„Nicht umhauen lassen“
Judenhass ist ein hartnäckiges Problem, aber besonders in den vergangenen Jahren ist es in Deutschland und in der Welt zu einer starken Zunahme von Antisemitismus gekommen. Im zeitzeichen-Gespräch äußert sich die Frankfurter Rabbinerin Elisa Klapheck zu diesen Fragen und im Speziellen zum Stand und Wesen des jüdischchristlichen Dialogs. Dieses Gespräch ist der Abschluss unserer Serie anlässlich des 50-jährigen Bestehens der EKD-Schrift „Christen und Juden“ von 1975.
zeitzeichen: Frau Professorin Klapheck, der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat jüngst nochmal die explosionsartige Zunahme des Antisemitismus beklagt. Erleben Sie das auch so? Wie nehmen Sie die Situation im Moment wahr?
ELISA KLAPHECK: Die Zahlen sprechen für sich. Was ich aber persönlich vor allem erlebe, ist, dass wir um Jahrzehnte zurückgeworfen werden in der Vorstellung, dass jüdisches Leben ein normaler Bestandteil der allgemeinen Gesellschaft ist. Ich gestehe allerdings, dass ich das Wort Normalität nicht mag.
Was mögen Sie daran nicht?
ELISA KLAPHECK: Man sollte grundsätzlich keine Normalität anstreben. Man sollte immer das Besondere und das Interessante anstreben. Insofern bin ich sehr gerne Jüdin, weil ja das Judentum von sich sagt, etwas Besonderes zu sein, und sich nicht einfach so einfügt. Das Recht, anders zu sein, ist für jede pluralistische Gesellschaft grundlegend. Ich glaube, dass das Judentum auch von der allgemeinen Bevölkerung als etwas Besonderes, Interessantes für sich wahrgenommen wird. Und wenn zum Beispiel ein ZDF-Nachrichtensprecher zu Chanukka plötzlich unvermittelt „Chag Sameach“ (deutsch: „Frohe Feiertage“) sagt, freut es mich sehr, wenn auf positive Art diese Besonderheit wertgeschätzt wird.
Das erscheint aber derzeit weit weg.
ELISA KLAPHECK: Ja, leider. Man sieht den Anstieg der antisemitischen Straftaten, und man kommt gar nicht mehr zu den positiven Inhalten des Judentums. Es ist sehr belastend, dass man in diese negative Bahn reingezogen wird und konstatieren muss, dass der Antisemitismus, die antijüdische Feindschaft, nach wie vor gegeben ist und auch stärker werden kann. Darauf muss man gesellschaftlich reagieren und gegensteuern. Ich will aber sagen, dass wir alle paar Jahre so etwas haben.
Wie meinen Sie das?
ELISA KLAPHECK: Wir hatten den Anschlag auf die Synagoge in Halle zu Jom Kippur 2019. Wir hatten 2012 eine Beschneidungsdebatte in Deutschland. Die war sehr unangenehm. Es war ein richtiger Angriff auf das jüdische Leben. Wir hatten 1998 die Walser-Rede in der Paulskirche, in der der Verweis auf Auschwitz als Moralkeule abgetan wurde. Wir hatten in den Jahren 1986/87 eine Historiker-Debatte, in der versucht wurde, die historische Bedeutung des Holocaust herunterzuspielen. Wir haben in regelmäßigen Abständen solche antijüdischen Debatten und auch antisemitische Straftaten: Immer wieder gibt es Anschläge auf jüdische Einrichtungen, schon 1969 wurde auf das Jüdische Gemeindehaus in Berlin ein Bombenanschlag verübt, 1994 auf die Synagoge in Lübeck, 1998 auf die Synagoge in Düsseldorf. Die Kette reißt nicht ab. Vielleicht gibt es nicht unbedingt mehr Antisemitismus als früher, er ist nur viel lauter geworden – und das Weltgeschehen viel schlimmer.
Neu scheint zu sein, dass sich derzeit der Antisemitismus vielleicht so stark wie nie in Israelkritik kleidet, oder?
