Die Welt, wie wir sie so überaus gern für beständig halten wollten, geht vor die Hunde, wohl auch deshalb. Vielleicht morgen schon liegen die Amputierten und anders Zerfetzten in unsern Spitälern. Notfallseelsorger betreuen sie und bringen ansonsten Soldatenangehörigen Todesnachrichten – die Militärseelsorger sind ja alle an der Front. So sieht es seit einem Jahr jedenfalls der „Operationsplan“ des Militärbischofs vor. Doch der hat bislang offenbar nicht mal die EKD-Gremien passiert, vom Weg nach unten ganz zu schweigen. Da kommt Rays Of Light mit neun Stücken des österreichischen Jazztrompeters Richard ‚Ritsche‘ Koch aus dem Berliner Umland gerade recht. Ein Apfelbaumpflanzer-Album, ohne je solchen Anspruch zu erheben, und nur so kann es das auch sein. Der umtriebige Genresprenger mit satt melancholisch warmem Ton folgt offenbar dem Herzen: Auf Peter Fox’ „Stadtaffe“ ist sein Horn ebenso zu hören wie bei den punkigen Beatsteaks, in Aufnahmen von Neoklassiker Niels Frahm oder Avantgardisten. Auch in der Bigband Andromeda Mega Express Orchestra spielt er mit, eigene Projekte kommen hinzu, auf Rays Of Light nun mit rein akustischem Quintett, dessen Zusammensetzung schon im 19. Jahrhundert durchgegangen wäre: An der Violine Fabiana Striffler, Valentin Butt zieht das Akkordeon, der Däne Andreas Lang spielt Kontrabass, Nora Thiele schlägt und fegt die Frame-Drums, Richard Koch mittendrin zwischen Tanz, Schmachten und Verfehlen an seiner Trompete. Virtuos sind sie alle, jedoch strikt dem Spirit seiner Kompositionen verpflichtet, deren emblematische Titel von „Space“ bis „Falling and Rising“ reichen. Gestus ist durchweg hüftzentriertes Wiegen – wohlig, versonnen und Standtanz sozusagen, besonders innig im vom Promoter als „Fokus-Track“ markierten „Ringi“. Spiritualkammerfolkscheunenjazz, könnte man formulieren, da einem dazu neben Penguin Cafe Orchestra gleich Franz Doblers auf sinister-coolen Country gemünztes Stolz-Statement einfällt: „Es ist wie früher im letzten bayrischen Dorf: In der naturgemäß reparaturbedürftigen Scheune ist mehr los als am heißesten FKK-Strand auf Sylt.“
Also: Von Klezmer bis Tango-Flair, Funeral March, TikTok-Wutsch-flüchtigen Free-Reminiszenzen, modaler Erkundung, mythischem Kammerflimmern oder gar Swingen, das ins Progrock-Grundierte ausgreift, ist alles drin und rhythmisch raffiniert ein durchweg elegantes Wiegen voller raffinierter Dynamik, die aus aller Zeit fällt und gerade so grandios den Augenblick am Barte packt. Geiler Scheiß, wie die Briten sagen. Das Idiom ist Jazz, die Anmutung transzendente Gelassenheit. Und 175 Jahre transatlantische Popmusikgeschichte stecken überall tief mit drin, ein Jubiläum also. Doch das merkt wohl wieder mal kein Schwein. Wie das mit Apfelbäumen eben so ist.
Udo Feist
Udo Feist lebt in Dortmund, ist Autor, Theologe und stellt regelmäßig neue Musik vor.