Der Name „Goldbergvariationen“ für das vielleicht berühmteste Cembalowerk Johann Sebastian Bachs stammt nicht vom ihm selbst. Bach betitelte das Stück schnöde, aber recht präzise mit Clavier Ubung bestehend in einer Aria mit verschiedenen Veränderungen vors Clavicimbal mit 2 Manualen. Denn genau das ist es: Eine Aria, die dreißigmal variiert wird und dann mit der Wiederholung der Aria schließt. Angeblich soll Bach sie einst für einen Grafen geschrieben haben, der sich von Bach „Clavierstücke“ wünschte, die ihn in seinen „schlaflosen Nächten“ etwas aufheitern könnten, wenn sie ihm von seinem Cembalisten vorgespielt würden. Dieser Cembalist hieß Johann Gottlieb Goldberg, und nach ihm wurde das Werk im 19. Jahrhundert benannt.
Allerdings gibt es keine weiteren Belege für diese Schnurre, die erst der Bachbiograf Johann Nikolaus Forkel überliefert. Jedenfalls regt es die Fantasie von Konzertveranstaltern an. So war vor vielen Jahren im Berliner Radialsystem einmal ein Konzert mit den so genannten Goldbergvariationen liegend auf der Isomatte zu erleben. Ein herrlicher und überaus rückenschonender Abend. Ein Konzertbesucher schlief damals ein, aber glücklicherweise währte das störende Schnarchen nicht lange …
Nun ist in diesem Jahr eine sehr bemerkenswerte Bearbeitung jener Bachschen Clavier Ubung erschienen: Das französische Barockensemble Nevermind, 2013 gegründet, agiert in der Besetzung Flöte, Violine, Viola da Gamba und Cembalo. Es ist die gängige Quartett- und Triosonatenbesetzung des 17. und 18. Jahrhunderts, bevor dann das klassische und romantische Streichquartett in Mode kam. Für diese Besetzung haben die vier Musiker:innen um den Cembalisten Jean Rondeau eine wirklich beeindruckende Transkription erstellt, die selbst gewiefte Kenner der Tastenwerke Bachs den Zyklus nochmal ganz neu entdecken lassen, ja, entstanden ist eine gigantische neue Triosonate, an der man sich kaum satthören kann. Es ist dies eines der bisher spannendsten Projekte der Bearbeitung Bach’scher Werke und zwar streng auf der Grundlage barocker Arrangier- und Kompositionspraxis, die Bach selbst ja auch immer wieder an seinen Werken praktizierte. Die Farben der Instrumente, insbesondere die berückende Traversflöte, die der Aria einen ganz neuen Glanz verleiht, schaffen aus dem alten quasi ein neues Stück. Über ihr Vorgehen beim Bearbeiten legen die Vier von Nevermind im ausführlichen Booklet überdies präzise Rechenschaft ab.
Fazit: Ein großer Wurf, der auch alle begeistern dürfte, die bisher über ihre Kultaufnahmen der Goldbergvariationen – sei es auf dem Klavier Glen Gould oder auf dem Cembalo Gustav Leonhardt – nichts kommen ließen. Nur zu, es ist wirklich eine Entdeckung, irgendwie vertraut, aber siehe, doch ganz neu!
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.