Zerrissenheit und Hoffnungstrotz

Ein Johannisempfang der EKD in „aufgescheuchten Zeiten“
EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs bei Ihrer Rede
Foto: epd-bild/Christian Ditsch
„Mich schmerzt es, das auszusprechen": EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs bei ihrer rede auf dem Johannisempfang 2025.

Auch wenn die Gäste aus der Politik diesmal weniger zahlreich vertreten waren als in vorigen Jahren: Der diesjährige Johannisempfang auf dem Berliner Gendarmenmarkt war bemerkenswert. Nicht nur, weil die Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs Einblicke in die neue friedensethische Positionierung der EKD gab. 

Ein Grummeln, ein Wummern. Dunkle, drängende Töne der Berliner Dombläser füllen von der Empore aus den vollbesetzten Raum der Französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt. Das wachsende Gefühl der Bedrohung durch Krieg und Krisen in Musik geformt von Christian Sprenger (Jahrgang 1976). Doch es bleibt nicht dabei, sehr bald führt uns der Komponist in andere, bekannte und harmonischere Klänge: Martin Luthers „Verleih uns Frieden gnädiglich“. Und damit ist der Grundton des diesjährigen Johannisempfangs, dem traditionellen Treffen von Kirche und Politik in Berlins Mitte, gesetzt.

„Willkommen in diesen aufgescheuchten Zeiten“, begrüßt die Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland, Anne Gidion, die Gäste. Zahlreiche davon aber im „Optativ“, also dem grammatikalischen Modus, da er sich auf Ereignisse bezieht, deren Eintritt sich die sprechende Person wünscht. Denn die aufgescheuchten Zeiten haben nicht nur dazu geführt, das „wir den Bundeskanzler sicher beim NATO-Gipfel“ wissen, wie Gidion die Nichtanwesenheit von Friedrich Merz charmant erklärt. Auch die Plätze des Vize-Kanzlers und Bundesfinanzministers, Lars Klingbeil und die der religionspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen bleiben zunächst leer, weil im Parlament noch eine namentliche Abstimmung läuft. Im Laufe des Festaktes füllen sich aber die Reihen und Anne Gidion verspricht am Ende, die Rede der EKD-Ratsvorsitzenden Kirsten Fehrs an die Politiker zum Nachlesen zu verschicken

"Trotzdem weitergehen"

Die Lektüre ist ohne Frage zu empfehlen. Denn Fehrs gelingt es in den 20 Minuten ihrer Ansprache, in der die Angst vor dem Krieg und die Sehnsucht nach Frieden im Mittelpunkt stehen, die Balance zu halten zwischen Selbstbefragung, der Beschreibung von gerade unlösbaren Widersprüchen und Spannungszuständen und dem, was sie so gern  „Hoffnungstrotz“ nennt, „ der zukünftig generell zur Haltung von Kirche gehören werde.“ Was das heißt?  „Trotzdem weitergehen. Trotzdem bei den Menschen bleiben. Trotzdem sich stark machen für Obdachlose und Geflüchtete, gerade jetzt, wo Ton und Politik sich derart verschärfen. Trotzdem sich verbünden mit allen Menschen, die für Demokratie einstehen. Trotzdem den Opfern jedweder Gewalt und Verachtung zur Seite stehen.“

Doch den Opfern von Gewalt beizustehen, reiche friedensethisch derzeit nicht aus. Es erscheine geradezu zwingend „aufzurüsten um verteidigungsfähig zu sein“. „Mich schmerzt es, das auszusprechen, denn auch ich habe im Bonner Hofgarten und 1983 auf dem Kirchentag in Hannover damals „Frieden schaffen ohne Waffen“ gerufen– wie wohl etliche hier“, sagt Fehrs. Aber: Die Situation in Europa habe sich verändert. Der von Vielen für erledigt gehaltene Gedanke der Abschreckung sei als Option eben gerade nicht erledigt – „wenn, und das jetzt betone ich ausdrücklich, wenn sie zur Verhinderung von Gewalt und damit zur Friedensförderung beiträgt.“

"Schuldig machen"

Und dann gibt Fehrs Einblick in neue friedensethische Schrift, die die Friedenswerkstatt und das Kammernetzwerk der EKD gerade zum Abschluss bringen. „Es geht um den gerechten Frieden. Gerechter Friede, der dem Schutz vor Gewalt als elementarstem Schutz des Lebens einen Vorrang einräumt. Dieser Vorrang ist eine entscheidende Weiterentwicklung zur Friedensdenkschrift von 2007.“ Denn die Erfahrungen der letzten knapp zwei Jahrzehnte hätten zu eben dieser grundlegenden These geführt, dass der Schutz vor Gewalt unabdingbare Voraussetzung für umfassende Friedensprozesse ist. „2025 heißt das: Friedensethische und sicherheitsethische Aspekte müssen wir strikter als bisher zusammendenken und dürfen sie nicht gegeneinander ausspielen.“

Dass dieser Spagat nicht ohne Schmerz ist, ist der Ratsvorsitzenden bewusst. Denn sie fordert weiterhin, von Christenmenschen „konsequent die jesuanische Botschaft vom Gewaltverzicht immer wieder einzutragen.“ Und beschreibt gleichzeitig das Dilemma, „dass diejenigen, die von Gewalt unmittelbar bedroht sind oder angegriffen werden, unseren Schutz brauchen. Es bleibt bei der demütigen Feststellung, dass wir, so legitim rechtserhaltende Gewalt als ultima ratio auch sein mag, dass wir uns damit vor Gott und an unseren Mitmenschen schuldig machen.“

Kompass mit Micha

Wie gesagt, es lohnt sich hier nachzulesen, welche Rolle die Ratsvorsitzende in dieser Lage den Kirchen zuschreibt („Verständigungsorte“), welcher Kompass dennoch leiten kann („Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist“ Micha 6,8) und was sie zudem zum Thema Nahostkonflikt und Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie zu sagen hat. Wer der EKD ansonsten die Produktion zu platter politischer Parolen vorwirft, wird hier eines Besseren belehrt. Dieser Ton lädt Politik und Kirche zum gemeinsamen Suchen nach Lösungen ein. Und er verweist darauf, dass über der Zerrissenheit und Schuld menschlichen Handelns die Hoffnung auf göttliches Wirken steht.

Nach der Rede intonierten die Bläser erneut „Verleih uns Frieden gnädiglich“, diesmal in einer sehr jazzigen Variante. Sie erinnerte an New Orleans und die fröhlichen Klänge nach einer Beerdigung. Tod und Trauer sollen dort nicht das letzte Wort haben, sondern Lebensfreude und Hoffnung. Man könnte auch sagen: Hoffnungstrotz.      

 

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 

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