Standesbewusst und sozialdiakonisch

Elisabeth von Thadden – ein Leben zwischen konservativer Haltung und sozialem Engagement
Elisabeth von Thadden zusammen mit ihren Schülerinnen im Kaminzimmer im Schloss in Wieblingen.
Foto: Archiv Thadden-Schule
Elisabeth von Thadden zusammen mit ihren Schülerinnen im Kaminzimmer im Schloss in Wieblingen.

Sie gehörte der Bekennenden Kirche und dem Solf-Kreis an. Und sie gab jüdischen Mädchen eine Heimat, bis deren Eltern ihre Emigration ins Ausland vorbereitet hatten. Adelheid von Hauff erinnert an Elisabeth von Thadden, eine außergewöhnliche Frau, die im vergangenen Jahr für ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus mit einer Briefmarke gewürdigt wurde.

Das hätte Elisabeth von Thadden (1890–1944) gefreut: „Thadden wieder unter den besten 15 Schulen“, so titelte die Rhein-Neckar-Zeitung am 2. Juli 2025. Wie bereits 2019 hat es die Elisabeth-von-Thadden-Schule in Heidelberg erneut ins Finale um den Deutschen Schulpreis geschafft. Wer war die Frau, die während des Kaiserreichs mit ausgeprägtem Standesbewusstsein und zugleich sozial-diakonischer Haltung in einem pommerschen Schloss aufwuchs? Die unmittelbar vor dem so genannten Dritten Reich in Heidelberg ein Mädcheninternat, die heutige Elisabeth-von-Thadden-Schule, gründete und 2024 für ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus mit einer Briefmarke gewürdigt wurde?

Erzogen von Kindermädchen

Elisabeth Adelheid Hildegard von Thadden wurde am 29. Juli 1890 als Tochter des Landrats und späteren Trieglaffer Gutsherren Adolf Gerhard Ludwig von Thadden (1858–1932) und seiner Ehefrau Ehrengard, geborene von Gerlach (1868–1909) in Mohrungen geboren. Väterlicherseits war sie die Urenkelin des sowohl von der Erweckungsbewegung als auch dem Luthertum geprägten pommerschen Gutsherrn Adolph von Thadden (1796–1882), auf ihn gehen die seit 1829 veranstalteten Trieglaffer Konferenzen zurück. Dazu trafen sich im Trieglaffer Gutshaus jährlich über einhundert Gäste. Sie machten Bibelarbeit, berieten die kirchliche Lage und tauschten sich über Fragen des Gemeindelebens aus. Die geistlich und diakonisch geprägte Frömmigkeit zeigt sich auch im späteren Wirken der Urenkelin.

Von englischen und französischen Kindermädchen erzogen, erhielt Elisabeth von Thadden bis zu ihrem 15. Lebensjahr Privatunterricht. 1805 kam sie nach Baden-Baden in das von Großherzogin Luise von Baden (1838–1923) gegründete Viktoriastift. Auf der konservativ ausgerichteten Internatsschule lernte sie die sie lebenslang prägende Verbindung von Freiheit und Ordnung. Anschließend besuchte Thadden eine Schule in Maidburg in Westpreußen. Nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter brach sie ihre Ausbildung ab und übernahm 1909 die Aufgabe der Gutsherrin und Erzieherin ihrer jüngeren Geschwister.

Von dem Gründer der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost (SAG) Friedrich Siegmund-Schultze (1885–1969) hörte sie 1916 von der sozialen Notlage von Kindern und Frauen in Berlin. Beeindruckt von seinen Ausführungen rief sie mit ihm die Aktion „Stadtkinder aufs Land“ ins Leben.

Soziale Themen

Im Sommer 1918 nahmen Adolf und Elisabeth von Thadden die vom Groß- beziehungsweise Urgroßvater gegründeten Trieglaffer Konferenzen wieder auf, nun jedoch in Verbindung mit der Sozialen Arbeitsgemeinschaft. Neben Glaubensfragen gewannen die sozialen Themen zunehmend an Gewicht. Zu den Teilnehmenden gehörten Sozialarbeiter, Reichstagsabgeordnete, Publizisten, Pastoren, Gutsbesitzer und eine größere Zahl bekannter Frauen.

Einen tiefen Einschnitt stellte die zweite Ehe ihres Vaters dar. Elisabeth von Thadden musste 1920 die geliebte Heimat in Trieglaff verlassen und mit 30 Jahren ohne Berufsausbildung eine Arbeit suchen. Dazu schrieb sie: „Vater hat sich verlobt. Ich kann mich schon über sein großes Glück freuen. Aber an alles andere zu denken ist so schwer. Man wird frieren ohne diese Form, ohne das Trieglaffkleid.“ Zunächst ging sie nach Berlin, um als Mitarbeiterin des evangelischen Theologen und Sozialpädagogen Friedrich Siegmund-Schultze in den Elendsvierteln des Berliner Ostens zu wirken. Nebenbei besuchte sie die soziale Frauenschule von Alice Salomon und legte dort 1921 ihr Examen als staatlich anerkannte Wohlfahrtspflegerin ab.

