Quartett des Glaubens

In den vergangenen Monaten hat der EKD-Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen vier Bücher gelesen, deren Inhalt darin besteht, Grundfragen des christlichen Glaubens und der christlichen Lehre zu erschließen. Das Fazit des zeitzeichen-Autors: Alle sind sehr unterschiedlich, aber zumindest in der Mehrzahl gelungen.
Ohne dass ich etwas dafür getan hätte, bildete sich auf meinem Schreibtisch ein erfreulicher Stapel. Ich hatte keineswegs neuere Verlagskataloge durchsucht, es traf einfach eins nach dem anderen bei mir ein: Vier Bücher, die auf je eigene Weise darzustellen versuchen, was der christliche Glaube heute bedeuten kann. Ich will nicht gleich einen Trend ausrufen, sondern nehme nur beglückt wahr, dass mehrere Kollegen (eine Autorin war zufälligerweise nicht dabei) die Notwendigkeit sehen, allgemein verständliche Bücher über theologische Grundfragen zu schreiben, und dass unterschiedliche Verlage darin eine Chance erkennen. Wenn mehrere unabhängig voneinander dasselbe tun, stellt sich die Frage, was sie verbindet oder unterscheidet und was für die Gegenwart charakteristisch ist.

Beginnen wir mit dem Jüngsten: Christopher Zarnow, Jahrgang 1975, Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Berlin. Sein Buch mit dem halbironischen-halbernsten Titel „Wer’s glaubt, wird selig? Was uns das Christentum heute noch sagen kann“ – bezeichnend sind das Fragezeichen und das „Noch“ – hat einen didaktischen Hintergrund. Es ist ein kleines Wörterbuch des Christentums, das dessen schwergewichtige und fremdgewordene Hauptbegriffe aufschlüsselt, übersetzt und ins Gespräch bringt. Dabei widmet es sich neben klassischen Topoi wie „Gott“, „Schöpfung“ oder „Auferstehung“ auch Begriffen, die für gegenwärtige Einstellungen zur Religion bestimmend sind wie „Zweifel“, „Sehnsucht“ oder „Werte“. Besonders schöne Überraschungen waren für mich die Kapitel über „Demut“ und den „Inneren Menschen“.
Man muss sich Zarnow als einen lebendigen und jugendnahen Lehrer vorstellen. Jedes Kapitel eröffnet er mit einem Stück Popkultur. So haben bei ihm folgende Gestalten einen Auftritt: Harry Potter, die deutsche Rockband Tocotronic, die Jedi-Ritter, Clint Eastwood, der Herr der Ringe oder Nick Cave. Sie dienen aber nicht als bloße Aufhänger, sondern werden als Repräsentanten einer religiösen Frage oder eines theologischen Themas ernst genommen. Die Kunst dieses Buches besteht darin, über popkulturelle Zugänge in die Tiefen der theologischen Problemgeschichte zu führen. Deshalb begegnen einem auch Gewährsleute der Tradition: Gottfried Wilhelm Leibniz, Theodor W. Adorno, vor allem Augustin, Paulus, Martin Luther, Immanuel Kant oder Paul Tillich. So entspinnt sich ein Gespräch über die Epochen hinweg, in dem vieles von dem, was heute religiös im Schwange ist, dadurch gedankliche Kontur gewinnt, dass es mit klassischer Theologie kontrastiert wird. So erhellt sich das eine am anderen und umgekehrt. Brüche und Gegensätze werden nicht zugekleistert. Aber bloß vermeintliche Unverträglichkeiten werden aufgelöst, Brücken gefunden und gebaut. Auffällig ist, wie sehr der Glaube für Zarnow etwas mit Allgemeinbildung, gemeinsamem Nachdenken und freiem Disputieren zu tun hat – und wie wenig mit frommen Beschwörungen, dogmatischen Behauptungen oder moralischen Verpflichtungen.

