Im neuen Licht

Das Paradies

Geglaubt wird weiterhin und teils kräftig, doch was, das wandelt sich. So ist der Glaube an Auferstehung nicht mehr selbstverständlich. Zulauf haben stattdessen Seelenwanderung oder Diffuses wie Udo Lindenbergs Horizont. Aufklärung und Zeitgeist wirken sich aus, doch vielleicht ja auch von kirchlicher Macht befreites Überlegen. Verlockend bleibt der Gedanke, dass dann alles bloß gut ist und ewig so weitergeht, doch fragt man auch: Und was dann? Immer alles prima und eitel Sonnenschein könnte öde sein.

In dem Roman Dorf im Himmel spielt Charles Ferdinand Ramuz das am Beispiel eines Schweizer Alpendorfs durch. Er schrieb ihn vor hundert Jahren. Jetzt erscheint das Buch erstmals auf Deutsch und fasziniert als literarisch wie gedanklich zeitlos gut. Zuerst können es die Dorfbewohner nicht glauben: Kann das sein, fragen sie. Kann das so sein? Aber so war es, schreibt Ramuz.

Alles begann so: Da standen diejenigen, die gerufen wurden, aus ihren Gräbern auf. Sie haben die Erde mit dem Nacken nach hinten gestoßen; sie haben mit der Stirn die Erde durchbohrt, wie wenn das Korn keimt, seine grüne Spitze ins Freie drückt; sie hatten wieder einen Körper. Ihre Häuser sehen aus wie im vorigen Leben, doch sind auch sie rundum neu. Die alte Catherine ist mit ihrer verstorbenen Enkelin vereint, der Blinde Bé kann sehen. Alles ist wieder da, nur besser. Bloß das Gewehr vom Jäger Bonvin fehlt, denn Tod und Sterben gibt es nicht mehr. Der Schreiner Chemin braucht keine Särge mehr zu machen. Nun bemalt er Schränke.

Auch die raue Natur unter den Dreitausendern bedroht nicht mehr ihr Leben. Nun gibt es keinen Winter mehr. Sie arbeiten nicht mehr, weil sie dazu gezwungen waren, und nur, um nicht zu sterben – nun arbeiteten sie, um sich zu freuen. Es lebt sich jetzt ganz einfach: Man ist nichts als eine große Bande von Freunden. Sie sitzen zusammen, erzählen, rauchen eine Pfeife. Doch allmählich schimmert Abgründiges durch, wie manchmal im Märchen. Etwa als zwei Liebende, die früher nicht zueinander durften, am Bewässerungskanal selig schwelgen: Das Wasser fließt zwar noch immer, aber die Zeit verfließt nicht mehr. Man konnte das Wasser getrost vorbeiziehen lassen; nun trägt es nicht mehr mit jeder Sekunde ein Stückchen unseres Lebens in seinem Strom davon – dieses Wasser ist heute ein falsches Bild des Lebens, denn während es noch immer fließt, steht das Leben still. Jetzt veränderte sich nichts mehr, nichts würde sich je wieder ändern.

Pitôme, der für Schnaps Enzianwurzeln wässert, spürt es auch: „Jetzt gibt’s keine Unreinheit mehr.“ Damals schöpfte er zigmal Schaum vom Bottich, nun bleibt das Wasser klar wie frisch aus dem Brunnen. Auch seine Brände verlieren ihr Gesicht: Jetzt gleichen sich alle Jahrgänge, sie sind einander zu ähnlich: „Es ist immer ganz vorzüglich, immer klasse, das Feinste vom Feinsten, der Gipfel vom Besten.“ Unbehagen stellt sich ein: Es ist ungefähr zu dieser Zeit, als sie angefangen haben, ihr Glück nicht mehr recht zu sehen. Sie wissen nicht, was geschieht: Es scheint ihnen, als würde sich das Glück davonmachen, weil es immer dasselbe ist. Da kommt die Ziegenhirtin Thérèse Min mit der Herde vom Bergrand zurück. Doch dieses Mal fehlt ein Tier, es ist verlorengegangen. Die Leute raunen. Jäger Bonvin zieht los, um den Grund zu finden.

Und dann ändert sich vieles. Verraten sei indes nur, dass auch der Enzian seine vertraute irdische Wirkung wieder hat. Dorf im Himmel ist ein schmaler, großer Roman, der fesselt. Ramuz erzählt in erdig-bildstarkem Ton anschaulich und vordergründig schlicht, verbindet aber profund diese Welt der Berge mit jener Frage, was Glück bedeutet. Ohne theologische Spekulation und fern von hölzernen Metaphern holt er die Auferstehung leibhaftig mitten ins Leben zurück, mit dessen Vergänglichkeit das Buch seltsam tröstlich versöhnt – es ist ein Bekenntnis zum Menschen, das Steven Wyss vorzüglich ins Deutsche übertragen hat.

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