Licht und Dunkel
zeitzeichen: Herr Lemberg, zu Ihren Künsten gehören Fotografie und Installationen. Licht spielt in Ihren Arbeiten eine große Rolle. Wenn Sie das Wort Licht hören, woran denken Sie? Was macht Licht für Sie
zu einem besonderen Medium?
GÖTZ LEMBERG: Das Besondere an Licht?! Es ist immateriell und gleichzeitig körperlich und sinnlich erfahrbar. Es ist erhellend. Es spricht auch den Verstand an. Es ist zerstörerisch. Die Abwesenheit von Licht ist schrecklich, und das Zuviel an Licht blendet. Licht ist Farbe. Licht wandelt Ansichten. Licht erzeugt Stimmungen. Licht ist symbolisch aufgeladen. Es ist anthropologisch zutiefst mit dem Menschsein verwoben. Licht ist eine der Brücken zum Unsagbaren, zum Unfassbaren. Das alles fasziniert mich. Wenn ich „Licht“ höre, stelle ich mir oft ein Leuchten vor, weiß und in einer undefinierten Form. Dann Farben. Dann Räume.
Wenn Licht und Raum nicht zu trennen sind, was reizt Sie an der Auseinandersetzung mit den durchbeteten Steinen einer Kirche?
GÖTZ LEMBERG: Das (Nach-) schwingen all der Worte. Der Erfahrungsraum Kirche. Zum einen verdichten sich in den Worten der Bibel Jahrtausende an Lebenserfahrung. Sie ist eine umfassende Ansammlung von Wissen, von Menschenerfahrung, die mich sehr fasziniert. Das Zweite ist die Raumtradition selber. Kirche ist ein Ort für Besinnung und Einkehr,
für Versammlung und Teilen. Solche Erfahrungsräume gibt es mittlerweile zu wenig in unserer Gesellschaft. In der Öffentlichkeit existieren kaum noch Räume, die Stille und Ruhe ausstrahlen und dem Besucher selber Raum geben.
Fenster, Altargold, Fresken, seit jeher hat Licht im Kirchenraum eine besondere Bedeutung. Was kann man in Kirchen über Licht lernen?
GÖTZ LEMBERG: Sehr viel. Man kann viel über Lichtdramaturgie und Wirkung lernen, aber auch, wie es nicht funktioniert. Gerade in modernen Kirchen herrscht oft ein Missverständnis, nämlich, dass Helligkeit gleich Transparenz gleich Offenheit und Zugewandtheit bedeutet. Das ist nach meiner künstlerischen Erfahrung nicht der Fall. Bei der Frage, wie mit Tages- und Kunstlicht umgegangen wird, herrscht nicht selten Funktionalität vor. Das ist für eine Lichtgestaltung zu wenig.
Wie kommen Sie darauf, dass sich Helligkeit nicht mit Offenheit gleichsetzt?
GÖTZ LEMBERG: Bei manchen Kirchbauten, die viel Licht einlassen und sehr hell sind, steckt die Idee eines lichtgefüllten Gefäßes dahinter. Aber so funktioniert Wahrnehmung nicht. Menschliche Wahrnehmung will stimuliert, herausgefordert, irritiert, geführt, überrascht, beruhigt … werden. Helligkeit ist noch nicht erhellend. Zum Beispiel sind Fenster oft transluzent. So entsteht diffuses, ungerichtetes, „glanzloses“ Licht. Oft ist es in Kirchenräumen zwar hell, aber nicht licht.
Zu Ihren jüngsten Projekten gehört die Ausstellung „dunkel – licht. Lichtinstallationen“, die Sie für die Markuskirche in Hannover entwickelt haben. Sie wurde in diesem Frühjahr auch während des Kirchentages mit vier Lichtinstallationen in und vor der Kirche gezeigt. Im Kirchraum war Licht in verschiedenen Dimensionen zu erleben. Was war Ihre grundsätzliche Intention?
