Was ein theologisch-politisches Thema inmitten des alljährlichen Sommerlochs hätte sein können, wurde zu einer – nicht nur auf dem evangelischen Kirchentag im Mai in Hannover – engagiert geführten Debatte in der medialen Öffentlichkeit. Die Äußerungen der Bundestagspräsidentin Julia Klöckner zum Verhältnis von Kirche und Politik schlugen mediale Wellen (vergleiche zz 6/2025).
Nicht nur aufgrund aktueller Diskussionen scheint die (christliche) Theologie einmal mehr aufgerufen zu sein, ihren politischen Anspruch, die theologische Begründung politischer Positionen und ihre emanzipatorisch-kritischen Haltungen innerhalb der pluralen, demokratischen Gesellschaft zu reflektieren. Diesem Ruf der Zeit nahmen sich nicht nur zwei wissenschaftliche Tagungen in Köln und Tübingen an, sondern auch die Herausgeber des nun vorliegenden Bandes Politische Theologien. Aufbrüche und Neukonzipierungen.
Dabei bildet der Diskurs um die „Neue politische Theologie“ (Johann Baptist Metz, Jürgen Moltmann, Dorothee Sölle) den Diskussionsrahmen. Der Band vereint verschiedene theologische Disziplinen und Strömungen und stellt die Diskussion um einen erneuten politischen Aufbruch in der Theologie ökumenisch dar.
Dies gelingt in fünf Sektionen, welche das Thema der politischen Theologie breit in insgesamt 27 Beiträgen entfalten. Die erste Sektion vereint dabei Beiträge mit „Theologische[n] und wissenschaftstheoretische[n] Impulsen“, die unter anderem Verbindungslinien zwischen politischer und öffentlicher Theologie ziehen. Ausgehend von dieser Grundlegung befassen sich die Beiträge der zweiten Sektion mit „postkoloniale[n] und befreiungstheologische[n] Perspektiven“. Hiermit ist nicht nur eine Brücke hin zur äußerst aktuellen Debatte um die Überwindung von Kolonialismus und Rassismus in einer pluralen Einwanderungsgesellschaft geschlagen, sondern auch die internationale Dimension politischer Theologien aufgezeigt. Den Blick vom Globalen zurück ins Europäische lenkt die dritte Sektion des Bandes, in der Beiträge versammelt sind, die sowohl den Entstehungskontext der Theologien Metz’ und Moltmanns befragen, als auch ihren Zielpunkt in den pluralen europäischen Gesellschaften finden.
Besonders hervorzuheben ist sicherlich die vierte Sektion, welche sich nicht nur feministischen oder ökologischen Fragen stellt, sondern ökofeministische und damit genuin intersektionale Perspektiven entwirft. Hier wird die theologische Bearbeitung ökologischer Fragen, wie des nach wie vor virulenten Problems der Geschlechtergerechtigkeit für Theologie, Kirche und Gesellschaft deutlich.
In der abschließenden fünften Sektion sind Beiträge zu „Christentum, Kirche und Gesellschaft“ versammelt. Die Autor:innen diskutieren hier intensiv die Verhältnisbestimmung von politischer Theologie und Marxismus, den Kapitalismus und die Frage der Möglichkeiten und Grenzen politischer Theologien.
Die Beiträge – dies betonen auch die Herausgeber in ihrer Einleitung – orientieren sich dabei klar an den politischen Theologien Metz’ und Moltmanns, ohne jedoch diese einfach zu wiederholen, nachzusprechen oder in deren Diskussionszusammenhängen stehen zu bleiben. Sie befragen vielmehr diesen Traditionszusammenhang ökumenischer Theologie und führen ihn mit den gegenwärtigen politisch-gesellschaftlichen Fragen (Rassismus, Klassismus, Ökologie und Feminismus) produktiv zusammen, ohne jedoch die für die politischen Theologien leitende Idee der „Option für die Marginalisierten“ aus dem Blick oder der Diskussion zu verlieren.
Gerade die thematische, konfessionelle wie fachliche Breite des Bandes zeichnet ihn aus. Wer theologisch klar fundiert kritisch auf Um- und Abbrüche der gegenwärtigen (Welt-)Gesellschaft blicken will, wird in diesem Band fündig. Nicht nur für die akademische Theologie, sondern weit über diese hinaus eine Empfehlung.
Lukas Johrendt
Lukas Johrendt ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Evangelische Theologie an der Universität der Bundeswehr in Hamburg.