Entdeckung

Sakralräume in Berlin

Mit epochaler Nonchalance wurde der preußische König Friedrich II. zum Begründer einer modernen Religionskultur: „Alle Religionen Seindt gleich und guht wan nuhr die leute so sie profesiren Erliche leute seindt, und wen Turken und Heiden kahmen und wollten das Land Popliren, sow wollen wier sie Mosqueen und Kirchen bauen.“ Diesen wunderbaren Ausspruch, hinter dem allerdings auch eine gute Portion Desinteresse, wenn nicht Geringschätzung institutionalisierter Religion steckt, zitiert die Berliner Theologin Gerdi Nützel in ihrer Habilitationsschrift Religiöse Pluralisierung im öffentlichen Raum. Diese versucht, die Geschichte und Gegenwart religiösen Zusammenlebens baugeschichtlich zu fassen.

An den Sakralbauten unterschiedlicher Konfessionen und Religionen in Berlin und Brandenburg zeigt sie, wie friedlich oder konfliktiv, unauffällig oder sensationell, innovativ oder selbstverständlich Religionsgemeinschaften in der Stadt, aber auch auf dem Land zusammengelebt haben und zusammenleben. Das ist theologisch fundiert, baugeschichtlich informiert, vor allem aber sehr anschaulich.

Weite Welt

Es öffnet sich eine weite Welt des Religiösen: vom Evangelischen über das Katholische und Orthodoxe, das Jüdische, Muslimische, Alevitische, Buddhistische, Hinduistische, über die Sikhs, die Bahai bis zum Candomblé. Jedes religiöse Gebäude im ehemaligen preußischen Kerngebiet steht für eine religiöse Idee, aber auch für eine Migrationsgeschichte.

Dass neue Religionen sich feste Gebäude errichten, zeigt, dass es nie „Gastarbeiter“ waren, die kamen, sondern Menschen, die hier dauerhaft arbeiten, leben und eben auch beten wollten.

Gerdi Nützel gliedert diese Geschichte in fünf Phasen. Die erste begann 1671, als Kurfürst Friedrich Wilhelm einer Gruppe von 50 jüdischen Familien aus Wien den Zuzug erlaubte. Weitere religiöse Minderheiten folgten, um das Land mitaufzubauen. Die zweite Phase begann 1788 mit der schrittweisen Etablierung des Prinzips der Religionsfreiheit – im Rahmen des Staatskirchentums. Dies erlaubte die Integration vieler Neubürger, die für die Industrialisierung gebraucht wurden.

Anregende Plastizität

Die dritte Phase begann 1919 mit dem Ende der Staatskirche, was anderen Religionen neue Entfaltungsmöglichkeiten eröffnete, bis das NS-Regime alles zerstörte. Die vierte Phase begann 1945: In West-Berlin wurde das Weimarer Modell wieder eingeführt, in Ost-Berlin und Brandenburg regierte sozialistische Religionsfeindlichkeit. In der fünften Phase, die 1990 begann, befinden wir uns immer noch. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass klassische Religiosität ihre Dominanz verliert und neue Akteure öffentlich sichtbar werden.

Die Grundlinien dieser Entwicklungen mögen bekannt sein, sie erhalten aber eine überaus anregende Plastizität und Konkretheit, wenn man sie baugeschichtlich nachzeichnet. Eigentlich ist Nützels Habilitationsschrift eine Stadt- und Landkarte, mit der man sich selbst auf Streifzüge durch die Hauptstadt und ihr Umland machen sollte. Ganz anders als beim Studium religionssoziologischer Statistiken würde einem dann aufgehen, wie sehr die Religionslandschaft im Wandel ist – aber auch, dass dies keineswegs eine neue Entwicklung ist, sondern eine sehr lange Vorgeschichte hat. Das könnte einen vor aktualistischen Aufgeregtheiten bewahren. In den allermeisten Fällen sind die religiösen Baugeschichten friedlich verlaufen und Teil eines normalen Alltags geworden.

Doch auch wenn Nützels Arbeit von emphatischer Sympathie für religiöse Konvivenz geleitet ist, spart sie Ambivalenzen, Krisen und Konflikte keineswegs aus. Wer sich also auf eine Entdeckungsreise durch die Geschichte und Gegenwart unserer Religionskultur begeben möchte, sollte dieses Buch einpacken.

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Foto: EKDKultur/Schoelzel

Johann Hinrich Claussen

Johann Hinrich Claussen ist seit 2016 Kulturbeauftragter der EKD. Zuvor war er Propst und Hauptpastor in Hamburg.

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