GÖTZ LEMBERG: Das Thema war Licht und Dunkelheit. Wir Menschen sind dualistische Wesen und brauchen immer auch das Gegenteil. Der Titel der Ausstellung deutet das an – „dunkel – licht.“Kirche ist auch ein Ort, der den Anspruch hat, licht zu sein. Viele Symbole weisen darauf hin. Mit Licht verbindet sich Erkenntnis, Einsicht, Führung – Erleuchtung sogar. Die vier Arbeiten beschreiben einen Weg von außen nach innen und vom Öffentlichen ins Individuelle. Dabei durchschreiten die Besucher sehr unterschiedliche „Lichterfahrungen“.
Sie widmen sich zunächst dem Kirchgebäude.
GÖTZ LEMBERG: Die Frage, was Licht in dem Kontext von Kirche bedeuten kann, habe ich im Außenraum gestellt. Die Installation steht an einer Hauptverkehrsstraße. Sie strahlt weit in den öffentlichen Raum aus. Im Format einer großflächigen Werbewand sind dort Lichtlinien zu sehen. Umso dunkler es wird, umso heller erscheinen sie. Diese Lichtlinien umschreiben Leerstellen. Wo sie nicht leuchten, lässt sich das Wort – die Botschaft? – „Licht“ lesen. Das Wort ist allerdings dunkel, obwohl es das Gegenteil verspricht. Viele Betrachter erkennen das Wort nicht. Erst nach Wochen oder durch Bilder, die die Arbeit grafischer erscheinen lassen, als sie ist, erkennen sie plötzlich, was da geschrieben steht.
Im geöffneten Glockenturm der Markuskirche lassen Sie Besucher auf Kissen liegend in den Himmel schauen. „FriedLicht“ heißt die Installation mit der Videoproduktion. Was ist die Bedeutung dahinter?
GÖTZ LEMBERG: Der Glockenturm ist in vielen Kirchen der Ort, den nur der Küster betritt. Ein nicht öffentlicher Ort, der in der Markuskirche für die Dauer der Ausstellung öffentlich wurde. Der Besucher schaut auf dem Boden liegend nach oben Richtung Himmel. Über ihm entwickeln sich in der Höhe des Turms aus einer monochromen, grauen Lichtfläche zuerst nur leichte Farbveränderungen, dann setzen Bewegungen ein, die sich dann zu farbigen Flächen entwickeln, die wiederum in eine monochrome graue Fläche verblassen. Diese Veränderungen verlaufen sehr langsam. „FriedLicht“ ist eine Meditation über das Licht.
Und warum „FriedLicht“?
GÖTZ LEMBERG: Der Titel geht auf meine Beschäftigung mit Caspar David Friedrich zurück. Im vergangenen Jahr habe ich auf Einladung des Vorpommerschen Landesmuseums in Greifswald, wo Caspar David Friedrich geboren und 2024 sein 250. Geburtstag gefeiert wurde, vor dem Museum eine permanente Lichtzeichnung installiert. Das war der Anlass, mich noch stärker mit der Schnittstelle von Malerei, Licht und Fotografie zu beschäftigen. Denn wenn man einen großen Bogen aufspannt, kann man Caspar David Friedrich (mit Turner und Rothko) wegen seines nuancierten, beinah abstrakten Farbgebrauchs als einen der Ahnen der Lichtkunst ansehen. Und „FriedLicht“ bezieht sich ganz konkret auf sein Bild „Mönch am Meer“, das für die damalige Zeit eine ungewöhnliche, abstrakte Qualität hatte.
Sie haben Ihre Lichtinstallation im Glockenturm, also in einem Architekturelement einer Kirche konzipiert. Was bedeutet das für Ihre Arbeitsweise?
GÖTZ LEMBERG: Ich habe eine versteckte Räumlichkeit aktiviert und lade die Besucher ein, ungewohnte Wege zu gehen. Ich sehe eine Kirche nicht als eine Ansammlung einzelner Räumlichkeiten mit unterschiedlichen Funktionen, sondern als Gesamtraum mit den Erfahrungen, die dort möglich sind. Deswegen haben wir für die Dauer der Ausstellung alle Räume aufgemacht inklusive des Vorplatzes.
Im Inneren der Kirche stand Ihr Raum im Kirchenraum.
GÖTZ LEMBERG: Ja, auf dem Weg zum Altar habe ich im Kirchenschiff eine Transportkiste aus Holz voller Licht platziert.
