Keine Triggerbegriffe!

Eindrücke und Gespräche von der internationalen Konsulation der NEST
Teilnehmende der Konsultation der (NEST) beim gemeinsamen Formulieren des Abschlussdokuments, Juni 2025.
Foto: EMS
Teilnehmende der Konsultation der (NEST) beim gemeinsamen Formulieren des Abschlussdokuments, Juni 2025.

Zu Pfingsten trafen Studierende und Dozenten der „Near East School of Theology“ in Beirut - kurz: NEST - in Deutschland mit ehemaligen deutschen Absolventinnen und Absolventen eines Studienjahrs zusammen. Der Theologe Uwe Gräbe von der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS) war dabei. Sein persönliches Fazit:  Zusammenbleiben und respektvoll aufeinander hören ist in diesen Zeiten schon viel. 

 „Manchmal beginnt alles mit dem Mut, zusammen im selben Raum zu bleiben. Kaffee einzuschenken. Zuzuhören.“ Mit diesem Satz der jungen Syrerin ist wohl alles gesagt, was die internationale Konsultation ausmachte, die Anfang Juni in Frankfurt, Bochum und Erfurt stattfand. Von der „Near East School of Theology“ (NEST), einem kleinen protestantischen Seminar in Beirut sind sie gekommen: Studierende und Dozenten; Syrerinnen, Libanesen, ein Palästinenser – und alle haben rechtzeitig ihre Visa erhalten! Hier treffen sie sich mit einer ungefähr gleich großen Gruppe an Deutschen, die eines verbindet: Sie haben in den vergangenen 25 Jahren alle ein interkulturelles Studienjahr an der NEST verbracht, entsandt von der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS) in Stuttgart zum „Studium im Mittleren Osten“ – kurz: SiMO. 

Die NEST ist nicht allein theologische Aus- und Fortbildungsstätte der winzigen reformierten, armenisch-evangelischen, lutherischen und anglikanischen Kirchen des Nahen Ostens, sondern hält ihre Pforten seit jeher auch weit geöffnet für internationale Studierende, die hier in die Realität des christlichen Orients und eines oft spannungsbeladenen Miteinanders mit den muslimischen Gemeinschaften in der Region eintauchen wollen.

Die Konsultationsgruppe in Erfurt.
Foto: EMS

Die Near East School of Theology (NEST), gegründet 1932 durch den Zusammenschluss zweier Vorgängereinrichtungen, deren Wurzeln bis 1835 zurückreichen, findet sich seit 1971 in einem schmucklosen, modernen Gebäude im Herzen von Beirut.

Das diesjährige Konferenzthema lautet: „Christliches Leben und akademische Partnerschaft angesichts von Mehrfachkrise und Polarisierungen“. Jede und jeder von denen, die da von der NEST angereist sind, bringt dazu ein jeweils ganz eigenes Paket an Erfahrungen mit: Aus der syrischen Küstenebene etwa, wo es weniger als drei Monate zuvor erstmals seit dem Regimewechsel zu Massakern an der alawitischen Bevölkerung gekommen ist.  Aus dem äußersten Nordosten Syriens, wo arabische, türkische, kurdische, amerikanische und assyrische Kräfte seit Jahren um Dominanz ringen, und wo die riesigen Gefängnisse mit Kämpfern des „Islamischen Staates“ tickende Zeitbomben darstellen. Aus den Gebieten auf der syrischen Seite des Berges Hermon, die neuerdings von israelischem Militär kontrolliert werden. Aus dem Südlibanon, wo ganze Dörfer im jüngsten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah komplett verwüstet wurden. Aus den Stadtteilen Beiruts, die ebenfalls zahlreichen Bombardements ausgesetzt waren. Und aus der palästinensischen Stadt Nablus, wo seit dem Beginn des Gaza-Krieges die Übergriffe jüdischer Siedler und die Abrieglungen durch israelisches Militär noch mehr als sonst den Alltag prägen. 

