Weich und wichtig

Biobaumwolle als Wirtschaftsfaktor in Kirgisistan
Baumwolle
Foto: Jörg Böthling

Die viel zitierte Seidenstraße führt durchs bergige Kirgisistan. Über diese gelangt auch die Baumwolle, die hier erzeugt wird, nach Europa. Zahlreiche Farmer haben mittlerweile auf Biolandbau umgestellt. Doch sie kämpfen mit vielen Herausforderungen.

Obschon der Oktober angebrochen ist, sticht die Sonne in Bazar-Korgon im Westen von Kirgisistan noch heftig. Unter seinem Kalpak, der traditionellen kirgisischen Kopfbedeckung, perlen auf der wettergegerbten Stirn von Nadir Yunussaliev Schweißtropfen. Er steht federnd auf einem Baumwollhaufen. Geschickt verteilt er die weißen Fasern mit einer speziellen Forke, deren Stiel um 90 Grad zu den Zinken gebogen ist. Damit greift er die weiche, wollige Masse. Ein kleiner Transporter bringt frische Rohware auf das Gelände der ehemaligen sowjetischen Kolchose, lässt sie wiegen und testen, damit keine gentechnisch veränderte Baumwolle dabei ist. Jenishbek Samshir ist Mitglied der „Bio Farmer“ Agricultural Commodity Service Cooperation (ACSC). Er liefert heute knapp eine Tonne frisch geerntete Bio-Baumwolle. Bezahlt wird cash, sofort vor Ort.

Wie wichtig diese rasche Transaktion ist, zeigt sich auf dem Baumwollfeld in der Nähe des Dorfes Jash Lenin. Am Horizont ragt eine mächtige Gebirgskette empor, die Spitzen sind von Schnee bedeckt. Eine Kuh muht monoton. Lerchen singen in der Höhe ihre Lieder. Ein Dutzend Frauen pflücken. Bunte Kopftücher schützen die Erntenden vor der Höhensonne in 1 000 Metern über dem Meeresspiegel. Schnell füllen sich ihre Tragebeutel, die Frauen bekommen Akkordlohn, umgerechnet zwölf Eurocent pro Kilogramm Erntegut. Sie beginnen um sieben Uhr morgens, beenden ihre Arbeit um 19 Uhr, kurz vor Sonnenuntergang. Eine geübte Pflückerin schafft bis zu 150 Kilogramm pro Tag, am Abend überreicht der auftraggebende Bauer Koshmatov Suyunbek den Tageslohn.

Ökologische Standards

Suyunbek ist wie Samshir Genosse der ACSC. Er besitzt eine Ackerfläche von vier Hektar, die in der Sowjetzeit Teil einer großen Kolchose war. Suyunbek koordiniert in seinem Dorf auch den Anbau von 20 weiteren genossenschaftlich organisierten Biobaumwollanbauern. Seit vier Jahren arbeitet er nach ökologischen Standards. „Wir hatten früher den Schrank voller Chemikalien“, blickt er selbstkritisch zurück. Der Griff zum Giftschrank ist nun jedoch endgültig vorbei. Dafür rücken Aspekte wie Bodengesundheit, organische Düngung, Fruchtwechsel, biologische Bekämpfung von Schädlingen sowie eine konstante Wasserversorgung in den Vordergrund. Wie wichtig für ihn die Cash-Crop-Baumwolle ist, daran lässt Suyunbek keinen Zweifel. „Die Hälfte unseres Betriebseinkommens generieren wir durch Baumwolle“, unterstreicht er.

Es gibt in der gesamten kirgisischen Baumwollwelt nur noch einen einzigen maschinellen Baumwollernter. Der Rest ist reine Handarbeit. Die Arbeitskräfte sind schwer zu finden.
Foto: Jörg Böthling

Es gibt in der gesamten kirgisischen Baumwollwelt nur noch einen einzigen maschinellen Baumwollernter. Der Rest ist reine Handarbeit. Die Arbeitskräfte sind schwer zu finden.