In diesem hohen betretbaren Holzraum befand sich ein Lichtspiegelobjekt, ein Kaleidoskop.
GÖTZ LEMBERG: Gewöhnlich betritt der Besucher eine Kirche mit einem freien Blick auf den Altar; jetzt stößt er bildlich gesprochen mit dem Kopf an eine Kiste. Diese überraschende Begegnung tut gut in einem Raum, den man zu kennen meint. In diese Kiste kann man nur von unten eintauchen. Dann befindet man sich unvermittelt in einem Spiegelraum aus farbigen Lichtlinien, die sich immer wieder zu neuen Mustern mischen und zusammenstellen. Es ist ein Raum im Raum. Der zur selben Zeit unendlich scheint, obwohl er eng ist.
Welche Rolle spielt überhaupt bei dieser Art von Kunst oder Installation das Vorwissen der Betrachter?
GÖTZ LEMBERG: Das kommt auf die Besucher an. Meine Arbeiten bieten verschiedene Annäherungsmöglichkeiten. Man kann sie sensorisch und emotional erleben. Oder auch in einen Dialog treten und Fragen nach dem Konzept, der kunstgeschichtlichen Verankerung oder der Auseinandersetzung mit dem Raum stellen. Das überlasse ich den Besuchern.
In einem Kapellenanbau finden sich die Besucher in absoluter Dunkelheit. Der Besucher muss warten, bis sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt hat und sich die anderen Sinne schärfen. Es wächst die Sorge, dass da vielleicht noch jemand sein könnte.
GÖTZ LEMBERG: Warum Sorge? Der erste Gedanke könnte ja auch sein: Es ist dunkel, ich sehe nichts, hoffentlich ist da jemand, den ich bei Bedarf um Hilfe bitten kann. Die allerdings gar nicht notwendig ist, weil es keine Bedrohung gibt. Es ist aber auch denkbar, dass der Mensch in diese wirklich intensive Dunkelheit voller Neugierde eintaucht. Sie als eine Befreiung seiner überstrapazierten Augen erlebt. Der Raum jedenfalls fordert, die gewohnten Verhaltensweisen zu unterbrechen und sich auf eine nicht alltägliche Situation einzulassen.
Warum haben Sie die Installation in der Kapelle HCIICH genannt?
GÖTZ LEMBERG: Das ist ein Wortspiel, eine Spiegelung des Wortes ICH. Wie ja auch die Installation eine Spiegelung des Besuchers ist. Denn in dem Raum befinden sich neun Überwachungskameras und 14 Smartphones. Auf den Smartphones sind die Bilder der Überwachungskameras zu sehen – also man selbst. Der ganze Raum ist voller HCIICHs. Selbst die Kerze, die in einer Ecke brennt, entpuppt sich als ein bewegtes Bild – ein Video–, das auf einer Smartphoneskulptur abgespielt wird. Auf diese Weise ist der ganze Raum angefüllt mit digitalen Bildern – von einem selbst. Alles, was man sieht, sind digitale Spiegelungen.
Das Smartphone fungiert als Lichtquelle.
GÖTZ LEMBERG: Ja, das auch. Es ist ein anderes Verständnis von Licht, mit dem ich in diesem Raum arbeite. Die einzigen Lichtquellen sind digitale Bilder. Denn nichts leuchtet mittlerweile so häufig wie Bildschirme. Man könnte sagen, Bilder, Selbstbespiegelungen sind das neue Licht.
Vier Wahrnehmungen von Licht, die sich sehr stark voneinander unterscheiden.
GÖTZ LEMBERG: Das stimmt. Es war mir ein Anliegen, Licht in seiner Vielfalt zu benutzen. Hinter jeder Arbeit steht eine andere Methode der Lichtproduktion: Videoprojektion, Smartphone Bildschirme, Lichtröhren und Farbmuster. So fordert jede Arbeit eine andere „Wahrnehmungstechnik“.
Wie war die Resonanz auf die Ausstellung „dunkel – licht.“? Welche Lichter sind den Besuchern aufgegangen? Und was hat Sie am meisten verblüfft?
