Die israelischen Geiseln der Terrororganisation Hamas sind zurück zuhause. Am 13. Oktober schaute ich gebannt auf mein Handy und verfolgte jeden einzelnen Beitrag auf Instagram. Ich sah live zu, wie die letzten 20 lebenden Männer nach zwei Jahren Dunkelheit ins Licht geführt und zu ihren Familien gebracht wurden.
Ich sah weinende, schreiende und lachende Väter und Mütter, die ihre Söhne fassungslos in die Arme schlossen und sie wahrscheinlich nie wieder loslassen würden. Ich aktualisierte Noa Argamanis Account, um zu erfahren, ob sie endlich wieder mit ihrem Partner Avinatan Or vereint war. Noch nie hatte ich das Leben anderer so intensiv mitverfolgt wie seit dem 7. Oktober 2023 – unfähig, mich diesem grausamen Zustand zu entziehen.
Warum ich meine Eindrücke auf Instagram reduziere? Weil kaum ein Medium die Emotionen der Konsumenten und ihre Haltung derart stark spiegelt wie dieser Kanal auf Social Media.
So beobachtete ich online auch, wie die Followerzahlen auf den Accounts jüdischer Publizisten schwanden, nachdem scheinbar die erste Welle der Sensationslust am Massaker am 7. Oktober 2023 gestillt worden war, das Schicksal der Geiseln in dem Streifen am Mittelmeer zunehmend ins Stocken geriet, ihre Gesichter verblassten – und die Welt fortan auf die Zerstörung Gazas blickte.
Plötzlich fühlte es sich verboten an, dem Account @bringthemhomenow zu folgen, auf Lebenszeichen zu warten und mit den Angehörigen zu fühlen, zu hoffen und zu beten – während Tausende sich in Palitücher hüllten, für ein freies Palästina auf die Straße gingen und die Empathie gegenüber dem jüdischen Volk zusehends verflog.
Lange Zeit hatte mich erschreckend wenig interessiert, dass meine Familie mütterlicherseits jüdischen Ursprungs ist. Ich wusste um die Deportation und Ermordung von Flora Hofer samt Geschwistern in Theresienstadt und Auschwitz. Ich wusste um die Flucht der wenigen Überlebenden nach England und Amerika. Im Unterricht wurde uns der Holocaust wieder und wieder vor Augen geführt – doch konnte ich mich weder damit identifizieren, noch richtig begreifen, dass dies auch Teil meiner Vergangenheit war. Mein bisheriges Leben lang musste ich mir nie Sorgen machen und hätte auch nicht angenommen, dass sich die Geschichte tatsächlich wiederholen könnte.
Doch die antisemitischen Vorfälle häufen sich. Und am 13. Oktober stellte ich trotz großer Erleichterung über die Freilassung der Geiseln mit Bestürzung fest, dass meine unmittelbare Umgebung keine sichtbare Notiz davon zu nehmen schien.
Vielleicht ist es falsch, wahrhaftige Anteilnahme anhand von Likes ablesen zu wollen. Doch in einer Zeit, in der jeder seine politische Meinung in Form von Repostings auf Instagram nur zu gern zum Ausdruck bringt, fällt es auf, wenn Reaktionen auf das Ende eines derart traumatischen Ereignisses ausbleiben. Kann man hier schon von Gleichgültigkeit sprechen?
Die Geiseln sind zurück zuhause. Der Krieg scheint vorbei zu sein. Aber das Schweigen bleibt – und mit ihm die Angst, dass Gleichgültigkeit der Nährboden ist, auf dem sich alter Hass neu entfaltet.
Anna Hofer
Anna Hofer ist Volontärin bei zeitzeichen und Der Sonntag. Sie hat Kunstgeschichte und Hörfunk an der Universität Leipzig studiert.