Bereits während ihrer Ausbildung ging sie durch die Vermittlung der badischen Sozialpolitikerin Maria Baum (1874–1964) den Sommer über nach Heuberg (Schwäbische Alb). Hier wirkte sie in den Häusern der Inneren Mission in leitender Position als Erzieherin. Während der Wintermonate arbeitete sie weiterhin in den Berliner Elendsvierteln. Immer mehr reifte in ihr der Plan, eine ihrer Herkunft entsprechende Einrichtung zu gründen. Noch aber fehlten ihr die pädagogischen Kenntnisse zur Leitung einer eigenen Internatsschule. Vorübergehend war sie ab 1925 in dem von Prinz Max von Baden (1867–1929) gegründeten und dem von dem Reformpädagogen Kurt Hahn (1886–1974) geleiteten Landerziehungsheim Salem am Bodensee tätig. Im Zentrum von Hahns Erziehung standen die internationale Verständigung und die Übung der Nächstenliebe. Obwohl Hahns Pädagogik großen Eindruck auf Thadden machte, vermisste sie die sie prägende christliche Grundhaltung. Hinzu kam, dass sie die in Salem praktizierte Koedukation ablehnte. Der Wunsch, ein religiös geprägtes Mädcheninternat zu gründen, führte zur Trennung von Salem.

Über ihren Schwager, den Historiker Percy Ernst Schramm (1894–1970), wurde Thadden 1926 in Heidelberg das Landgut Schloss Wieblingen angeboten. Mit Hilfe der Evangelischen Landeskirche und der Inneren Mission in Baden gründete sie 1927 ein Haus, in dem sie die Ideen der Reformpädagogik mit Inhalten des christlichen Glaubens kombinierte. Der evangelische Charakter zeigte sich in regelmäßigen Morgen- und Abendandachten und der engen Verbindung zur evangelischen Kirche. Der Religionsunterricht wurde unter anderen von dem an der Heidelberger Heilig-Geist-Kirche tätigen Pfarrer Hermann Maas (1877–1970) gehalten. 1933 wurde das Wieblinger Internat vom badischen Kultusministerium als „nichtstaatliche Lehranstalt“ im Sinne des Schulgesetzes anerkannt und weitgehend einer staatlichen Einrichtung gleichgestellt. Die Zahl der Schülerinnen wuchs stetig.

Elisabeth von Thaddens politische Haltung war von ihrer adeligen Herkunft geprägt. Dem Nationalsozialismus stand sie zunächst unvoreingenommen gegenüber. Diverse Schulprospekte verdeutlichen ihre nationale und christlich-konservative Ausrichtung. Als Leitsätze werden genannt: die Erziehung zu klarem evangelischem Bewusstsein, das Vertiefen des vaterländischen Gedankens und die Charakterentwicklung im Rahmen des Gemeinschaftslebens. Daraus folgert der Historiker Jörg Thierfelder, es verwundere nicht, dass Thadden im Frühjahr 1933 zunächst große Sympathien für das nationale Kabinett unter Hitler äußerte. Neben der Betonung des Nationalen und des Christlichen begrüßte die sozial eingestellte Schulleiterin den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Ihre jüngere Schwester Ehrengard Schramm (1900–1985) schrieb dazu: „In uns Ostdeutschen, die wir durch Jahrhunderte hindurch im Luthertum und im preußischen Staat erzogen worden sind, steckt so viel Treue gegenüber der Obrigkeit, dass es zunächst einmal nahelag zu sagen: Lass sie versuchen, zu zeigen, was sie können. Meine Schwester war ganz besonders geneigt, mitzumachen und zu helfen, wo anscheinend gute Arbeit angefangen wurde.“ Die anfangs von Thadden übernommene nationalsozialistische Sprache (deutsche Volksgenossen, Führernatur) füllte sie mit ihren eigenen – deutsch-nationalen – Denkmustern.

Dass Thadden dem Dritten Reich immer mehr den Rücken kehrte, hängt mit dessen Kirchenpolitik, der Verfolgung von Juden sowie dem Umgang mit ihren engsten Familienmitgliedern von Seiten des NS-Staates zusammen. Unter dem Einfluss ihres Bruders Reinold von Thadden (1891–1976), dem Begründer des Evangelischen Kirchentages, trat sie im November 1934 der Bekenntnisgemeinschaft der Evangelischen Kirche in Baden bei.

Als bekannt wurde, dass auch jüdische Ärzte zur Behandlung der Schülerinnen herangezogen wurden, rückte das Wieblinger Internat 1934 erstmals ins Blickfeld der Nationalsozialisten. Bis 1938 besuchten auch Halbjüdinnen die Einrichtung. Nachdem das Wieblinger Gebäude bereits 1939 als Lazarett beschlagnahmt wurde, verlegte Thadden ihre Einrichtung zeitweise an den Starnberger See nach Tutzing. Da die Schule jedoch dem badischen Kultusministerium unterstand, gab es auch weiterhin fünf Klassen in Wieblingen. Ab 1940 wurde die Internatsschule an beiden Standorten immer kritischer beobachtet.