ELISA KLAPHECK: Auf jeden Fall. Sie gehört inzwischen zum Mainstream und wurde durch die Zuwanderung von Muslimen nach Deutschland noch verstärkt. Ich gehöre trotzdem zu den Optimisten beziehungsweise zu denjenigen, die sich dadurch nicht umhauen lassen.
Das glauben wir sofort.
ELISA KLAPHECK: Der Kampf gegen den Antisemitismus muss doch zugleich ein Kampf für die Demokratie sein. Ich möchte den Antisemitismus nicht gesondert sehen als ein Phänomen, was sich nicht erklären lässt und immer da ist. Ich möchte ihn im jeweiligen Kontext sehen, dass, so wie der Präsident Schuster das gesagt hat, die Feinde der Demokratie meistens auch die Feinde des Judentums sind, dass man diesen Kontext erkennt.
Was wären die Bedingungen für Ihren Optimismus?
ELISA KLAPHECK: Er hängt auch damit zusammen, wie viel die Politik zulässt. Eine Demokratie, die nicht wehrhaft ist, die das antisemitische Gemurmel verharmlost, die unter dem Deckmantel Meinungsfreiheit schlimmste Sachen aussprechen lässt, die antijüdische Ressentiments nicht als Angriff auf sich selbst erkennt, ermuntert gerade die antidemokratischen Kräfte, sich zu äußern. Es hängt eben auch von der obersten Ebene ab, auch in der Politik, wie viel zugelassen wird und wie viel gegengesteuert wird. Man muss die antijüdischen Ressentiments in ihrer Erbärmlichkeit entlarven, Antisemitismus als Sinnbild für Scheitern und politische Rückständigkeit erkennbar machen. Anti-Israelismus bedeutet, die arabische Welt, ihre unterdrückerischen Regime und Korruption hinzunehmen, schönzureden und hierfür die Juden, die mit dem Staat Israel die einzige Demokratie in der Region errichtet haben, zu opfern. Das heißt nicht, dass man die Politik der Regierung Netanjahu nicht kritisieren soll.
Wenn wir von den Spitzen der Kirchen sprechen, dann hört man von dort immer: Man muss Antisemitismus bekämpfen. Antisemitismus sei Gotteslästerung. Reichen diese Worte der Kirchen aus?
:ELISA KLAPHECK: Mir reichen diese Worte nicht aus. Es gibt ja auch eine Krise des Christentums in unserer Gesellschaft. Meiner Meinung nach ist Teil davon, dass sie zu wenig das tatsächlich jüdisch-christliche Erbe Europas, zum Beispiel die Vordenker des demokratischen Rechtsstaates, die sich allesamt auf die Hebräische Bibel bezogen haben, würdigen. Dieses religiöse Erbe ist verschüttet und spielt keine Rolle in Deutschland.
Die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs hat in unserem Magazin in einer Serie zum 50-jährigen Jubiläum der EKD-Schrift „Christen und Juden“ geschrieben, der jüdisch-christliche Dialog sei eine erfolgreiche Dialoggeschichte. Er würde einen Kontrapunkt setzen gegen die Polarisierung unserer Tage. Ist das zu optimistisch?
ELISA KLAPHECK: Ich sehe den christlich-jüdischen Dialog durchaus auch positiv, aber es ist nur eine kleine Minderheit, die ihn führt. Es sind vor allem Christen, die dankbar sind, dass es im Christentum selbst noch ein Anderes gibt, das Judentum nämlich. Wie ein Kontrapunkt in der Musik, ein jüdisches Pfefferkorn im Christentum, das die eigene Religion interessanter macht. Und ähnlich ist es auch im Judentum, denn wichtige religiöse Vorstellungen, die in der jeweiligen christlichen oder muslimischen Mehrheitsgesellschaft wichtig waren, haben sich auch im Judentum niedergeschlagen. Der Dialog hilft mir, das Judentum in größeren Kontexten sehen zu können.
Inwiefern?
