Besternte Ernte

In Sachsen-Anhalts Landeskunstmuseum in Halle/Saale nähern sich internationale Künstlerinnen und Künstler in ihren Werken den Menschen, die unsere Nahrung in aller Welt auf ihren Feldern wachsen lassen. Und doch zugleich bis heute immer wieder um ihre Würde, ihren Lebensunterhalt und ihre Freiheit kämpfen müssen – wie bei den Bauernkriegen vor 500 Jahren. Eine Würdigung der universalen Ausstellung in der Moritzburg durch den Autor und Dramaturgen Andreas Hillger.
Der Geist des Aufruhrs fällt aus allen Wolken: Während sich Bäuerinnen am Boden um ihre Ernte mühen, schaut aus einer Regenbogen-Aureole das Haupt des entrückten Revolutionärs Thomas Müntzer auf sie herab. Die Kleider der lächelnden Bäuerinnen sind mit kosmologischen Zeichen und verschwörerischen Symbolen bestickt, die Feldfrüchte – Kürbis, Mais und Bohnen – spielen auf die indigene Ackerbau-Tradition der „Drei Schwestern“ in Lateinamerika ebenso wie auf Tschechows berühmtes Drama über die Sehnsucht nach Landflucht an.
Altmeisterliche Vorform
So stehen die „Solar Peasants“, die der Pole Mikolaj Sobczak als Heldinnen der Arbeit feiert, in vielerlei Hinsicht beispielhaft für die aktuelle Schau im halleschen Kunstmuseum Moritzburg (bis 14. September). Einerseits strotzt das Wandbild vor Andeutungen von ikonografischen Vorbildern und politischen Konflikten, andererseits ist es Teil des großzügigen Parcours, der die Behauptung des Ausstellungs-Titels „Planetarische Bauern“ elliptisch umkreist. Und schließlich ist das großformatige Mosaik selbst aus vielen Splittern zusammengesetzt, die in dieser Nachbarschaft wie eine altmeisterliche Vorform der aktuellen Pixel-Kunst wirken.
Als Teil der sachsen-anhaltischen Landesausstellung „Gerechtigkeyt 1525“ versucht die Kulturstiftung des Landes gemeinsam mit der Medienkunst-Gesellschaft Werkleitz einen zeitgenössischen Blick auf das Erbe jener Revolte, die in Mitteldeutschland mit dem Namen des Theologen Müntzer verknüpft ist. Dass man sich dafür in globalisierten Zeiten auf eine erdnahe Umlaufbahn begeben hat, scheint folgerichtig. Dass solche Satelliten-Bilder aber oft eher verfremden als verdeutlichen, ist in der Kalkulation der Kuratoren offenbar mit eingepreist – ebenso wie die Tatsache, dass die Ausstellung erst zwei Tage vor jenem 25. Mai eröffnet wurde, der als Datum der Schlacht bei Frankenhausen eigentlich das schreckliche Finale der Erhebungen vor 500 Jahren markiert. Denn schließlich erzählt man hier wie andernorts – etwa in Eisleben, Mühlhausen oder Bad Schussenried – die Hoffnung ja von ihrem Ende her. So liegt im Hof der Moritzburg denn auch eine gestürzte „Bauernsäule“ nach dem Entwurf von Albrecht Dürer, zu deren Trümmern sich Accessoires wie automatische Waffen oder eine Kabeltrommel mit Kupferdraht gesellen. Anlass und Mittel des Kampfes mögen sich geändert haben, die Folgen bleiben sich – zumindest in diesem fatalistischen Mahnmal – gleich: Noch immer steckt dem Verlierer das Schwert im Rücken, erscheint der „gemeine Mann“ als namenloses Opfer.
Mit diesem Präludium wird der Ton für das Folgende gesetzt: „Planetarische Bauern“ ist – auch ohne die vollmundige Ankündigung der Gastgeber, die ihre aufwändige Inszenierung als kleine documenta verstanden wissen wollen – eine haltungs- und bildstarke Protestation im Müntzerschen Sinne. Wie dicht dabei abstrakte und konkrete Formulierungen nebeneinanderliegen, zeigt sich etwa in der Arbeit „Barric Ode on the Fields“. Während der Franzose Olivier Guesselé-Garai hier den Begriff der Barrikade wörtlich nimmt und eine Straßensperre aus Barrique-Fässern mit landwirtschaftlichen Geräten der Vergangenheit und Gegenwart verstärkt, verwandelt seine deutsche Kombattantin Antje Majewski große Leinwände mit mineralischen Pigmenten in einen malerischen Aushub der Landschaft – ergänzt um Interviews von protestierenden Bäuerinnen und Bauern, von denen diese künstlerische Überhöhung nachrichtlich geerdet wird. Iza Tarazewicz hingegen montiert aus archaischen Gerätschaften die technologische Zukunft: Ihre „Ruins and Promises“ rüsten einen Heuwagen mit Sensen zum futuristischen Apparat auf, der die Landwirtschaft als Proto-Computer – also als Konstruktion zur Berechnung von beweglichen Daten – definiert.
