In der Grauzone
Wandelbar und klassisch
Claudia Werner, Artdirector und Designerin, arbeitet für das Bielefelder Unternehmen edel weiss Interieur und weiß: Grau liegt im Trend.
Derzeit sind für Design und Architektur in Deutschland Grautöne sehr begehrt, weil sie für Klarheit, Ruhe und Offenheit stehen. In der Auswahl von Stoffen ist Grau neutral, wandelbar, ganz klassisch. Besonders in der Inneneinrichtung ist es das Nonplusultra. Hersteller verkaufen zum Teil sehr hochwertige Möbel in Grau. In den Bezügen von Sofas oder Ledersesseln wird sehr viel Grau verwendet. Wenn man sich einrichtet, dann eben oft in Farben, die wir als unfarbig bezeichnen, wie in einem hellen Grau, einem dunkleren Grau und in einem Braungrau.
An Einrichtungsgegenständen in Türkis, Pink oder Orange sieht man sich schnell satt. Deshalb greifen Leute eher zur Quaste und gestalten die Wände farbig, weil sie das wieder ändern können. Aber bei einem teuren Sofa ist das nicht so ohne weiteres möglich. Daher gebe ich Kunden oft den Tipp, sie sollten experimentierfreudiger bei der Auswahl der Wandfarbe sein als bei dem Sofa.
Das beherzige ich auch in meiner Wohnung. Als Designerin habe ich den ganzen Tag mit Farben zu tun, meine Augen müssen abends zur Ruhe kommen. Ein Beispiel: Ich hatte nach einem Besuch in Spanien die Wände in Ochsenblutrot gestrichen, fast so wie die Häuser in Schweden. Aber nach einem halben Jahr konnte ich das nicht mehr ertragen. Besser also, man wählt einen ruhigen Ton und ergänzt ihn mit farbigen Objekten wie zum Beispiel Riesenvasen.
Zum Grau an der Wand lassen sich echte Farben zuordnen. In Wohnzeitschriften werden oft Orange oder Türkis kombiniert. Grau steht für Bodenhaftung und für das Neutrale. Es hält die andere Farbe ein bisschen zurück oder im Zaum.
Draußen begegnen wir Grau in der Flanellhose, die sehr populär war und derzeit wieder ist. Oder die Haarfarbe Grau, die gerade viele Frauen sehr bewusst tragen und mit einem Lippenstift in Pink kombinieren. Das bringt Auflockerung, wie das bunte Kissen auf dem grauen Sofa.
Ich schaue mir schon immer viele Wohnungen an und Exposés. Als ich mich vor Jahrzehnten das erste Mal eingerichtet habe, waren die Sofas braun oder cognac. Und natürlich hatte ich dazu nicht eine grau gestrichene Wand, sondern eine Tapete mit Blümchen von Laura Ashley. Die Geschmäcker ändern sich im Laufe der Jahre. Inzwischen mag ich lieber klassische Farben, will nichts Buntes mehr, was vielleicht auch mit dem Alter zu tun hat. Aber insgesamt ist das sehr modeabhängig, denn in der Werbung, in den Wohnzeitschriften oder bei Freunden sieht man ja diese Trends, nimmt sie auf und trägt sie weiter.
Unser Laden heißt edel weiss Interieur, was eigentlich nur meint, dass wir als unfarbig bezeichnete Objekte im Angebot haben. Beige, grau, anthrazit oder solche Töne, die nicht bunt sind. Auch bei der Kleidung. Deshalb sind wir so erfolgreich. Das Sortiment ist aufeinander abgestimmt, in der Kleidung und in der Einrichtung. Es lässt sich zu allen Farben kombinieren. Egal, ob Kerzenhalter, Wohndecken, Kissen oder Vasen. In dieser Art passt alles zueinander und sieht harmonisch aus. Das ist nicht zuletzt die Wirkung von Grau.
Aufgezeichnet von Kathrin Jütte
Foto: picture alliance/blickwinkel/H. Schmidbauer
Gott weiß, warum
zeitzeichen-Redakteur Philipp Gessler hatte schon sehr früh graue Haare – und hat sie dennoch nie gefärbt.
Adam war 19 und verlor Haare auf seinem schönen Schädel. Wir Mitschüler und Freunde hatten Mitleid mit ihm, denn wir hatten ja gerade erst alle Abitur gemacht und trafen uns regelmäßig, um Basketball zu spielen. Adam absolviert nun seine Wehrpflicht bei der Bundeswehr, und die Vermutung war, dass der dort zu tragende Helm vielleicht seinem Haarschopf nicht gut tun könnte. Sogar ein Arzt wurde konsultiert.