ELISA KLAPHECK: Ich finde es wichtig anzuerkennen, dass sich eine Religion nie allein, nur aus sich selbst heraus entwickelt. Da gibt es immer noch die Anderen, ohne die das Eigene nicht erkennbar wäre. Ich habe jedoch den Eindruck, dass der Dialog lange hauptsächlich davon bestimmt war, dass Christen das völlige Versagen des Christentums in der Nazizeit erkannt hatten und so etwas wie Sühne durch Dialog wollten. Die neue Generation muss den Dialog jedoch auch auf neue Füße stellen, um ihn weiter tradieren zu können.
Wie könnte das aussehen?
ELISA KLAPHECK: Heute geht es darum, das jüdisch-christliche Erbe wieder stark zu machen, um eben die Demokratie zu verteidigen, um gegen Antisemitismus kämpfen zu können. Der Anti-Israelismus von heute ist in einem anderen Kontext zu sehen als der antisemitische Rassismus der Nazizeit. Auch wenn es im Kern dasselbe sein mag, müssen die unterschiedlichen Ausformungen in ihrer Zeit berücksichtigt und bekämpft werden.
Haben Sie den Eindruck, dass von christlicher Seite dieser Dialog eher zur Beruhigung des eigenen schlechten Gewissens wegen der Nazi-Zeit angestrebt wurde, zumal die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Dialogs heute meist reifen Alters sind?
ELISA KLAPHECK: Bis zu einem gewissen Grad ja. Warum gibt es bei diesem Dialog so wenige aus der jüngeren Generation? Woran liegt das? Ich will aber hier nicht allein der christlichen Seite die Verantwortung zuschieben. Es geht auch an die jüngere jüdische Generation: Warum interessieren sich so wenige für diesen Dialog?
Ja, woran könnte das liegen?
ELISA KLAPHECK: Wir haben es heute auch mit einem Traditionsabbruch zu tun. Zur politischen Krise gehört, dass eine jüngere Generation sich nicht mehr ausreichend engagiert, in ehrenamtliche Ämter geht. Wer will in einem Verein noch für den Vorstand kandidieren? Wer engagiert sich schon in einer demokratischen Partei? Vielleicht fehlt es an inhaltlicher Substanz, die junge Juden, junge Christen interessieren könnte. Theologisch-politische Fragen: Woher kommt die Demokratie? Kommt sie auch aus der Tora? Hat Gott das Wahlrecht, die Mehrheitswahl, die Diskussion und Argumentation am Berg Sinai geboten? Ist die Gleichberechtigung der Frau Teil der Offenbarung? Welche Rolle spielen die Gesetze beziehungsweise spielt die Idee einer Offenbarung in Form von Gesetzen und Recht? Das sind alles sehr interessante Fragen. Der christlich-jüdische Dialog ist noch nicht ausreichend auf die Zeit zwei Generationen nach der Shoah eingestellt.
Fehlt es da vielleicht auch an den theologischen Grundlagen auf beiden Seiten? Wie etwa Matthias Morgenstern in unserer Serie zur EKD-Erklärung geschrieben hat, ist zum Beispiel wenig bewusst, dass erst im frühen fünften Jahrhundert die Trennung von Judentum und Christentum wirklich stattgefunden hat. Fast unbekannt ist, dass beide Religionen eine lange gemeinsame Geschichte haben. Wer weiß das heute?
ELISA KLAPHECK: Es gibt diese lange gemeinsame Geschichte, aber auch Gründe, warum es auseinanderging. Da spielte das Konzil von Nicäa eine wichtige Rolle.
Es gibt bei Juden und Christen ja eine offensichtliche gemeinsame Grundlage, nämlich das so genannte Alte Testament. Das sollte eigentlich das Christentum und das Judentum verbinden. Aber wenn man genauer hinschaut, wie das Alte Testament interpretiert wird, gerade christlicherseits, dann ist das ein Problem im jüdisch-christlichen Dialog: Kristin Weingart hat das in unserer Serie beschrieben: Wenn die Hebräische Bibel nur christologisch gedeutet wird nach dem Motto: In diesen alten Schriften des Judentums sei Jesus Christus schon angekündigt worden, dann ist das ja kein Ernstnehmen des Judentums und seiner Schriften, oder?