Die Teilnehmenden der Tagung haben Poster mitgebracht, von sich selbst und von ehemaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen, in denen sie versuchen, ihren deutschen Partnern etwas von ihrer Lebenssituation zu vermitteln. In diesen Texten und Bildern ist nichts von Verbitterung zu spüren. Aber ganz oft die Bitte: Urteilt nicht vorschnell über unsere Realität. Bemitleidet uns auch nicht. Sondern hört uns zu. Seid offen für unsere Erfahrungen. Betet für uns. Wir möchten vor allem gesehen werden. – Und dann fällt da auch der Satz vom selben Raum und vom Kaffee…

Elefant im Raum

Es braucht eine Zeit des Team-Buildings, des Erspürens: Wie „ticken“ die anderen jetzt, nach alldem, was in der letzten Zeit passiert ist? In den zurückliegenden fünf Jahren hat zwischen Pandemie und Krieg nur ein SiMO-Jahrgang (2022/23) wie geplant stattfinden können, und aufgrund der Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes für den Libanon ist auch in diesem Jahr keine Entsendung geplant. Da muss man sich erst wieder ein wenig an die jeweils anderen herantasten. 

Die Gespräche sind zunächst vorsichtig; erkennbar ist das Bemühen, Formulierungen zu vermeiden, die von anderen als „Trigger-Begriffe“ verstanden werden könnten – als Begriffe also, die eher dazu geeignet sind, die Kommunikation abzubrechen, als Gesprächskanäle zu öffnen. „Apartheid“ etwa; oder „Genozid“. Es lässt sich ja auch anders über erfahrene Verwüstungen an Leib und Seele sprechen – im Südlibanon etwa. Auch wenn es denen, die hier unter unsäglichen Bedingungen pastorale Arbeit mit Kriegsopfern geleistet haben, verständlicherweise nicht leichtfällt, auch die Zerstörungen in den Blick zu nehmen, die die Menschen im Norden Israels im selben Krieg erfahren haben.

Die Konsultationsgruppe in Erfurt.
Foto: EMS

Die Konsultationsgruppe in Erfurt.

Und dann steht der berühmte Elefant plötzlich deutlich sichtbar im Raum. Ursprünglich waren es die Partner von der NEST selbst, die bereits in jenem vermaledeiten Herbst 2023 (ob unmittelbar vor oder nach dem 7. Oktober weiß niemand mehr so genau) vorgeschlagen hatten, man müsse doch dringend einmal miteinander über „Israel als biblisches und theologisches Thema im Nahen Osten“ sprechen. Ein Angebot war das wohl, endlich einmal die zumeist unausgesprochene Wahrnehmung zu thematisieren, dass (einige) Deutsche wohl theologische Ansichten vertreten, die im Libanon oder in Syrien, in Jordanien oder Palästina so nicht geteilt werden – um es zurückhaltend auszudrücken. Oder zugespitzt: Während im gesamten Globalen Süden wie auch in den progressiven Milieus der Westlichen Welt allenthalben die „Postkolonialen Studien“ vorangetrieben und auch Theologien dekolonisiert werden, scheint es nach dieser Wahrnehmung unter anderem in Deutschland noch einige zurückgebliebene „Reservate“ zu geben, in denen ein aggressives, koloniales Handeln der Organe des modernen Staates Israel theologisch offenbar legitimiert wird. 

