Bilderbuch Brahms

Vielfalt mit Weltersteinspielungen

Dass ich bei einer neuen CD von Luisa Imorde immer wieder hellhörig werde, hat zwei Gründe: Der eine ist ihre Herz und Sinne tief berührende Musikalität, mit der sie jeder Partitur Freude am Dialog und eine perlende Lebendigkeit einhaucht. Der andere ist ihre konzeptionelle Herangehensweise, die sich nie dem Prinzip der klassischen Werkwiedergabe unterwirft, sondern ihren ganz eigenen Zugang freilegt. Das bedeutet jedes Mal einen prismatischen Blick, ein schillerndes Gebäude rund um den Quell in der Mitte, der sowohl den Blick nach hinten als auch nach vorne wagt und eine individuelle Werk- und Komponistengenealogie von ganzheitlicherer Qualität erstellt – vom emotionalen Tor zur Analyse und umgekehrt. Das geschieht auch bei der neuesten CD „My inmost heart – variations on Brahms".

Im Schwerpunkt hat sich Luisa Imorde hier dem Klavierwerk von Johannes Brahms gewidmet, das schon lange auf ihrer inneren Liste stand, weil es im Oeuvre des Komponisten schlicht nichts gibt, was der Interpretin nicht gefällt. Aber Luisa Imorde wäre eben nicht Luisa Imorde, würde sie nicht die Ringe um die ins Wasser geworfene Idee mit einbeziehen in das Gesamtbild Brahms. Was hat er gekannt und gespielt? Was hat ihn inspiriert? Was ihn begeistert? So wird aus dem Edelstein ein ganzes Mosaik, das in der Renaissance bei Giovanni Pierluigi da Palestrina seinen Anfang nimmt, die Fülle des Barocks mit Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel in sich aufsaugt, dem galanten spätbarocken Stil Wilhelm Friedemann Bachs und Giovanni Battista Pescettis besondere Farben abgewinnt und schließlich über Brahms hinaus bis zu Ferrucio Busoni reicht. Wie das funkelt und schillert! Wie das die Fantasie beflügelt! Und wie es Hören und Begreifen lehrt!

Zunächst scheinen die ausgewählten Werke von Brahms ungeordnet nach unmittelbar ansprechender Schönheit aus dem umfangreichen Repertoire gepflückt – wie etwa die Intermezzi 1–4 Opus 119, die nach dem leichtfüßigen Bachschen Auftakt aus dem Klavierbüchlein für seinen Kronsohn Wilhelm Friedemann (BWV 842) einen virtuos strahlenden Auftakt bieten und mit der Suite B-Dur (HWV 434) von Georg Friedrich Händel verschränkt sind. Aber von Werk zu Werk erschließt sich die Intention der Auswahl, die stark auf das liedhaft-melodiöse Moment im Brahmsschen Oeuvre setzt, mehr und mehr, und der so eingenommene Blick- und Hörwinkel macht alle aufgenommenen Korrespondenzen zu geistreich besonderen ihrer Art. Dazu kommt, dass Luisa Imorde auch tatsächliche Brahms-Lieder, nämlich die Fünf Lieder Opus 49 in der Bearbeitung von Theodor Kirchner, hier eingespielt hat, die, wie Brahms’ Variationen über ein Thema von Robert Schumann Opus 23, hier ebenfalls in der Kirchnerschen Bearbeitung als Weltersteinspielung zu hören sind. So viel Schönes! Und so schön und scharfsinnig gespielt und verknüpft! Danke, Luisa Imorde!

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