ELISA KLAPHECK: Das sehe ich auch so: Warum hat man, wenn man evangelische oder katholische Theologie studiert, nicht die Pflicht, auch das Judentum zu lernen? Es ist zumeist kein Pflichtteil in den Curricula, sondern hängt von dem Professor oder der Professorin ab, wie engagiert er oder sie in puncto Judentum ist. Es wäre aber ganz wichtig zu lernen, welchen jüdischen Kontext Jesus spiegelt, wie damals die Mischna entstand, das beginnende rabbinische Judentum. Dann würde zum Beispiel ein Begriff wie Pharisäer in seinen jüdischen Kontext gestellt. Wer waren die Pharisäer zur Zeit von Jesus, wie werden sie im Talmud dargestellt, was waren ihre Lehren?
Jesus wäre als Rabbiner und Pharisäer zu betrachten.
ELISA KLAPHECK: Diese Theorie gibt es. Jesus habe selber der pharisäischen Richtung angehört, war darin aber ein Oppositioneller. Es fehlen von christlicher Seite her absolut die Grundlagen, um die jüdische Interpretation der Hebräischen Bibel, des sogenannten Alten Testamentes, nachvollziehen zu können. Es ist aber leider so, dass auch auf jüdischer Seite viel Wissen fehlt. Ich sehe es inzwischen durchaus als eine beidseitige Angelegenheit, dass wir unsere Grundlagen wieder erschließen müssen.
Wenn wir auf Martin Luther schauen, hat der die Hebräische Bibel stark christologisch gedeutet, also „was Christum treibet“, wie er das genannt hat, aber er hat sie andererseits auch in gewisser Weise jüdischer betrachtet, indem er wieder auf den hebräischen Urtext zurück ging und zum Teil eine wörtliche Auslegung forderte. Sehen Sie diese Ambivalenz auch bei Luther?
ELISA KLAPHECK: Ja, es wird sehr stark betont, dass Luther antijüdisch, antisemitisch geworden ist. Und das ist auch leider so. Er hat furchtbare Sachen gesagt, etwa dass man die Juden verbrennen soll in ihren Gotteshäusern. Da hat die protestantische Kirche in jedem Fall eine Ambivalenz gegenüber ihrem höchsten Theologen zu beklagen. Aber ich möchte andererseits sagen, Luther gehört für mich auch zu einem hebraistischen Erbe, zu denjenigen, die die Bibel wieder im Originaltext gelesen hatten, in Hebräisch. Daraus entwickelten Theologen wichtige Momente, die zur Liberalisierung der Religion, zur Autonomie des Individuums und zu anderen Aspekten geführt haben. Insofern möchte ich Luther nicht grundsätzlich verwerfen. Ich habe einmal einen Aufsatz „Luther als Targum“ geschrieben. Der Targum war die rabbinische Übersetzung der Tora ins Aramäische, verstand sich jedoch zugleich als exegetische Deutung: also keine Eins-zu-eins-Übersetzung, sondern ein deutender Annäherungsversuch an den Text. Luthers Übersetzung wäre danach als ein Deutungsbeitrag im großen theologischen Diskurs zu sehen.
Was würde das bedeuten?
ELISA KLAPHECK: Luther hat ja versucht, sprachlich so nah wie möglich an den hebräischen Bedeutungen zu bleiben. So hat er der deutschen Sprache ein hebräisches Erbe vermittelt. Ganz viele Sprachbilder haben wir aus der Hebräische Bibel, dem so genannten Alten Testament, zum Beispiel aus den Proverbien „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“ und viele andere hebräische Formulierungen. Ich würde gerne eine zweite Diskussion haben, in der gezeigt wird, wie Luther bei aller richtigen und wichtigen Kritik, eben doch viel Jüdisches in das Christentum hineintradiert hat. Den Protestantismus im Wortsinne, den Protest gegen zentralistische Gewalt etwa.