Darin trifft Zarnow sich mit Christian Heidrich: Jahrgang 1960, katholischer Religionslehrer, Autor, Übersetzer und Lyriker. Allerdings setzt Heidrich einen persönlicheren Ton. Er fragt beziehungsweise erklärt: „Warum ich ein Christ bin“. Dabei orientiert er sich weniger an großen Begriffen oder klassischen Theologien als an eigenen Lese- und Lebenserfahrungen. Jugend- oder Popkultur kommen bei ihm nicht vor, dafür viele schöne, überraschende Lektürefunde. Heidrich orientiert sich an Einzelgängern wie Leszek Kołakowski. Das ist mehr als eine Geschmackssache, sondern gehört zu seinem Zugang zum Christentum, der lyrisch-reflektierend und nonkonformistisch ist. Das verleiht seinem Versuch etwas Unverwechselbares und Dringliches, denn die Poesie nimmt die Sache mit Gott noch einmal anders ernst als die Theologie. Dazu passt, dass er länger bei biblischen Geschichten verweilt. Neben dem Aufklärer Zarnow erscheint Heidrich wie ein Romantiker, allerdings ohne reaktionäre Tendenz.
Fast exzentrisch
Heidrich stellt einen grundmenschlichen, tiefgebildeten und sprachkünstlerischen Katholizismus vor, der natürlich kein dominierendes Modell mehr sein kann, sondern fast exzentrisch erscheint. Das spiegelt sich in seinem Jesus-Bild: Jesus ist für ihn der schlechthinnige Nonkonformist der Gottes- und Menschenliebe. Ihm so nahe wie möglich zu kommen, ist das Anliegen seines Buches. Dabei orientiert Heidrich sich an einem Satz von Karl Rahner: „Man hat mit Jesus in Wahrheit nur etwas zu tun, wenn man ihm um den Hals fällt und in der Tiefe seiner eigenen Existenz realisiert, dass so etwas heute möglich ist.“ Heidrich erklärt, vermittelt und übersetzt weniger, als dass er reflektierend und meditierend die Gestalt Jesu umkreist – „aus einem heiteren Trotz heraus, aus der Intuition, dass der Jesus-Weg nicht verschweben kann.“ Das ergibt keine Argumentation auf ein Ziel hin, keine These, die sich schnell vorstellen ließe. Dafür wird einem beim Lesen der Sinn dafür geöffnet, dass der Glaube existenziell, lebensverändernd ist. Heidrichs Versuch ist keine Einleitung, sondern eine Einübung im Christentum. Man muss ihn sich als einen erfahrenen Lehrer vorstellen, der sich einer Klasse nie anbiedern würde, weil er sie lieber mit Unbekanntem und Überraschendem anlockt.
Ruhige, klare Bilanz
Ungefähr doppelt so umfangreich wie die beiden ersten Bücher ist der Versuch von Horst Gorski: Jahrgang 1957, langjähriger Propst in Hamburg und anschließend theologischer Vizepräsident im Kirchenamt der EKD (sowie regelmäßiger zeitzeichen-Autor). Mit seinem Titel „Selbst glauben! Anstiftungen zu einer Lebenskunst für herausfordernde Zeiten“ traut er sich etwas: Das Ausrufezeichen ist groß und gelb auf das Cover gesetzt, und „Lebenskunst“ signalisiert ein anspruchsvolles Programm, das Dogmatik, Ethik und Biografie miteinander verknüpfen will. Das gelingt auf bemerkenswert natürliche Weise. Gorski zieht ruhig und klar eine Bilanz seiner theologischen, pastoralen und kirchenleitenden Existenz, ohne dass es je ins bloß Private abrutscht. Der Zugang über den eigenen Glaubens- und Denkweg regt an, sich beim Lesen zu fragen, was es für einen selbst heißen könnte, heute (noch oder wieder) zu glauben.