Später stellte sich heraus: Nein, der äußerst sportliche Adam war kerngesund, es war eben eine dumme Veranlagung. In seiner Familie verloren leider viele Männer seit Generationen ihr Haupthaar sehr früh, und Adam war keine Ausnahme. Ich dachte auch an mich und wusste: In meiner Familie verloren die Männer nicht so schnell ihre Haare. Dafür wurden sie sehr schnell grau.
Man kann darüber streiten, was schlimmer ist: Schnell grau zu werden oder rasch die Haare auf dem Kopf zu verlieren. Es gibt manche Männer (mir fällt gerade ein ehemaliger EKD-Ratsvorsitzender ein), die sind gesegnet, sie haben bis ins hohe Alter fast alle Haare, und grau werden sie nur äußerst langsam. Bei mir, meinem Bruder, unserem Vater, unserem Onkel und unserem Opa war das anders: Fast ganz grau schon mit Anfang oder Mitte dreißig, das war bei uns normal. Wir fünf widerstanden aber der Versuchung, unsere Haare dunkel zu färben. Warum, darüber haben wir nie geredet. Vielleicht Schicksalsergebenheit?
Dabei hat es Nachteile, als rasch ergrauter Mann durch das Leben zu gehen. Man wird, natürlich, meist älter geschätzt, als man ist. Daran gewöhnt man sich, aber eigentlich macht es keinen Spaß. Ins „Berghain“ wäre ich schon mit Mitte 30 nicht mehr reingekommen, und was graue Haare bei der Partnersuche bedeuten, kann sich jeder vorstellen – da ist es besser, seine Partnerin fürs Leben schon vorher gefunden zu haben.
Wir leben leider nicht mehr in einer Gesellschaft, die das Alter, oft erkennbar am grauen Haar, schätzt. Keine besondere Weisheit wurde von mir erwartet, und ich hätte sie auch, trotz meiner sehr bald weißen Haare, nicht liefern können. So ist es schwer, irgendwelche Vorteile im grauen Haar zu sehen. Ich habe mal gelesen, dass sich die Herren der Nomenklatura in China alle die Haare bis ins hohe Alter pechschwarz färben lassen, weil ein Herrscher oder Herrschende dort als schwach gelten, wenn sie grau werden. Sagen wir so: Ich bin auch deshalb froh, im Reich der Mitte kein öffentliches Amt anzustreben.
Mein Vater hat sich über Jahrzehnte ein ziemlich teures und eher unangenehm riechendes Mittel ins Haar geschmiert, um so seine Haargesundheit zu fördern und die Ergrauung zu stoppen. Raten Sie mal, wie erfolgreich das war! Ich muss heute noch jedes Mal lachen, wenn ich zufällig Werbung für dieses Mittel und die damit verbundenen Versprechen sehe. Aber bisher habe ich den Drang unterdrückt, auf Werbeplakate für dieses Mittel „Alles Lüge!“ zu sprühen.
So habe ich mich am Ende an mein so schnell ergrautes Haar gewöhnt. Vielleicht auch, weil der liebe Gott mit dem weißen (!) Rauschebart auf Wolke Sieben das offenbar für mich so vorgesehen hat – und auch weil ich daran denke, was Adam seinerzeit passiert ist. Würde ich wirklich tauschen wollen? Ach ja, und einen Vorteil hat das graue Haar wirklich: Ist man erst einmal vollständig ergraut, sieht man jahrzehntelang lang fast gleich aus, die Alterung ist kaum zu erkennen, zumindest von weitem und wenn man einigermaßen das Gewicht hält.
So will ich mich nicht beklagen, sondern dem Herrn, meinem Gott, danken, ihn loben und preisen, dass er mir schon rund drei Jahrzehnte mit grauen Haaren geschenkt hat. Ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat, aber ich werde ihn fragen, wenn ich eines hoffentlich fernen Tages an Petrus vorbeikomme und durch die Himmelspforte schreite. Vielleicht sind meine Haare dann ja auch wieder dunkelbraun.
Philipp Gessler
Jan van Eyck: "Verkündigung", Bildtafeln aus den 1430er-Jahren
Profil und Tiefe
zeitzeichen-Redakteur Stephan Kosch ist begeistert von der Grisaille-Malerei
Die Putten über dem Kamin ein Steinrelief, ganz klar. Oder? Nein … Im Museum de Lakenhal im niederländischen Leiden sah ich in diesem Sommer zum ersten Mal bewusst ein Bild, das in Grisaille-Technik gemalt war, also grau in grau, manchmal auch braun in braun. Und ich war beeindruckt. Die gemalten Figuren hatten eine Plastizität, wie ich sie kaum zuvor in einem Gemälde gesehen hatte. Dafür gibt es noch viel beeindruckendere Beispiele: Der Heller-Altar etwa, der von Albrecht Dürer und Matthias Grünewald zwischen 1507 und 1511 gemalt wurde. Die Heiligenfiguren auf den Außenseiten in Grisaille-Technik gemalt sehen aus wie Statuen. Ebenso bei Jan van Eycks „Verkündigung“ (Foto).
