Forschung und Hommage

Matthias Kopp hat über Iraks christliches Erbe promoviert
Portrait Matthias Kopp, Schlanker Mann mit Brille ohne Bart
Foto: Ralph Sondermann/VISUM

Seit bald 17 Jahren ist er Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz und hat jetzt eine 872-seitige reichhaltige Dissertation über das Christentum im Zweistromland vorgelegt. Dafür musste Matthias Kopp, 57, manche Nacht am Schreibtisch verbringen.

Der Weg zu meiner Dissertation, die in diesem Jahr als Buch erschienen ist, hat drei Jahre gedauert – und er war doch lang, was mit meiner Biografie zu tun hat: Ich stamme aus Velbert, gelegen zwischen Wuppertal, Essen und Düsseldorf, und habe in Bonn katholische Theologie studiert, die ich mit dem Diplom abschloss. Dann hatte ich die großartige Möglichkeit, nach Rom zu gehen, und habe dort mein zweites Studium der Christlichen Archäologie abgeschlossen, das ich bereits in Bonn begonnen hatte.

Diese Jahre in Rom waren eine wunderbare Zeit: Ich lebte im Campo Santo Teutonico, in dem berühmten deutschen Kolleg, das sich im Vatikan befindet und dessen Geschichte bis auf Karl den Großen zurückgeht. Nach Abschluss der Archäologie war ich Assistent des Rektors am Kolleg und Redakteur bei Radio Vatikan. Das gab mir die Chance, einige Reisen von Papst Johannes Paul II. zu begleiten, unter anderem in den Libanon. Da begann mein leidenschaftliches Interesse am Christentum im Nahen Osten.

Speziell mit dem Irak habe ich mich dann erstmals 1999 intensiv befasst, als der Papst angekündigt hatte, er wolle unmittelbar vor dem Heiligen Jahr 2000 eine Pilgerreise an die Stätten machen, die nach biblischer Überlieferung mit der Heilsgeschichte verbunden sind: in die Stadt Ur in Chaldäa im heutigen Irak, von der Abraham auszog, über den Sinai und den Berg Nebo in Jordanien, von dem Mose einst ins Gelobte Land schauen durfte, nach Jericho und Jerusalem und dann auf den Spuren des Apostels Paulus über Damaskus, Antiochien, Kleinasien, Athen wieder nach Rom. Eine gigantische Pilgerreise also! Aber die Reiseplaner sagten: „Heiliger Vater, Sie sind verrückt!“ Und es wurde in Etappen unterteilt: 1999 sollte der Auftakt im Irak sein, was aber kurzfristig abgesagt werden musste, 2000 fuhr der Papst nach Ägypten und Israel, 2001 nach Syrien.

Seit der gescheiterten Reise 1999 verfolge ich den Irak mit größtem Interesse, auch während meiner anderen beruflichen Stationen hatten der Irak und der gesamte Nahe Osten, gerade auch Syrien, einen Platz in meinem Herzen: als ich Referent in der Bischofskonferenz war, als ich die Kommunikation des Weltjugendtags in Köln verantwortet habe und in den Jahren als Sprecher der NRW-Staatskanzlei und dann seit 2009 als Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz. Viele Reisen haben mich in die Region geführt, die 2014 zur Monografie führten Päpste als Botschafter des Friedens: Paul VI. – Johannes Paul II. – Benedikt XVI. – Franziskus, ein Projekt, nachdem Franziskus Jordanien, Israel und Palästina besucht hatte. Schon damals riet mir ein Professor: „Warum machen Sie daraus keine Dissertation“, aber da war das Buch schon auf dem Markt und ein solches Projekt erschien mir neben meinem Beruf als abwegig.