Damit ist ein zentrales Spannungsfeld in der Partnerschaft benannt. So geht es nun in einem ersten Hauptvortrag aus deutscher Perspektive um Post-Shoah-Theologien und die Frage, welche Bedeutung diese nach dem 7. Oktober 2023 (noch) haben. Ein zweiter Hauptvortrag aus libanesischer Perspektive befasst sich anschließend mit dekolonisierenden Theologien im Kontext der Entwicklungen seit dem 7. Oktober. Fast ist das Knistern in der Atmosphäre zu spüren, als der neue Hochschulpräsident der NEST, Martin Accad, fünf Regeln für einen multinarrativischen Zugang zu solchen Themen benennt. Erstens: Empathie mit dem, der die Dinge völlig anders sieht als ich. Zweitens: die Validität des je anderen Narrativs voraussetzen. Drittens: Anerkennen, dass das andere Narrativ in seinem jeweiligen Kontext möglicherweise einen Sinn ergibt – und das eigene Urteil somit vorübergehend zurückstellen. Viertens: Lernen vom je anderen Narrativ. Fünftens: Gnade walten lassen bei der Antwort und dabei zunächst das eigene Empfinden ausdrücken.

Zwei Reaktionen

Aber was lässt sich in diesem Setting und vor einem Hintergrund unmittelbarer Betroffenheit von all der Gewalt in Nahost überhaupt aus dem weiten Feld der Post-Shoah-Theologien referieren? Darüber mag es gewiss auch innerhalb der deutschen Gruppe höchst unterschiedliche Ansichten geben. Der Referent versucht es damit: dass das Bemühen von (einigen) Christinnen und Christen um eine Erneuerung des christlich-jüdischen Verhältnisses seit ungefähr 60 Jahren und das Entstehen einer nationalen Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes seit rund 130 Jahren im Grunde zwei Reaktionen sind auf dasselbe Phänomen: nämlich auf die Pest des weltweiten Antisemitismus, der seinen Kulminationspunkt in der Judenvernichtung durch deutsche Hände und auf deutschen Befehl gefunden hat, und zu dessen wesentlichen Wurzeln auch der christliche Antijudaismus zählt. Dass historische Erfahrungen aus dem Nahen Osten von einem harmonischen Miteinander der unterschiedlichen Gemeinschaften zwar unbedingt wertzuschätzen sind – dass der mörderische Antisemitismus aber dennoch kein rein deutsches oder europäisch-christliches Phänomen ist. Es gab und gibt ihn auch anderswo – auch in Nahost. 

Dieser Antisemitismus aber ist nicht einfach eine weitere Spielart des Rassismus. Während der Rassismus beispielsweise auf Schwarze, Asiaten, Araber und andere herabblickt, speist sich Antisemitismus stets auch aus jener „Furcht vor den Juden“ (Johannes 20,19), die schließlich zu der wahnwitzigen Idee führt, Juden seien eine besonders clevere Menschengruppe, die durch Kontrolle der Medien und des Finanzwesens schließlich die Welt ins Unglück führe – und derer man sich folglich mit allen Mitteln erwehren müsse. Hätten Israelis und Juden weltweit den Terror des 7. Oktober 2023 mit seinen Morden, Entführungen und Vergewaltigungen überhaupt anders verstehen können, denn als konsequente Fortschreibung dieser wahnwitzigen Idee mit den aus ihr gespeisten Pogromen? 

Sicher ist die von arabischen Theologen immer wieder vorgebrachte Forderung berechtigt, zwischen biblischem und gegenwärtigem Israel deutlicher zu unterscheiden, statt simple biblizistische Gleichsetzungen vorzunehmen. Allerdings darf dieses Unterscheiden nicht zu einem Scheiden, zu einem Bestreiten jeglicher Kontinuität führen. Nur für Christen ist es hingegen begründungsbedürftig, wenn sie sich in einer Kontinuität mit dem biblischen Gottesvolk verstehen wollen. Womöglich geht dies auch nicht ganz ohne das Bekenntnis zu Jesus, dem Juden – einem Jesus, dessen Jude-Sein keine zufällige Akzidenz („ein jüdischer Palästinenser“) darstellt, sondern beispielsweise alle seine Streitgespräche und seine Auslegung biblischer Verheißungen in einen innerjüdischen Kontext stellt, aus dem heraus erst ihre theologische Relevanz erwächst.

Post-Shoah oder postkolonial?

