernetzung der Russischen Orthodoxen Kirche, den Aktivitäten von christlich-politischen Influencern oder dem Rechtspopulismus als Herausforderung für den Religionsunterricht in Deutschland und Polen können die Autor:innen dadurch zum einen Hinweise auf Spezifika des deutschsprachigen Raums sowie internationale Kontinuitäten geben. Mithilfe des sinnvoll gewählten Analyseinstruments des Topos werden zum anderen typische und gemeinsame inhaltliche Bezugspunkte auf der großen Landkarte der religiösen Rechten aufgezeigt. Dazu zählen die Topoi des Anti-Genderismus, des identitären Nationalismus, dualistische Welt- und Lebensmuster sowie die Verbreitung von Verschwörungserzählungen. Sie alle tragen seit jeher zum inhaltlichen Grundbestand der extremen Rechten bei und erfahren nun durch die religiöse Rechte eine theologische Akzentuierung oder sogar Aufwertung.

Eine grundsätzliche Herausforderung der Frage nach „verbindenden Feindbildern zwischen extremer Rechter und Christentum“ und damit auch des gesamten Sammelbandes ist das diffuse Untersuchungsfeld. In diesem sind die Grenzen zwischen christlich-konservativ und christlich-rechtsextrem an einigen Stellen bisher nur schwach konturiert und werden von aktuellen Ereignissen sowie Treibern wie der Digitalisierung oder Globalisierung immer wieder neu angefragt. Dieser Umstand trägt zur großen Faszination für Forschungsprojekte wie den „Topoi und Netzwerken der religiösen Rechten“ bei. Gleichzeitig ist die Lektüre von einigen Artikeln des Buches deshalb recht voraussetzungsreich und öffnet den Raum für weiterführende Fragen. Kapitel oder Übersichten, in denen grundlegende Begriffe, Diskursverläufe und Akteure eingeführt und (sofern möglich) abschließend bewertet werden, wären hier für das interdisziplinäre Publikum möglicherweise hilfreich gewesen.

Unabhängig davon ist die Lektüre des Buches vor allem aufgrund der zahlreichen interessanten Fallbeispiele und der unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen sehr zu empfehlen. Das Projekt ist außerdem ein wichtiger Beitrag für die weitere wissenschaftlich-analytische Auseinandersetzung mit dem Zusammenkommen von religiös-christlichen Überzeugungen und extrem rechten Einstellungen. Insbesondere die einleuchtende konzeptionelle Verbindung von Topoi und Netzwerken liefert hierbei wichtige Impulse und lässt weitere spannende Erkenntnisse erwarten.

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Foto: Nico Herzog

Maria Sinnemann

Maria Sinnemann ist Referentin für Demokratiebildung und -förderung bei der Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers.

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