Eingeschleuster Spion

In Tutzing war es die Tochter einer NS-Frauenschaftsleiterin, die als Externe die Schule besuchte und im Auftrag ihrer Mutter Unterrichtsgegenstände gegen die Schulleiterin verwendete. Neben dem Beten zweier Psalmen war es das Lied „Rule Britannia“, mit deren Weitergabe die Schülerin die Schule denunzierte. Als Thadden mit ihrer judenfreundlichen, religiösen und adligen Haltung immer mehr zum Stein des Anstoßes wurde, war die Schule in Bayern nicht mehr zu halten. Nur wenige Monate nach ihrer Rückkehr nach Heidelberg wurde Thadden die Leitung der von ihr gegründeten Internatsschule entzogen. Ab August 1941 wurde die Schule als staatliche Oberschule für Mädchen mit Schülerheim weitergeführt. Nach dem Verlust ihres Elternhauses in Trieglaff verlor Elisabeth von Thadden nun auch ihre zweite Heimat in Süddeutschland. Sie ging zurück nach Berlin und bemühte sich um eine ihrer Stellung entsprechende Tätigkeit. Diese fand sie beim Roten Kreuz.

Im September 1943 war eine Teegesellschaft zum 50. Geburtstag ihrer Schwester Agnes-Marie Braune (1893–1985) letztendlich ausschlaggebend für Thaddens Verurteilung. Eingeladen war auch der junge Arzt Paul Reckzeh (1913–1996), den ihre Schweizer Freundin Bianca Segantini (1886–1980) als unbedenklichen Gast empfohlen hatte. Tatsächlich jedoch war der Mann von anderer Seite als Spion eingeschleust worden, um die systemkritischen Gespräche auszuspionieren. Aussagen, nach denen Deutschland den Krieg militärisch nicht mehr gewinnen konnte, galten nach nationalsozialistischem Verständnis als Hochverrat. Zu Thaddens Verhaftung kam es im Januar 1944, als sie sich zur Aufnahme einer neuen Tätigkeit in Frankreich befand. Davon berichtete sie am Tag ihrer Hinrichtung ihrem Gefängnispfarrer Ohm Folgendes: „Ich wurde im Januar 1944 in Meaux in Frankreich um 8 Uhr festgenommen. Im Auto wurde ich von M. nach Paris gebracht. Dort verhört von 9 Uhr bis abends um 6 Uhr; nach einer Stunde Abendbrotzeit Fortsetzung des Verhörs während der ganzen Nacht. Im Laufe des nächsten Tages wurde die Verhaftung ausgesprochen. Es bestand mehrfach Fluchtmöglichkeit. Von dieser habe ich bewusst keinen Gebrauch gemacht, um meinen Bruder nicht zu gefährden. Dann wurde ich nach Berlin gebracht und erneut die ganze Nacht verhört. Die Schwere der Inquisition war ganz ungeheuerlich. Ich wurde gefragt nach der Bekennenden Kirche und nach der Una Sancta. Mir ist kein Wort entschlüpft, was andere belastet hätte.“

Nach einem grausamen Verhör von Roland Freisler (1893–1945) wurde das Todesurteil über Elisabeth von Thadden und Otto Kiep (1886–1944), eines weiteren Mitglieds der Teegesellschaft, ausgesprochen. Bis zur Vollstreckung in Plötzensee vergingen für Thadden noch zehn Wochen, in denen die Familie sich mehrfach um eine Begnadigung bemühte. Sie selbst vertiefte sich im Gefängnis sowohl in Schriften der klassischen Literatur als auch ins Neue Testament. Zur inneren Stärkung lernte sie Bibelverse und Choräle auswendig.

Neben dem Gefängnispfarrer Ohm berichtet auch die Gefängnisbeamtin Erna Jarius von Thaddens letzten Stunden. Nach dem Empfang des Abendmahls ging sie am Abend des 9. Septembers 1944 mit Paul Gerhardts Worten ihrer Hinrichtung entgegen: „Mach End, o Herr, mach Ende mit aller unsrer Not, stärk unsre Füß und Hände und lass bis in den Tod uns allzeit deiner Pflege und Treu befohlen sein, so gehen unsre Wege gewiss zum Himmel ein.“

Die von ihr gegründete Schule lebt als Evangelische Elisabeth-von-Thadden-Schule an dem Ort weiter, den sie selbst dafür ausgewählt hat. Seit 1981 hat auch die Koedukation Einzug gehalten. Elisabeth von Thaddens christliches Erbe verdeutlicht das religiöse Profil, zu dem neben dem Religionsunterricht wöchentliche Andachten und besondere Gottesdienste gehören. Ihre sozial-diakonische Einstellung zeigt sich in dem Caritas-Diakonie-Projekt, bei dem die Schülerinnen und Schüler ab der elften Klasse ein Praktikum in einer Diakonischen Einrichtung leisten. 

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Foto: privat

Adelheid von Hauff

Adelheid von Hauff arbeitet als Lehrerin für Evangelische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

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