Natürlich sind solche Überlegungen anstößig im Gespräch mit arabischen Christinnen und Christen. Ebenso anstößig wie der Versuch, den Zionismus mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen konsequent als nationale Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes zu verstehen – bei allem Eingeständnis, dass sich Befreiungsbewegungen weltweit stets unterschiedlich entwickelt haben: die einen zu geordneten Gemeinwesen, die anderen zu despotischen Systemen. Wo in diesem Spektrum der Staat Israel einzuordnen ist, kann durchaus offen diskutiert werden; schließlich wird es auch innerisraelisch heftig diskutiert. Und, ja, die völlige Verwüstung des Gazastreifens, der Hunger und das massive Elend seiner Bevölkerung sind nicht zu rechtfertigen. Schon gar nicht theologisch.

Doch der Widerspruch, der in solchen internationalen, ökumenischen Debatten entsteht, ist ein grundsätzlicher: Schon längst gilt es in weiten Teilen der weltweiten Christenheit – und zumal im arabischen Raum – als Selbstverständlichkeit, dass der Staat Israel eben nicht Ergebnis einer nationalen Befreiungsbewegung ist, sondern im Gegenteil ein primär siedlerkoloniales Unternehmen darstellt, welches umfassend „dekolonialisiert“ werden müsse. Und dabei geht es eben nicht nur um das Westjordanland oder Ostjerusalem, sondern um den jüdischen Staat als solchen. 

Um dies zu verstehen, ist es hilfreich, auf den zweiten Hauptvortrag einer libanesischen Theologin zu hören. Auf das Unbehagen zu hören angesichts „aufgeladener Bibelverse“ oder angesichts europäischer Missionare, die solche Verse zur Begründung einer Verdrängung der nichtjüdischen Bevölkerungsgruppen im Nahen Osten instrumentalisiert haben. Zu hören, wie verletzend die Verunglimpfung arabischer Menschen etwa in Hollywood-Filmen wahrgenommen wird. Und wie groß der Schaden für die einheimischen Christinnen und Christen ist, der bis heute von den so genannten „Christlichen Zionisten“ angerichtet wird, welche die kleinen einheimischen christlichen Gemeinschaften in eine schlicht unmögliche Rolle gegenüber der Mehrheitsgesellschaft bringen. Das Fazit der Libanesin ist erschütternd: Wir leiden bis heute unter einer Kolonialität unserer Existenz, einer Kolonialität der Machtverhältnisse und einer Kolonialität des uns vermittelten Wissens.

All diese Überlegungen führen letztlich auf den einen Punkt zu: wie eine angemessene theologische (und nicht nur humanitäre) Antwort auf all die Verwüstungen seit dem 7. Oktober 2023 aussehen kann. Arabische Christen fühlen sich da von ihren Partnern aus dem Globalen Norden allzu oft allein gelassen. Gewiss stellt der Begriff einer „Theologie nach Gaza“, der hier plötzlich im Raum steht, eine Provokation dar. Als Strukturanalogie zur „Theologie nach Auschwitz“ kann er von den deutschen Partnern nicht rezipiert werden. Aber der Begriff klingt auch nur am Rande an; weder stammt er von Teilnehmenden der Konsultation selbst, noch wird er von ihnen eingefordert. Niemand insistiert hier auf Formulierungen, welche er für sich als richtig erkannt haben mag, die jedoch für die jeweils anderen verstörend sind. Aber was wäre denn eine angemessene Formulierung?

Deutlich zeigt sich in diesen Begegnungen der Wunsch, die auseinanderstrebenden theologischen Anliegen in irgendeiner Weise zusammenzuführen. Natürlich sind die Shoah und das Desaster, dem sich Palästinenserinnen und Palästinenser seit 1948 immer wieder ausgesetzt sehen, zwei gänzlich unterschiedliche Dinge. Aber wenn es nach dem Massenmord am jüdischen Volk möglich war, eine Erneuerung des jüdisch-christlichen Verhältnisses auf den Weg zu bringen – könnte dann nicht trotz der gegenwärtigen, geradezu zentrifugalen Kräfte ein anderes Miteinander der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen des Nahen Ostens zumindest denkbar sein?