Manap Yusupov sitzt zufrieden am Feld­rand. Der Vater von vier Kindern bewirtschaftet im Dorf Arkalyk mit seiner Familie 1,5 Hektar, wovon er in diesem Jahr 1,3 Hektar mit Baumwolle bestellt und den Rest mit Mais bepflanzt hat. Neben dem Ackerbau nennt Yusupov 40 Schafe, sechs Kühe, eine kleine Schar Hühner und ein Pferd sein Eigen. Die Kühe bringen zusammen täglich rund 30 Liter Milch, die die Familie für den Eigenbedarf nutzt und überdies auf lokalen Märkten verkauft. „Wir sind Ökobauern“, so Yusupov, „weil wir zuerst auf uns selbst achtgeben. Wir wollen gesunde Lebensmittel konsumieren, wir wollen in einer gesunden Umwelt leben“, bringt es der 64-Jährige auf den Punkt. Allerdings macht eine ökologische Arbeitsweise viel Arbeit. „Nicht nur die Ernte kostet viel Lohn, auch die Unkrautbekämpfung mit vier Hackrunden steht auf der Kostenseite zu Buche“, sagt er. „Deshalb brauchen wir mindestens 80 bis 90 SOM (80 bis 90 Eurocent) pro Kilogramm, um die Kosten wirklich abdecken zu können. Leider bekommen wir aber im dritten Jahr in Folge relativ bescheidene Preise. So liegen wir in diesem Jahr bei 67 Som, das ist definitiv zu wenig“, klagt Yusupov. Er fordert, dass die kirgisische Baumwolle mehr als bisher im Binnenland weiterverarbeitet werden sollte. „Wir brauchen Spinnereien, wir brauchen Webereien. Damit würde die Wertschöpfung in Kirgisistan bleiben“, sagt Yusupov. Er erinnert sich ohne Groll an die Sowjetzeit zurück. Damals arbeitete er mit etwa tausend Anderen in der Kolchose „Frunse“, die 5 000 Hektar Land bewirtschaftete. Die damals nicht sonderlich nachhaltig angebaute Baumwolle wurde maschinell gepflückt. Heute dagegen gibt es in der gesamten kirgisischen Baumwollwelt nur noch einen einzigen maschinellen Baumwollernter. Der Rest ist reine Handarbeit.

Uralte Tradition

Die entsprechenden Arbeitskräfte zu finden, ist nicht immer einfach. „Manchmal kommen die Frauen von Dörfern zum Pflücken, die 15 Kilometer entfernt liegen“, berichtet Yusupov. Der Mangel an verfügbarer Arbeitskraft ist für ihn tatsächlich ein viel größeres Problem als die Zertifizierung. Die sei zwar aufwändig und nicht gerade billig, aber durchaus machbar. Deshalb wäre er froh, wenn in Zukunft überall moderne Erntemaschinen zur Verfügung ständen. Auch brauche es dringend bessere Saaten für robustere, ertragreichere Pflanzen.

Baumwolle
Foto: Jörg Böthling

Der Anbau von Baumwolle hat in der Region und in den Tälern rund um die Stadt Jalal-Abad bis über die Grenze in die endlosen Weiten des benachbarten Usbekistans eine uralte Tradition. Schon lange vor der Sowjetunion wurde in dieser zentralasiatischen Region die Faserpflanze kultiviert und zu verschiedenen Textilien gefertigt. Über die Seidenstraße gelangte einst kirgisische und usbekische Baumwolle nach Europa – bis heute. So wird die Biobaumwolle der kirgisischen Biofarmer über Kasachstan und Russland zur lettischen Hauptstadt Riga transportiert.

Dort wird es vom Abnehmer, der Gebr. Elmer & Zweifel GmbH & Co. KG, zwischengelagert. Die kleine mittelständische Bio-Textilfirma aus dem baden-württembergischen Bempflingen bezieht Biobaumwolle aus Uganda, aus den USA und Kirgisistan. Sie verfügt über eigene Fertigungsstätten und kooperiert in einem engen Netzwerk von weiterverarbeitenden Spinnereien, Garnveredlern, Strickereien und Webereien in Deutschland, Tschechien, Türkei, Italien und Portugal. Dabei wird die kirgisische Rohbaumwolle entweder im nordrhein-westfälischen Velen oder in Istanbul versponnen. Später wird ein Teil davon zu Biotextilprodukten konfektioniert und unter der Marke Cotonea in den (Online)-Handel gebracht. 

Baumwolle
Foto: Jörg Böthling

Gegründet wurde die Genossenschaft 2004 mit finanzieller Unterstützung der schweizerischen Hilfsorganisation Helvetas. Die Absicht war klar definiert: Biobaumwolle nach internationalen Standards zu produzieren. Zwischenzeitlich engagierte sich auch die bundeseigene Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in diesem Pionierprojekt. Inzwischen zählt die ACSC rund 400 Erzeuger, die insgesamt 600 Hektar bewirtschaften – in diesem Jahr nur etwa die Hälfte mit Baumwolle. In guten Jahren werden bis zu fünf Tonnen pro Hektar geerntet, im Durchschnitt der letzten Jahre rund 3,5 Tonnen.

