Horizont erweiternd

Plädoyer für Vielfalt in der Kirche

Mit ihrem ersten Buch Wie ist Jesus weiß geworden? und unzähligen Lesungen daraus und Interviews dazu hat Sarah Vecera etwas geschafft, was selten gelingt: Sie hat eine große Debatte angestoßen, in diesem Falle innerhalb der Kirche. Denn wer ihr Buch gelesen hat, kann nicht mehr zurück ins „Happyland“, in dem die Welt zwar böse, gemein und rassistisch ist, die Christenmenschen und ihre Kirchen aber ganz anders sind. Sind sie nicht, der Rassismus ist tief eingeätzt in die Bilder, Geschichten und Denkmuster der europäischen Christenheit. Eine ständige Selbstüberprüfung, strukturelle Veränderungen und andere Bilder (wie etwa die der „Alle-Kinder-Bibel“) sind nötig.

Doch Rassismus ist nicht die einzige Form von Diskriminierung in unserer Gesellschaft und auch in unserer Kirche. Wo werden eigentlich behinderte Menschen außerhalb der diakonischen Einrichtungen sichtbar? Welches Familienbild prägt wirklich den Alltag in einer Kirchengemeinde? Wie selbstverständlich ist eine transidente Pfarrperson? Und an welcher Stelle in der kirchlichen Hierarchie arbeiten diejenigen, die nicht aus dem privilegierten und bildungsbürgerlich geprägtem Mittelschichtsmilieu stammen? Diesen und anderen Fragen widmet sich Sarah Vecera diesmal als Herausgeberin und Autorin einiger Texte in dem Buch Gemeinsam anders! Zu Wort kommen 16 Autor:innen, die ihre Diskriminierungserfahrungen in Kirche und Gesellschaft beschreiben und, so die Herausgeberin, dazu einladen, „die Welt aus vielen Perspektiven zu betrachten“.

Wer sich darauf einlässt, erweitert seinen Horizont und erfährt, wie es sich anfühlt, wenn ein Presbyterium über die Trennung einer Pfarrerin von ihrem Mann berät. Oder wie sich Alleinerziehende fühlen, wenn sie gemeinsam mit „Vater-Mutter-Kind“-Familien am Taufbecken stehen sollen. Darüber schreibt Josephine Teske, Pastorin in Hamburg und EKD-Ratsmitglied. Über Christlichen Ableismus, die Diskriminierung von behinderten, chronisch oder psychisch kranken Personen, schreibt Julia Schönbeck vom Hildegardis-Verein und dabei geht es nicht nur, aber auch, um fehlende Rampen für Menschen im Rollstuhl und barrierefreie digitale Räume. Es geht um eine inklusive Kirche, in der Heilungsgeschichten anders gelesen werden, Behinderung von Krankheit unterschieden und Machtverhältnisse hinterfragt werden. Sarah Vecera, die bereits im zeitzeichen-Schwerpunkt zum Thema „Klassismus“  über die unsichtbaren und so oft unhinterfragten Wände durch soziale Herkunft in der evangelischen Welt Auskunft gab, verweist erneut auf diesen blinden Fleck im Protestantismus, in dem für die Armen die Diakonie und der Spendenkasten da sind, aber doch selten ein Platz in den kirchlichen Leitungsorganen. Und auch den Rassismuserfahrungen widmen sich mehrere Texte, unter anderem auch einer von Alena Höfer, die sich erhellend mit antiasiatischen Ressentiments beschäftigt.

Die gemeinsame Klammer ist der Gedanke der „Intersektionalität“, also das Zusammenwirken unterschiedlicher Formen von Diskriminierung, die sich überschneiden und verstärken können. Gleichzeitig können Menschen aber auch etwa durch soziale Herkunft privilegiert, durch ihre Hautfarbe oder Geschlecht diskriminiert sein. Die Welt und ihre Menschen in ein Schwarz-Weiß-Schema zu pressen, führt so oder so nicht weiter. Es gilt vielmehr, Diskriminierung zu benennen und Empathie zu entwickeln, für diejenigen, die darunter leiden. „Unsere Wut braucht unsere Empathie, damit sie nicht destruktiv wird und ein positiver Antrieb bleibt“, schreibt Vecera.

Das Buch versammelt stärkere und schwächere Texte, das ist bei Sammel­bänden so, aber jeder Text ist lesenswert und dient dem beschriebenen Ziel. Vielleicht hätte es geholfen, die Texte deutlicher nach Kategorien von Diskrimi­nierung zu ordnen, auch um die Systematik, die alle verbindet, am Ende deutlicher erkennen zu können. Daraus könnten dann übergrei­fende Ansätze entwickelt werden, die sowohl strukturell als auch inhaltlich Vielfalt in Kirche und Gesellschaft stärken und Diskrimi­nierung mindern, sie vielleicht sogar irgendwann ganz überwinden helfen. Die Texte geben einzelne Hinweise (etwa die Einführung einer Ost-Quote in bundesweiten Leitungs­gremien), doch ein Gesamtkonzept ist noch nicht in Sicht.

Vielleicht ist es dafür aber auch noch zu früh: „Die Transformation ist ein Marathon, kein Sprint. Jedes freundliche Wort, jeder Perspektiv­wechsel und jeder Moment des Widerstands bringt uns voran“, schreibt Vecera in ihrem Schlusswort. Zu all dem trägt dieses Buch gewiss bei.

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 

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