In der Barockzeit entsprachen in reformierten Kirchen die dezenten und doch beeindruckenden Bilder dem Schlichtheitsgebot, in Franziskanerklöstern schmückte Grisaille die Kirchenfenster. Doch auch im 20. Jahrhundert malten bedeutende Künstler grau in grau. Picassos „Guernica“ etwa braucht keine Farben, um den Schrecken des Krieges zu illustrieren. Und Gerhard Richter malte mehrere Bilder in Grisaille-Technik, wohl am bekanntesten darunter ist sein Zyklus „18. Oktober 1977“ zum Suizid der Terroristen Andreas Baader, Ulrike Meinhoff und Gudrun Ensslin. Statt an steinernem Profil arbeitet Richter mit bewusster Unschärfe – aber es tut der Tiefe der Bilder und ihrer Wirkung keinen Abbruch.
Stephan Kosch
Nicht nur trist
Kann Grau auch klingen? Ja, meint zeitzeichen-Chefredakteur Reinhard Mawick und denkt zumindest synästhetisch in Farbe und Musik.
Die Farbe Grau gilt als trist: graue Vorstädte, graue Gesichter, grauer Alltag – alles eher trist. Aber vielleicht ist das ein Irrtum. Jedenfalls, wenn man es musikalisch betrachtet. Das neurologische Phänomen der Synästhesie (deutsch: Mitempfindung) beschreibt – vereinfacht ausgedrückt – die Eigenschaft, dass verschiedene Sinneswahrnehmungen zusammen auftreten beziehungsweise aneinandergekoppelt sind. So soll es Menschen geben, die bei bestimmten Klängen zwangsläufig Farben empfinden. Und damit sind nicht Klangfarben gemeint, denn in diesem Fall ist „-farbe“ als zweiter Teil eines Kompositums ja eine Hilfskonstruktion, gemeint ist eher die Machart oder der Charakter eines Zusammenklangs von Tönen, der dann in einem anderen im Bereich des Optischen verankerten Wahrnehmungsfeld real Farben produziert. Das kann – medizinisch verstanden – problematisch sein. Es kann aber – ästhetisch verstanden – ein Genuss sein.
Spreche ich in Rätseln? Vielleicht. Ich bin mir persönlich recht sicher, dass ich einen „echten“ Synästhesie-Test nicht bestehen würde (wenn es ihn überhaupt gibt). Aber danach gefragt, welche Musik ich mit „Grau“, der Farbe unseres Schwerpunkts assoziiere, fällt mir sofort ein Beispiel ein, das ich rasch notiere, bevor ich es vergesse: Es ist der Beginn des zweiten Stückes aus den „Sept Chansons“ von Francis Poulenc (1899–1963). Poulenc vertont ein Gedicht des ihm nahestehenden Paul Éluard (1895–1952), das eigentlich so ganz und gar nicht „gräulich“ mit den Worten „Adieu tristesse“ beginnt, allerdings im tiefsten grauen f-Moll. Dann folgen die Worte „Bonjour tristesse“, die einen Takt später im hellen F-Dur landen. Paradox? Nicht unbedingt. Vielleicht dachte Poulenc beim Komponieren eher an den Gegensatz zwischen dunklem Verabschieden und hellem Begrüßen.
Harmonisch sind die drei Anfangstakte ganz klar. So klar, so eindeutig wird es dann in dem ganzen zauberhaften Stück nicht mehr, das noch nicht mal zwei Minuten dauert. Alles klingt in Schleierwolken, es changiert, so heißt das schöne Wort, das ja nicht umsonst aus dem Französischen kommt. Und das Ganze klar in Grau. Aber nicht in „Steingrau“ oder „Mausgrau“, wie man immer mit Loriot persifliert, sondern ich zumindest höre und sehe ein bewegtes, helles, durchlässiges Grau. So, wie der Himmel manchmal mit sich darum kämpft, ob er die Sonne verbergen oder zum Vorschein bringen will. Die Grauklänge changieren, wie der surrealistische Text Éluards changiert. „Erst durch Ihre Musik habe ich meine Gedichte wirklich verstanden“, schrieb Éluard einst an Poulenc. Wer diese im beste Sinne grau-volle, ja grau-füllige Musik hört oder singt, weiß warum – zumindest ein bisschen. Am Ende dann wieder reines F-Dur. Und die Worte? „Tristesse, beau visage“. Aah …
Reinhard Mawick
Kathrin Jütte
Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.
Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur der "zeitzeichen". Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ökumene.
Stephan Kosch
Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen".
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.