In einem ersten Teil widmet sich Gorski den Topoi einer modernen Glaubenslehre, im zweiten diskutiert er ethische Fragen. Beides tut er ohne Sensations- und Originalitätsgehabe. Selbstbewusst und demütig zugleich stellt er sich in die Tradition des aufgeklärten Protestantismus und versucht, den humanen Wesenskern des Christentums freizulegen. Dazu schildert er exemplarische Lebenssituationen, erinnert an biblische Geschichten, vermittelt Einsichten der Theologie: von Augustin über Luther, Schleiermacher bis Sölle. Bleibend Gültiges stellt er ebenso vor wie Überlebtes oder Problematisches. Nebenbei gefragt: In welcher anderen Religionskultur könnte ein leitender Geistlicher im Ruhestand so unbefangen über die Schätze, Grenzen und Abgründe des Glaubens schreiben? Dabei wird die Kritik nie zum Selbstzweck oder zur Provokation, sie gehört für Gorski schlicht zu einem erwachsenen Glauben.
Mit seiner jargonfreien Sprache und offenen Gesprächshaltung regt Gorski dazu an, die eigene religiöse Biografie zu bedenken. Am liebsten würde man gleich mit ihm in eine Diskussion einsteigen – gleichgültig, ob man selbst wie er „eine liberale Theologie mit starken christlichen Überzeugungen“ – ja, das kann es geben – oder eine andere Grundlinie vertritt. Sein Buch ermöglicht Gespräche über theologische Grenzen hinweg, auch weil Gorski die eigene Besonderheit und Begrenztheit bewusst ist. Der aufgeklärte Protestantismus ist für ihn nicht der Gipfel der Christentumsgeschichte: „Andere Weltgegenden mit ihren Kulturen beharren selbstbewusst auf ihren Traditionen.“ Diese Selbstrelativierung wird dadurch ergänzt, dass im Buch durchgängig ein frommer und pastoraler Glutkern spürbar ist. Das kommt auch den ethischen Erörterungen zugute. Viele, heftig umstrittene Themen diskutiert Gorski, aber immer so, dass das Gespräch und unterschiedliche Gewissensentscheidungen möglich bleiben: „Es geht nicht um meine persönlichen Meinungen zu den Themen. Sie schimmern hier und da durch, stehen aber nicht im Mittelpunkt. Vielmehr will ich Hintergründe und Methode darstellen, die dabei helfen können, sich eine eigene Meinung zu bilden.“ Es sei nicht vergessen, dass Gorski viele ethische und religionspolitische Streitigkeiten durchlebt und manchmal auch durchlitten hat. Aber da ist keine Spur von Groll oder Rechthaberei, stattdessen viel Neugier auf das, was andere glauben, denken und tun würden.
Hölzerne Konstruktion
Zum Schluss Wilfried Härle: Jahrgang 1941, einer der bekanntesten Dogmatiker Deutschlands. Unter dem schönen Titel „Ja, aber!“ versucht er, ein „Streitgespräch zwischen Glauben und Zweifel“ zu inszenieren. Dabei weist er einer Person A die Position des Glaubens und einer Person B die des Zweifels zu. Gemeinsam gehen sie zentrale Themen und Probleme durch: Gottesbegriff, Schöpfungslehre und Evolution, Theodizee oder Christologie. Leider geht die formale Idee nicht auf, es bleibt bei einer hölzernen Konstruktion. Die B-Person gewinnt keine Lebendigkeit, denn der Zweifel darf nur die Stichworte für den Glauben liefern. Zudem ist das Buch inhaltlich zu voraussetzungsreich und sprachlich zu kompliziert, als dass es ein allgemeines Lesepublikum ansprechen würde.

So weit die Durchsicht des Bücherstapels auf meinem Schreibtisch. Sie zeigt, dass es im deutschen Christentum sehr wohl Menschen gibt, die das offene und ernste Gespräch über die Inhalte des Glaubens suchen und gestalten, weshalb es das Beste wäre, die Bücher von Zarnow, Heidrich oder Gorski gemeinsam mit anderen zu lesen und zu besprechen.
Literatur
Christopher Zarnow: Wer’s glaubt, wird selig? Penguin Verlag, München 2025, 192 Seiten, Euro 22,–.
Christian Heidrich: Warum ich ein Christ bin. Patmos Verlag, Ostfildern 2025, 176 Seiten, Euro 20,–.
Horst Gorski: Selbst glauben! Anstiftung zu einer Lebenskunst in herausfordernden Zeiten. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2025, 368 Seiten, Euro 22,–.
Wilfried Härle: Ja, aber! Streitgespräch zwischen Glauben und Zweifel. Verlag de Gruyter, Berlin 2024, 186 Seiten. Euro 29,95.
Johann Hinrich Claussen
Johann Hinrich Claussen ist seit 2016 Kulturbeauftragter der EKD. Zuvor war er Propst und Hauptpastor in Hamburg.