Sie stehe da vor einem Dilemma, erklärt die Libanesin: Wenn sie über Israel spreche, dann spreche sie über ein Land, das sie nicht kenne. Jegliche Interaktion mit Israelis sei laut libanesischem Gesetz ja verboten; ein Übertreten solcher Anordnungen schlicht gefährlich. Dieses Dilemma wird auch an Stellen sichtbar, wo man nicht damit gerechnet hätte. Da ist beispielsweise der Pfarrer im Südlibanon, der sich dort in aufopfernder Weise für die Kriegsopfer und Traumatisierten engagiert. Als ehemaliger NEST-Studierender hat er der Delegationsgruppe ein Poster mitgegeben, auf dem er zunächst beschreibt, wo sein zerstörtes Dorf liegt – nämlich „gegenüber den Siedlungen Hanita und Shlomi“. „Siedlungen“ also: ein 1938 gegründeter Kibbuz und eine Kleinstadt auf der anderen Seite der Grenze, beide im völkerrechtlich anerkannten Kern-Israel gelegen. Sind diese Orte implizit also ebenso problematisch wie die Siedlungen im Westjordanland? Ein libanesischer Dozent versucht die Irritation auf deutscher Seite zu zerstreuen: Das sei nur das übliche Vokabular im Libanon. Unhinterfragt, selbstverständlich – ob es dem anderen womöglich die Existenzberechtigung abspreche, daran denke doch niemand. 

Eine junge Frau aus Syrien ist da pragmatisch: Wir sind so erzogen worden, dass die Nachbarn da unten im Südwesten Feinde seien. Jetzt hingegen hört man in all den Umbrüchen seit dem Regimewechsel in Damaskus sogar Stimmen, die eine „Normalisierung“ des Verhältnisses voraussagen. Mag sein, dass es demnächst irgendwann dazu kommt. Aber noch sind wir nicht auf der Ebene, dass wir auch theologisch darüber sprechen könnten. Also überfordert uns bitte nicht! 

Wenn der Begriff „Siedlungen“ für israelische Orte in den Ohren einzelner Teilnehmender von deutscher Seite verstörend ist – wie viel Verstörendes mögen dann erst die libanesischen, syrischen und palästinensischen Freundinnen und Freunde auf dieser Konsultation zu hören bekommen haben? Und wie viel davon haben die Deutschen nicht einmal bemerkt? Auch das ist immer wieder eine wichtige Erkenntnis: Wie unterschiedlich die jeweiligen Kontexte sind, in denen sich die Partner jeweils bewegen. Und was den einen verletzt, ist für den anderen nicht unbedingt sichtbar. Aber erleichtert sind doch alle, dass es im geschützten Raum einer langjährigen, vertrauensvollen Partnerschaft möglich ist, auch offen über Verstörendes miteinander zu sprechen. Müde sind ohnehin alle angesichts des nicht enden wollenden Tötens im Nahen Osten. Und verbunden im zunehmend verzweifelten Gebet dafür, dass das enden muss.