GÖTZ LEMBERG: Die Resonanz war sehr positiv. Es kamen Besucher weit über den Kreis der üblichen Besucher hinaus. Sicherlich hat geholfen, dass die Ausstellung auch in den Medien eine gute Resonanz gefunden hat. Ich denke, die Menschen haben eine große Sehnsucht nach Orten, die sinnlich sind und sie berühren und auch herausfordern.
Hatten Sie den Eindruck, dass diese Markuskirche, die nun schon 100 Jahre alt ist, durch die Lichtinstallation stärker mit der Gegenwart konfrontiert ist?
GÖTZ LEMBERG: Das ist der Sinn von Kunst in der Kirche. Und das wird in der Gemeinde auch wirklich gelebt. Hier stieß ich auf eine große Neugierde auf die Arbeiten und ein breites Engagement und Unterstützung. Was wichtig ist, denn bei so einem Projekt lässt sich nicht alles vorhersagen, was passiert und notwendig wird.
Das Licht inspirierte seit je die unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstler: Caravaggios Chiaroscuro, Chagalls Kirchenfenster, den Film Noir und Turrells Lichtinstallationen. Sie sind als Fotograf auch ein Lichtmaler, ein Lichtbildner. Was hat Sie daraus in Ihrem künstlerischen Schaffen inspiriert?
GÖTZ LEMBERG: Künstlerische Inspirationen gibt es verschiedene. Aber die, die mich immer sehr bewegt haben, sind unterschiedliche künstlerische Strategien und Sichtweisen wie die der Impressionisten, vor allem Claude Monet, aber auch John Constable und William Turner, die Suprematisten und Mark Rothko. Bei den Lichtkünstlern sicherlich James Turrell.
Gibt es überdies Räume, die noch nicht vom Licht berührt sind?
GÖTZ LEMBERG: Mein Eindruck ist, dass wir zu viel technisches Licht haben. Unser Umgang mit natürlichem Licht muss sich erweitern, sogar erneuern. Dafür braucht man eine gewisse Demut und Frustrationsschwelle, weil natürliches Licht sich unserer Gewohnheit nicht unterordnet. Mal scheint die Sonne, mal regnet es, dann ziehen wieder irgendwelche Wolken vorbei … Deswegen ist die permanente Verfügbarkeit das Großartige und Verführerische an technischem Licht. Es macht das Leben und Arbeiten so viel berechenbarer und bequemer. Es geht allerdings das Bewusstsein für die spirituelle Ebene von Licht verloren.
Zeitgemäßes Licht kommt also aus der Steckdose?
GÖTZ LEMBERG: Könnte man glauben.
„Licht ist schön, weil Gottes Schönheit im sichtbaren Licht derart transparent wird, dass in der natürlichen Hineignung des Menschen zu Licht voll Schönem die Schönheit Gottes ahnungsvoll geliebt werden kann.“ Das schrieb der Mönch Pseudo-Dionysius Areopagita im 6. Jahrhundert nach Christus. Das ist eine Lichtmetaphysik, auf der ein wichtiger Teil unserer Architektur und Kunst aufbaut. Spielt für Sie Lichtmetaphysik dieser Art für Ihre Kunst eine Rolle oder ist Ihnen das ganz fern?
GÖTZ LEMBERG: Spiritualität spielt für mich eine Rolle; kein konfessionelles, aber ein spirituelles Licht, ja, das auf jeden Fall.
Knipsen Sie das Thema Licht nun aus, oder haben Sie neue Pläne?
GÖTZ LEMBERG: Ja, es gibt einige Pläne. Für mich wird in den nächsten Jahren natürliches Licht eine größere Rolle spielen. Dabei beschäftigt mich die Frage: Wie schaffe ich es, mit natürlichem Licht zu arbeiten, ohne mit dem technischen Denken vorzugehen? Wie gehe ich mit der Unvorhersehbarkeit von natürlichem Licht um? Ich habe zum Beispiel einen Raum des Lichts entworfen, in dem es nur natürliches Licht gibt. Es ist ein „Raum des Nichts“, weil Sie nichts außer natürlichem Licht sehen. Der Raum verändert aber durch seine Gestaltung das Licht. In diesem Fall knipse ich das elektrische Licht aus. Und konzentriere mich nur auf das, was da ist.
Das Gespräch führte Kathrin Jütte am 22. Mai in Berlin.
Kathrin Jütte
Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.