Den Umschlag von pathetischen zu parodistischen Perspektiven erkennt man im Vergleich der Arbeiten von Dread Scott und Schto Delat: Mit seinem „Slave Rebellion Reenactment“ stellt der New Yorker Künstler Scott einen Sklavenaufstand nach, bei dem sich 1811 die Verschleppten und Unterdrückten an der Küste von Louisiana erhoben. Die filmische Dokumentation dieser Inszenierung belebt die Erinnerung an einen tragischen Moment der amerikanischen Geschichte, dem offiziell nur eine kleine Gedenktafel an einer Straßenkreuzung gewidmet ist. Das russische Performance-Kollektiv Schto Delat hingegen kann für sein „magisches Spiel nach Werner Tübke“ auf überdimensionale Gedächtnis-Kultur zurückgreifen: In der vierteiligen Installation schicken die Exilanten, die angesichts des Angriffskrieges auf die Ukraine nach Deutschland emigriert sind, einige Figuren aus dem megalomanischen Frankenhäuser Bauernkriegs-Panorama auf groteske Reise durch die triste Gegenwart des sachsen-anhaltischen Städtchens Hettstedt. Auch Rainer Werner Fassbinders Mittelalter-Film „Niklashauser Fart“ wird einer Schattenspiel-Revision unterzogen … grelle, clowneske Überzeichnungen von politischer Kunst, die aus bitterer autobiografischer Erfahrung resultieren.
Geodätische Vermessungen
Zwischen den naiv anmutenden Biodiversitäts-Kalendern der kleinen NGO Waman Wasi aus dem peruanischen Amazonas-Gebiet, die als gezeichnete Mitschriften des dörflichen Arbeitsalltags inzwischen internationale Beachtung finden, und Viktor Brims geodätischen Videovermessungen von ausgetrockneten Salzseen in der Mojave-Wüste liegen ästhetisch Welten – und in Halle nur wenige Schritte. Es ist ein unstrittiges Verdienst der Ausstellung, dass sie den mikroskopisch genauen Blick ebenso wie die entgrenzende Perspektive ermöglicht, dass sie die enzyklopädische Sammlung von Informationen (Lara Almarcegui, „Die Halden in Deutschland“; Tamás Kaszás, „Demeter Atlas“) gleichberechtigt neben der poetischen Aneignung (Mabe Bethonico, „Soil Stories“; Luisa Keitzel, „Covered“) zeigt. Dass sie sich dabei zudem um eine andere Definition von Gerechtigkeit bemüht, indem sie den Begriff der Ausbeutung auch auf die gesamte Schöpfung anwendet und die Dialektik des Raubbaus an Mensch und Natur in den Blick nimmt, sorgt im Gedenkjahr des Bauernkrieges für einen nötigen Wechsel der Wahrnehmung. Denn wenn man die „Zwölf Artikel“ der Aufständischen von 1525 nach dem Rundgang noch einmal liest, wird man die darin geforderte Teilhabe auch als Ausdruck einer Rücksichtslosigkeit verstehen, die im gemeinsamen Untergang münden muss.
Krasser Gegensatz
Diese Wahrnehmung steht im krassen Gegensatz zur tendenziösen Musealisierung, die Ulrike Kuschel in ihrer Dokumentation „Mit Morgenstern und Regenbogenfahne“ nachzeichnet – eine Retrospektive auf die Bauernkriegs-Ausstellungen der DDR, die sich in Ermangelung von Original-Exponaten mit Repliken und Imitaten behalfen und so echtes Leid durch falsche Waffen imaginierten.
Als Kehrseite solcher sozialistischen Reliquien mag man die „Perpetual Harvest“ von Anca Benera und Arnold Estefán betrachten, die zu den kunstfertigsten und hintersinnigsten Positionen der Schau zählt: Aus leerem Stroh hat das rumänische Künstlerpaar grazile ballistische Raketen geflochten, die im Anflug auf den Betrachter verharren – Anspielung auf ein Grundnahrungsmittel, dessen Entzug als tödliche Waffe weltweit zum Einsatz kommt. Hier wird das Bodenständige mit dem „Planetarischen“ zusammengedacht und das Versprechen der weitläufigen Ausstellung eingelöst – eine Installation, deren Schönheit den Schrecken unmittelbar erfahrbar macht.
Neben dieser sehenswerten, kontroversen Weltkunstschau wirkt der von der Landeskunststiftung Sachsen-Anhalt in Allstedt – also am Ort von Müntzers „Fürstenpredigt“ – errichtete Parcours „Glühende Horizonte“ (bis 5. Oktober) vergleichsweise introvertiert. Die Verständigung über die Gegenwart der Vergangenheit wird hier mit Wegaltären und Herrgottswinkeln, mit dräuenden Wolkenskulpturen auf alten Feldsteinmauern sowie einer streitbaren Laufschrift auf Garagendächern betrieben. Und wer den Weg in das Städtchen unternommen hat, das sich hier in aller Stille verortet, steht am Ende vor verschlossenen Türen: Denn das Schloss, an dem der Wutbürger Müntzer einst den Herrschern ins Gewissen redete, ist wegen Sanierung bis auf Weiteres geschlossen.
Andreas Hillger
Andreas Hillger ist Autor und Dramaturg. Er lebt in Dessau-Roßlau.