"Ich hoffe auf eine Kirche, in der ich mitdenken kann, statt mitgedacht zu werden.“ – Am Schluss des Buches von Julia Schönbeck steht dieser evangelische Satz, in dem jene Gedanken gut aufgehoben sind, die sie über Barrierefreiheit und Inklusion von Menschen mit Behinderung als Grundrecht und uneingelöstes Versprechen entfaltet. Evangelisch, weil in ihm die partizipativen Traditionslinien des Glaubens präsent sind, angefangen bei der „blutflüssigen Frau“, die Jesus an den Kleidern hängt, über das reformatorische Priestertum aller Gläubigen bis hin zu den intersektionalen Kämpfen für Gleichberechtigung heute. Evangelisch auch, weil in ihm das Verhängnis gegenwärtiger evangelischer Kultur und Kirchlichkeit zur Sprache kommt: Das wohlmeinende „Wir“, das für die Ausgestoßenen, Verletzten und Diskriminierten „mitdenkt“, ohne den Betroffenen eigene Agency und wirkliche Teilhabe zuzutrauen, zuzumuten und zu ermöglichen.
Über eigene Diskriminierungserfahrungen zu sprechen, erfordert Mut, ebenso wie das eigene Verfehlen von (selbstgesetzten) Zielen zu thematisieren. Dreh- und Angelpunkt von Schönbecks Buch ist darum die Transparenz, die sie als Autorin performt, indem sie von ihren individuellen Erfahrungen berichtet, und die von der „gesunden“ Mehrheitsgesellschaft in Kirche und Gemeinwesen eingefordert wird: „Transparenz ist ein guter und wichtiger erster Schritt. Barrieren müssen wir uns erst einmal eingestehen. […] Es fällt uns manchmal schwer, die Ausgrenzung wahrzunehmen, weil die Menschen, die sie erleben, eben nicht da sind.“
Persönliches Zeugnis
Mit ihrem Buch legt Julia Schönbeck, die sich zum Beispiel im Kammernetzwerk der EKD engagiert, ein persönliches Zeugnis ab. Ein Gesprächsangebot von einer derjenigen, die eben so häufig „nicht da sind“, weil sie die Mehrheitsgesellschaft an „Sonderorten“ für „besser aufgehoben“ hält. Nicht ohne uns hilft dabei, klar zu sehen, dass durch Ableismus ebenso wie durch Rassismus, Klassismus und andere Diskriminierungen unsere Kirche selbst zu einem Sonderort geworden ist – nur eben für jene, die dem Ideal vom „normalen“, gesunden, fähigen, intellektuell anspruchsvollen, schönen und unverletzten, nicht zuletzt Weißen Menschen entsprechen.
Insofern ist Nicht ohne uns durchaus ein Lehrbuch, ohne allerdings ein Handbuch für die barriereärmere Gestaltung von Kirchorten zu sein. Zwar werden im letzten Kapitel des Buches auch einige konkrete Tipps für die Praxis gegeben, doch im Zentrum des Buches steht die (Herzens-)Bildung.
Guter Einstieg
In zwei Grundlagenkapiteln wird in Begriffe, Geschichte und Konzepte des aktuellen Inklusionsdiskurses eingeführt. Fremd- und Fachwörter erläutert das Buch in hilfreichen Erklärboxen. Nur ein kleiner (Mittel-)Teil des Buches widmet sich Theologie und Kirche im engeren Sinne, hier geht es unter anderem um biblische Heilungsgeschichten, die Schwierigkeiten der Nächstenliebe-Emphase und diskriminierende liturgische Sprache. Wie auch für die Inklusion in Gemeinden und Einrichtungen steht für diese Themen eine Menge an Fachliteratur zur Verfügung. Schönbecks Buch kann zur Weiterbeschäftigung an anderer Stelle motivieren, spiegelt diese Vielfalt aber nur fragmentarisch wider. Das Buch ist ein guter Einstieg ins Themenfeld, auch und besonders für junge Leser:innen.
Viele der kurzen Unterkapitel, auch der Gastbeitrag der Berliner Pfarrerin Lena Müller, sind Hinweise zum Los- und Weiterdenken – eher appellative Skizzen als rein informative Sachtexte. Es hat mich nicht verwundert, ganz zum Schluss des Buches ein „Amen – so sei es!“ zu lesen, wie wir es von Predigten gewohnt sind. „Ich schreibe aus meiner Diskriminierungserfahrung heraus“, erklärt Schönbeck, „teile meine Perspektive mit denen, die diese Erfahrungen nicht machen, denn nur so können wir ja voneinander lernen: im gegenseitigen Zuhören und Teilen“.
Philipp Greifenstein
Philipp Greifenstein ist freier Journalist sowie Gründer und Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur „Die Eule“: https://eulemagazin.de