Dankbar für 25 Jahre interkulturelles Studienprogramm

Nur dreimal wird dieser geschützte Raum geöffnet. An der Evangelischen Akademie Frankfurt, an der Ruhr-Universität Bochum und im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland in Erfurt stellt sich der neue Hochschulpräsident der NEST, Martin Accad, jeweils einem größeren Publikum. Sein Vortragsthema lautet: „Christen und Muslime jenseits von Opferrollen“. Insbesondere im Libanon habe sich die Selbstviktimisierung der unterschiedlichen Gruppen im Dialog immer wieder als hinderlich erwiesen. Accad plädiert demgegenüber auch in diesem Fall dafür, unterschiedliche Narrative selbstbewusst nebeneinander zu respektieren, ohne sie als Angriff auf die je eigene Identität zu verstehen, und mit einem „kerygmatischen“ Dialogansatz die Extreme von synkretistischer Interaktion („alle Religionen sind gleich“) und polemischer Interaktion („das Christentum ist wertvoller als der Islam“) zu vermeiden. Nur so könne der Dialog auch zu einer religiösen Alphabetisierung der Beteiligten beitragen. Gewiss: Ein eher „frommer“ Ansatz ist das, der stets auch davon getragen ist, im Dialog mit Muslimen den Glauben an Jesus Christus als eine sympathische Alternative zu präsentieren. Aber von Muslimen erwartet er umgekehrt wohl auch nichts anderes als jenes gegenseitige Werben.

NEST-Hochschulpräsident Prof. Dr. Martin Accad beim Vortrag in Frankfurt/Main.
Foto: EMS

NEST-Hochschulpräsident Prof. Dr. Martin Accad beim Vortrag in Frankfurt/Main.

Ein „historisches Ereignis“ sei diese Konsultation gewesen, so sagen manche Beobachterinnen und Beobachter. Gewiss ist es nicht selbstverständlich, dass so respektvoll wie hier über derart kontroverse Fragen diskutiert werden kann. Es zeigt, wie viel Vertrauen in den vergangenen 25 Jahren zwischen den Partnern gewachsen ist. Und es zeigt auch, wie authentisch international das SiMO-Programm tatsächlich aufgestellt ist: Hier werden keine internationalen Studiengruppen irgendwelchen einheimischen Partnern zugeführt, die sie dann belehren oder an denen man sich reiben kann. Vielmehr hat jeder SiMO-Student, hat jede SiMO-Studentin stets auch einheimische Studierende links und rechts neben sich sitzen, mit denen er oder sie dann in den Austausch über das Gehörte eintritt. So kommt es meistens zu einem sehr intensiven Eintauchen in den Kontext der ursprünglich fremden Kultur. „Denkt nicht, dass das SiMO-Programm nur für eure Studierenden eine transformative Erfahrung ist“, erklärt eine Dozentin. „Auch die NEST hat sich dadurch verändert, dass da seit 25 Jahren immer wieder Studierende aus Deutschland kommen. Eure Art zu fragen und euch einzubringen, fordert uns immer wieder neu heraus und weitet auch unseren Horizont.“

Ein schöneres Kompliment kann es wohl nicht geben. Und so gibt es trotz all des Schweren, das in die Debatten eingeflossen ist, am Ende doch einen Festakt zu 25 Jahren SiMO, der vor allem von Dankbarkeit geprägt ist. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland stellt dazu mit ihrem Landeskirchenamt in historischem Gemäuer einen würdigen Rahmen. Wirklich viel Dank wird da ausgesprochen: an die Gründergeneration, an die Dozentinnen und Dozenten der NEST, an die Studierenden, die Ehemaligen, an die Universitäten und Kirchen, die im SiMO-Beirat vertreten sind, an die EMS, an die EKD und die Bank im Bistum Essen, die die Konsultation mit großzügigen Zuschüssen ermöglicht haben – vor allem aber auch an das Stipendienreferat von „Brot für die Welt“ und Deutschem Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes, ohne das manche Entsendung nicht möglich wäre. Und alle unterschreiben schließlich eine gemeinsame Abschlusserklärung, in der sie sich auch weiterhin zum respektvollen, interkulturellen Austausch und zur Fortsetzung des SiMO-Programms verpflichten. Gerade in allen gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen.

 

 

 

 

 

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Uwe Gräbe

Pfarrer Dr. Uwe Gräbe ist Nahostreferent der Evangelischen Mission in Solidarität und Geschäftsführer des Evangelischen Verein für die Schneller-Schulen.

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