Es bleiben die dunklen Seiten Luthers.
ELISA KLAPHECK: Es war ein großes Unglück, dass Luther zu viel von den Juden erwartete – vor allen Dingen immer wieder die Konversion. Im heutigen Diskurs sollten wir ein für alle Mal hinter uns lassen, die anderen überzeugen zu wollen, dass ihre Religion minderwertig ist und sie zu unserer Religion kommen müssen. Man sollte lieber anerkennend sehen, was die anderen jeweils geleistet haben und welche Scheiben man sich da abschneiden kann. Die antijüdische Polemik, die etwa in der Platzierung von Ochs und Esel, symbolisch für das jüdische Volk und die Heiden, in der Weihnachtsgeschichte bei Lukas liegt, könnte und wird zum Teil in der jüdischen Diskussion über die Ursprungsquelle in der Hebräischen Bibel, bei Jesaja (1,3), ganz anders interpretiert, nämlich vor dem Hintergrund eines Verses, dass Ochs und Esel nicht unter ein einziges Joch gespannt werden sollen (5. Mose 22,10). Das geht in Richtung Tierrechtsdiskussion. Ähnlich wie das Gebot in der Tora, wonach auch die Arbeitstiere Schabbat haben, und die Frage, ob Tiere eine eigene Beziehung zu Gott haben.
Vielleicht muss jede Generation der Christen und Juden neu lernen, wie sehr man zusammenhängt, dass die Verbundenheit miteinander ein Grundwissen bleibt?
ELISA KLAPHECK: Da frage ich aber zurück: Reicht die Motivation heutiger Christen, das Interesse für das Judentum aufrechtzuerhalten? Oder ist das Christentum so beschaffen, dass jetzt, da das Erschrecken über das Versagen der eigenen Kirche in der Shoah verblasst, auch die Tragflächen einer Verbundenheit wegrutschen? Und sind die inneren Mechanismen des Christentums vielleicht so stark, dass sich das Christentum immer über das Judentum stellen wird, wenn sich nicht die Kräfte von innen dagegen verwahren?
Eine gute Frage!
ELISA KLAPHECK: Und ist heute nicht insgesamt ein Backlash im Gange?
Wie meinen Sie das?
ELISA KLAPHECK: Ein Rückschlag im Christentum oder durch das Christentum im Zusammenhang mit dem konservativen Backlash, den wir jetzt in den USA beobachten, etwa bei den Evangelikalen, die die biblische Rolle der Frau hochhalten. Ich bin ganz erstaunt, wenn die so genannten Tradwifes als eine attraktive Option für junge Frauen gesehen werden.
Das ist seltsam. Auch beängstigend. Was gibt Ihnen dennoch Hoffnung?
ELISA KLAPHECK: Ich glaube nicht, dass der Antisemitismus das letzte Wort hat. Ich glaube auch nicht, dass der Antisemitismus nicht aufschlüsselbar wäre. Wenn bestimmte gesellschaftliche Kräfte Probleme mit dem Judentum haben, lässt sich herausfinden, woran das liegt. Meist hat es nichts mit realen Juden zu tun, sondern ist reines Ressentiment aufgrund von eigenen Problemen, bei denen man die Eigenverantwortung nicht sehen will. Es gibt Gesellschaften, da haben andere die Rolle der Juden. Die Chinesen in Indonesien zum Beispiel. Oder die Christen in einigen Ländern mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung, wo teilweise, wie heute in der Türkei, ein schleichender Genozid an der aramäischen Minderheit verübt wird. Überall, wo die eigene Kultur in einer Selbstlähmung gefangen ist, werden Sündenböcke gesucht. Weil das durchschaubar ist, ist es meiner Meinung nach auch lösbar. Deshalb bleibe ich Optimistin.
Das Gespräch führten Philipp Gessler und Reinhard Mawick am 8. Oktober 2025 per Videokonferenz.
Elisa Klapheck
Dr. Elisa Klapheck ist Rabbinerin und Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) in Frankfurt.
Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur der "zeitzeichen". Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ökumene.
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.