Alle Katzen grau!

Warum wir den Rechtsstaat nach Kräften stützen sollten
Foto: EAzB/Karin Baumann

„Stockfinster war’s, und alle Katzen grau!“ – so verteidigt sich Ruprecht in Heinrich von Kleists Stück „Der zerbrochene Krug“ gegenüber dem Dorfrichter Adam, als dieser wissen will, wen Ruprecht nachts am Haus von Ruprechts Verlobter Eve gesehen hat. „In der Nacht sind alle Katzen grau“, damit ist ganz wörtlich gemeint: Das menschliche Auge ist nicht in der Lage, im Dunklen Farben zu erkennen.

Das schon Kleist wohlbekannte Sprichwort benennt damit im übertragenen Sinne die Unmöglichkeit, Dinge immer und jederzeit ganz richtig einzuordnen. Wenn Ruprecht sich im Verhör durch den Dorfrichter Adam auf die grauen Katzen bezieht, dann verweist er damit ganz praktisch darauf, dass er tatsächlich nicht gut sehen konnte, weil es draußen dunkel war. Allerdings benennt Ruprecht dann doch einen vermeintlich Schuldigen, den Flickschuster Lebrecht, auf den Ruprecht schon vorher eifersüchtig war.

Damit markiert die Referenz auf graue Katzen, was das Stück vorführt: die mögliche Willkür, die menschliches Handeln mit sich bringen kann und die nur eingehegt werden kann durch gerechte Gesetze und durch eine unabhängige Judikative, die für diese Gesetze garantiert. Kleists Stück nun führt vor, was passiert, wenn auf diese Judikative kein Verlass ist. Denn der Dorfrichter Adam verfolgt eigene und sehr selbstsüchtige Interessen. Von Beginn an ahnt man, was am Ende entlarvt wird: dass Adam heimlich zu Eve schlich, dass er den titelgebenden Krug bei der Flucht zerbrochen hat, dass er also der eigentlich Schuldige ist.

Alle Katzen mögen nachts grau sein. Aber, um im Bild zu bleiben: Ein Rechtsstaat beruht darauf, dass Menschen sich darauf verlassen können, dass am Ende eben doch klar wird, welche Farbe die Katze eigentlich hat. Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist entscheidend. In den USA kann man gerade eine Gerichtsbarkeit unter einem für eine Demokratie beispiel­losen Druck beobachten: Die Regierung Trump ignoriert Anweisungen des Obersten Gerichtshofes. Richterinnen und Staatsanwälte werden offen oder verdeckt bedroht. Richterposten schon seit Jahren nach politischem Kalkül besetzt. Die Schnelligkeit, mit der es so gelingt, eine Demokratie umzubauen in ein autokratisches System, entsetzt jeden Tag aufs Neue.

Hiervon sind wir in Deutschland weit entfernt. Gott sei Dank. Und doch mag Mahnung sein, was wir in den USA beobachten können. Das Vertrauen in staatliche Institutionen sinkt bekanntlich in den vergangenen Jahren in Deutschland. Das Vertrauen in die Justiz ist aber laut Umfragen relativ stabil. Ungefähr zwei Drittel der Deutschen vertrauen der Justiz, ein Drittel tut dies (eher) nicht. Bei allen Verteilungsfragen bei Investitionen sollte daher Forderung nach mehr Investitionen in die Justiz des deutschen Richterbundes mit Verweis auf die hunderttausenden offenen Verfahren aus dem Juli dieses Jahres sehr ernst genommen werden. Ein Rechtsstaat ist auf unabhängige Richter und Staatsanwältinnen angewiesen. Aber eben auch darauf, dass es genügend von ihnen gibt. Damit die Katzen am Ende nicht grau bleiben. 

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