„Ein Hoffnungsort“

Das „Institut für Religion und Gesellschaft“ an der Universität Bochum feierte sein zehnjähriges Jubiläum
Eine Frau steht in einem Saal vor einem Publikum und trägt etwas vor. Hinter ihr ist ein Bildschirm mit Informationen.
Philipp Gessler
Isolde Karle bei ihrer Rede während des Festakts zum zehnjährigen Jubiläums des „Instituts für Religion und Gesellschaft“ an der Universität Bochum.

Das „Institut für Religion und Gesellschaft“ der Universität Bochum ist zehn Jahre alt geworden und feierte dies mit einer Feststunde. Dabei wurde deutlich, warum die dortige Evangelische Theologie bundesweit solch eine große Ausstrahlung hat. Es ist der Mut zu einer innovativen Forschung, die jedoch nicht überall auf Gegenliebe stößt. Und gefeiert wurde vor allem eine: die Direktorin des Instituts, Isolde Karle, berichtet zeitzeichen-Redakteur Philipp Gessler.

„Es gibt diese Hoffnungsorte.“ Dieser fast ganz am Ende des Nachmittags ausgesprochene Satz der Theologin Sarah Vecera fasst knapp zusammen, was das „Institut für Religion und Gesellschaft“ an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) ganz offensichtlich vielen ihrer Absolventinnen und Absolventen seit zehn Jahren war und ist: ein Ort der offenen Diskussion, der freien Forschung zur Evangelischen Theologie in ihrem Zusammenspiel mit der Gesellschaft und der gegenseitigen akademischen Ermutigung,  neue, unbekannte Wege in der Wissenschaft zu gehen. 

Im Zeichen der Diversität

Zu verdanken ist dieser „Hoffnungsort“ größtenteils und zweifellos Isolde Karle, die seit 2001 als Professorin für Praktische Theologie an der RUB lehrt, seit 2015 das dortige „Institut für Religion und Gesellschaft“ als Direktorin leitet und dazu noch Prorektorin für Diversität, Inklusion und Talententwicklung der Universität ist. Unter dem Titel „Theologie im Zeichen von Diversität“ feierte sich das ungemein innovative Institut in einer Feststunde am Mittwochnachmittag und -abend im kleinen Vortragssaal eines Restaurants in einem ehemaligen Bauernhof nahe der RUB-Mensa ein wenig selbst – und dabei stand fast zwangsläufig Isolde Karle im Vordergrund, die zugleich eine der HerausgeberInnen von „zeitzeichen“ ist.

Karles Institut – so kann man das wohl formulieren – ist so etwas wie der Leuchtturm einer „linken“, kritischen Theologie in Deutschland, wobei zu vermuten ist, dass sie und die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen diese etwas platte Kurzcharakteristik als viel zu undifferenziert bemängeln würde. Aber es ist doch so: Wer sich seit vielen Jahren, ja seit Jahrzehnten und viel früher als die meisten anderen hierzulande mit Gender- und Diversitätsforschung, mit den Arbeitsfeldern und den Themen der Queer-Theology, der Pastoralmacht und sexualisierter Gewalt, mit Kirche und Klassismus, mit Rassismuskritik, mit der Kirche im Klimawandel und mit Antisemitismus beschäftigt (um nur ein paar der Forschungsschwerpunkte zu nennen), der oder eher: die hat sich innerkirchlich und gesellschaftlich klar positioniert.

Viel Gegenwind

Dazu gehört Mut und Hartnäckigkeit – und die Bereitschaft, viel Gegenwind auszuhalten. Das gilt nicht erst, seitdem in den USA eine ausdrücklich anti-woke, ja zum Teil antidemokratische Regierung die Macht übernommen hat, die einen weltweiten Kulturkampf gegen alles führt, was noch vor wenigen Jahren als links oder nur als selbstkritisch galt. Das betrifft die Universitäten der Vereinigten Staaten und am Ende die ganze amerikanische Gesellschaft. Und natürlich gibt es Auswirkungen dieser Bewegung in Europa und auch in Deutschland. Der Zeitgeist ist derzeit eher rechts und populistisch, fast überall auf dem Globus.

Auch in dieser Hinsicht ist die Perspektive des Karles Instituts von bleibender Bedeutung, ja vielleicht wichtiger denn je. Denn auch die Theologie steht derzeit im Feuer dieses weltweiten Kulturkampfes. Und die Vorträge und Reden dieser Feier reflektierten dies. In einem Grußwort warnte die Dekanin der evangelisch-theologischen Fakultät der RUB, Ute Gause, etwa vor einem zunehmenden Rechtsdrall in der Gesellschaft, der nicht zuletzt zu einer Explosion des Antisemitismus und Antifeminismus geführt habe. Isolde Karle sprach wie viele in dieser Feststunde mit größtem Unverständnis die unsägliche, ja latent rassistische „Stadtbild“-Diskussion an, die Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) vom Zaun gebrochen hat. Karles Fakultätskollege Traugott Jähnichen, Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der RUB, vertiefte in einem ideen- und geistreichen Festvortrag seine, grob gesagt, befreiungstheologischen Ideen zur gegenwärtigen Entwicklung, angelehnt an einige Grundgedanken Dietrich Bonhoeffers. Der sprechende Titel seines Vortrags: „Perspektivwechsel: Ein Blick von unten auf Kirche und Gesellschaft.“

„Liberaler Rassismus“

Schließlich ergriffen Sarah Vecera und Nathalie Eleyth in einer Art Dialogvortrag das Wort, um ihre Perspektiven zum Thema „Rassismuskritische Kirche und Theologie“ zu schildern – es sind zwei Theologinnen, die seit Jahren auch mit der Hilfe von Karles Institut ihren theologischen Ansatz als Persons of Color und schwarze Frauen in Kirche, Theologie und Gesellschaft zur Diskussion stellen und propagieren. Besonders eindrücklich war ihre Kritik an der nach ihrem Eindruck immer noch überwiegend „weiß markierten“ Evangelischen Kirche in Deutschland – und an einem „liberalen Rassismus“, der unter anderem beim Bundeskanzler zu beobachten sei, nicht zuletzt wegen seiner „Stadtbild“-Bemerkungen.

Je nach Geschmack aber verblassten alle diese Eindrücke und Gedanken vor der herzlichen Zuneigung, die Karle entgegenschlug, als ihre „Schülerinnen und Schüler“ Worte des Dankes ihr gegenüber fanden – im Grunde war dies der eigentliche Höhepunkt der Veranstaltung. Es sind junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nun in der akademischen Welt nach Promotion oder Habilitation mit Hilfe von Karle ihren Weg suchen oder gefunden haben. Das „Institut für Religion und Gesellschaft“ war für alle der rund zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerinnen, die sprachen, ein Ort, der sie im besten Sinne des Wortes inspiriert, ja ganz offensichtlich auch beglückt hat. Und das lag, so scheint es, nicht zuletzt, nein: vor allem an Isolde Karle.

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