Aber als Papst Franziskus dann 2021 mitten in der Pandemie seine Reise in den Irak durchführte, fiel mir die professorale Ermutigung von 2014 erneut ein, und ich dachte mir: „Wenn du jetzt über die Reise was schreibst, dann kannst du es auch größer versuchen“, und so ist im Sommer 2021 die Idee gereift, doch eine Dissertation zu verfassen, die ich in knapp drei Jahren fertig geschrieben habe, immer nachts zwei Stunden und ansonsten im Zug, im Flugzeug, wenn es etwas Zeit gab. Sehr geholfen hat mir, dass die Vinzenz Pallotti University, also die Hochschule der Pallotiner im rheinischen Vallendar, mein zweites Studium, das ich in Rom abgeschlossen hatte, als Vollstudium anerkannte. Ein weiteres Studium neben dem Job hätte ich nicht geschafft.

Und so konnte ich meine Arbeit Iraks christliches Erbe – Vom Überleben im Zweistromland im April 2024 einreichen. Etwas aufgeregt war ich schon vor den Prüfungen in verschiedenen Fächern, den Rigorosa. Da sitzt man mit etwas über Mitte 50 vor lauter Professoren und fühlt sich zunächst 30 Jahre zurückversetzt … Aber es war dann gottlob doch mehr ein Fachgespräch auf Augenhöhe.

Meine Arbeit ist in vier Teilen angelegt: Zunächst schildere ich in zwei kürzeren Abschnitten die Geschichte des Iraks seit dem Altertum mit besonderem Schwerpunkt auf dem Christentum und skizziere die mehrere Dutzend christlichen Kirchen und Gruppen dort bis in die Gegenwart. Dazu gehört auch eine Auseinandersetzung mit dem sunnitischen und schiitischen Islam. Dann folgt der Kern- und Hauptteil, der sich sehr genau mit dem Schicksal der Christen im Irak in den vergangenen einhundert Jahren befasst und ihre spezifische Stellung im irakischen Gesellschafts- und Staatsgefüge erläutert. Obwohl die Christen in der Gegenwart nie mehr als drei Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten, hatten sie doch einigen Einfluss. Auch und gerade während der Herrschaft Saddam Husseins – wer erinnert sich nicht an dessen christlichen Außenminister Tariq Aziz –, konnten die Christen in der Gesellschaft wirken. Besonderes Gewicht – und bisher eigentlich nicht erforscht – haben die Terrorjahre unter dem so genannten Islamischen Staat von 2014 bis 2017. Der Schlussteil dann analysiert ausführlich die Reise von Papst Franziskus im März 2021.

Gerade was die IS-Zeit angeht, war die Quellenlage sehr dürftig. Mein über die Jahre stark angewachsenes Privatarchiv – besonders von Medien, die den Terror des IS im Blick hielten –, hat mir bei der Arbeit geholfen, aber auch andere Archive wie in Rom oder dem Irak. Mir war es wichtig, vor allem die unterschiedlichen Verfassungsentwürfe nach 2003 zu analysieren und deren Wirkung in der Gegenwart zu erläutern. In der Arbeit kommt viel vatikanische Diplomatie vor. Dass – als die Arbeit bereits eingereicht und bewertet war – Papst Franziskus ein Vorwort für das Buch schickte, hat mich natürlich sehr gefreut und bewegt.

Abschließend gesagt: Meine Arbeit sehe ich als Hommage an die Christinnen und Christen, die trotz einer unglaublichen Bedrängnis und Verfolgung und Flucht und langer Aufenthalte in Flüchtlingslagern im Irak geblieben sind. Und ich bin nicht ohne Hoffnung, denn die Renaissance des Christentums im Irak nach dem IS-Terror führt aktuell dazu, dass die Caritasarbeit der Christinnen und Christen wieder ernst genommen wird und dass die Kirchen als konstitutiver Bestandteil der Gesellschaft zum Aufbau der Zivilgesellschaft und zu einem Versöhnungs- und Heilungsprozess beitragen. Dass es dann doch fast 900 Seiten geworden sind, dafür möchte ich mich fast entschuldigen, aber es musste sein. Für die Christen im Zweistromland und für die, die ihr Leben in der langen Geschichte des christlichen Irak gelassen haben. 

 

Aufgezeichnet von Reinhard Mawick

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