Das Büro der Genossenschaft ist in einem Neubau am Stadtrand von Jalal-Abad untergebracht. Der Vorsitzende Nurbek Kannazarov empfängt uns freundlich. Er macht keinen Hehl daraus, dass die wirtschaftliche Situation momentan angespannt sei. „Wir haben 2022 noch rund 1 000 Hektar angebaut, die Ernte war gut, aber wir haben die Mengen nicht im Biosegment verkaufen können“, seufzt er. Das habe das Vertrauen in den Bioweg erschüttert. „Auch der Krieg in der Ukraine und das Erdbeben in der Türkei haben unsere Geschäfte nachhaltig negativ beeinflusst. Dabei bezahlen wir als Genossenschaft unseren Mitgliedern Biopreise, müssen aber aufgrund des fehlenden Absatzes im derzeit schwächelnden europäischen Markt zu konventionellen Preisen absetzen.“ Mit den Global Organic Trade Standards (GOTS) hat Nurbek inhaltlich gar kein Problem, allerdings seien diese im Zertifizierungsprozess im Verhältnis zum Gesamterlös zu teuer. „Europäische Standards hier in Kirgisistan zu realisieren, ist einfach sehr schwierig, zumal sie dann sowohl in der Türkei als auch in Russland nichts bewirken, einfach weil sich dort keiner dafür interessiert. Ganz im Gegenteil, die Preise für Biobaumwolle liegen tatsächlich unter denen von konventioneller Ware.“

Baumwolle
Foto: Jörg Böthling

Nurbek und sein fünfköpfiges Mitarbeiter-Team wollen sich angesichts der angespannten Großwetterlage auf ihrem eingeschlagenen Biopfad aber nicht abbringen lassen. Dabei erzeugen die Bauern der Genossenschaft, die in den drei Bezirken Suzak, Bazar-Korgon und Nooken aktiv sind, nur drei Prozentpunkte des gesamten kirgisischen Baumwollanbaus, der 2024 auf 13 000 Hektar stattfand. Insgesamt sind rund 7 000 Landwirte im Anbau involviert. Zum Vergleich: In guten Jahren steigt die Anbaufläche auf rund 30 000 Hektar. Aber die Absatzsituation hat sich für die gesamte Branche verschlechtert, nicht zuletzt aufgrund der negativen Folgen des Ukraine-Krieges. Vor allem Energie- und Lebensmittelpreise stiegen enorm. Der Rohbaumwollpreis ist aber nur um zwei SOM in diesem Jahr gestiegen. Unabhängig von der wirtschaftlich schwierigen Lage gibt es in der Region Jalal-Abad markante Klimaveränderungen zu meistern. Die Temperaturen steigen im Sommer auf über 40 Grad Celsius, sagt Nurbek beim Mittagessen in einem großen Restaurant mit klassischen fleischigen Nudeleintöpfen. „Und im Winter fällt immer weniger Schnee, obschon wir immer noch oft Temperaturen von unter minus 20 Grad Celsius haben.“ Die Hitzewellen sorgen für Probleme bei der Wasserversorgung. Zwar existiert ein immer noch funktionierendes Bewässerungssystem aus Sowjetzeiten, doch viele Flächen sind nur unzureichend angeschlossen.

Viele Fürsprecher

Kein Zweifel, es gibt viele handfeste Herausforderungen. Interessanterweise findet aber die Genossenschaft in den Reihen der kirgisischen Politik viele Fürsprecher. „Unsere Regierung fördert die ökologische Produktion, ob nun im Bauwesen, in der Energieerzeugung oder in der Landwirtschaft. Vielleicht fließen in Zukunft auch Fördermittel an unsere Genossenschaft, um unseren Ökologisierungsansatz weiter zu unterstützen, so dass wir weiterwachsen können“, freut sich Nurbek über Rückendeckung aus dem fernen Bischkek. Zudem wurde im Parlament vor einigen Jahren die Idee diskutiert, die Landwirtschaft im ganzen Land per Gesetz zu ökologisieren. Wie in Bhutan. „Eine großartige Idee, aber wir sind in Kirgisistan offenbar noch nicht reif dafür“, sagt Nurbek. Noch nicht … 

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Jörg Böthling

Jörg Böthling begann 1985 als Seemann auf Fahrten nach Afrika und Asien zu fotografieren. Er studierte Fotografie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und arbeitet als Freelancer. 

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