Gutes Licht, schlechtes Licht

Wie sich Licht auf unsere Erinnerung, das Konzentrationsvermögen und die Emotionen auswirkt
Urlaubszeit – Sonnenzeit. Viele Menschen lieben die wärmenden Strahlen der Sonne, gerade auch am Meer. Doch wer länger draußen ist, braucht Schutz. Sonst setzt er sich einem erhöhten Hautkrebsrisiko aus.
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Urlaubszeit – Sonnenzeit. Viele Menschen lieben die wärmenden Strahlen der Sonne, gerade auch am Meer. Doch wer länger draußen ist, braucht Schutz. Sonst setzt er sich einem erhöhten Hautkrebsrisiko aus.

Sonnenlicht kurbelt die Vitamin-D-Produktion an, blaues Licht hält uns wach, und Dunkelheit lässt uns schlafen. Doch unseren Alltag bringen diese natürlichen Prozesse durcheinander – was bedeutet das für unsere Gesundheit? Dieser Frage geht der Wissenschaftsjournalist Anton Benz nach.

Wir leben im Zeitalter des künstlichen Lichts. Die meisten von uns verbringen den Großteil des Tages drinnen – und selbst wenn die Nachttischlampe erlischt, bleibt der Handybildschirm oft noch an. Doch schadet uns der Mangel an Sonnenlicht? Und wann wird Licht zu viel?

Trifft energiereiches Sonnenlicht auf die Haut, löst es eine komplexe Reaktion aus: In den oberen Hautschichten sitzt ein Molekül namens 7-Dehydrocholesterol. Sonnenstrahlen wandeln es in eine Vorstufe von Vitamin D um, die Leber und Niere zur aktiven Form Cholecalciferol – besser bekannt als Vitamin D3 – verarbeiten. Vitamin D umfasst eine ganze Gruppe von Stoffen, die als Calciferole bekannt sind. Sie helfen dem Körper, Kalzium aus der Nahrung aufzunehmen, und stärken so die Knochen. Außerdem unterstützen sie das Immunsystem und wirken entzündungshemmend. 

Energiereiches Sonnenlicht

Doch führt die kurze Zeit, die viele von uns draußen verbringen, zu einem flächendeckenden Vitamin-D-Mangel? Das wird oft behauptet, ist aber umstritten. Auch, weil die Frage, was als „ausreichender“ Vitamin-D-Spiegel gilt, in der Fachwelt umstritten ist. Das Robert-Koch-Institut (RKI) spricht von einem Mangel, wenn der Blutwert unter zwölf Nanogramm pro Milliliter fällt; ab diesem Punkt steige das Risiko für Knochenerkrankungen. In Deutschland betrifft das laut RKI etwa 13 Prozent der Kinder und 15 Prozent der Erwachsenen. Weitaus häufiger ist eine „suboptimale“ Versorgung – also ein Graubereich „mit möglichen Folgen für die Knochengesundheit“.

JoAnn Manson, Epidemiologin an der Harvard-Universität und führende Vitamin-D-Forscherin, hat sich der Frage aus einer anderen Perspektive genähert. Sie leitete die VITAL-Studie (Vitamin D and Omega-3 Trial), eine der größten Untersuchungen zu Vitamin D als Nahrungsergänzungsmittel. Rund 26 000 gesunde Erwachsene nahmen fünf Jahre lang entweder 2 000 Internationale Einheiten (IE) Vitamin D oder ein Placebo ein. Zum Vergleich: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DEG) empfiehlt 800 IE pro Tag bei fehlender Eigenproduktion. Die Studie zeigte 2022, dass mehr Vitamin D weder die Zahl der Knochenbrüche noch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Migräne oder Schlaganfälle messbar senkte.

Eine neue Auswertung der Daten aus dem Mai 2025 deutet jedoch auf einen Effekt auf zellulärer Ebene hin. Es geht um Telomere, die Schutzkappen an den Enden der Chromosomen. Mit jeder Zellteilung verkürzen sie sich, bis sie die Gene nicht mehr schützen können – ein Prozess, der mit dem Altern zusammenhängt. In der Vitamin-D-Gruppe blieben die Telomere signifikant länger erhalten, was biologisch etwa drei Jahren weniger Alterung entspricht. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Vitamin D den biologischen Alterungsprozess und altersbedingte Krankheiten verlangsamen könnte“, sagt Manson gegenüber zeitzeichen. Sie betont, dass weitere Studien nötig sind, bevor Empfehlungen für die Allgemeinbevölkerung abgeleitet werden können.

Die internationale Endocrine Society ist wohl die weltweit wichtigste Organisation, die sich mit der Forschung zu Hormonen beschäftigt. Dazu zählt auch Vitamin D, das strenggenommen gar kein Vitamin ist, weil es der Körper selbst produzieren kann. Die Fachgesellschaft empfiehlt derzeit Menschen über 75 Jahren eine tägliche Vitamin-D-Supplementierung, die über die DEG-Empfehlung hinaus geht. „Wir haben festgestellt, dass 2 000 IE pro Tag in der VITAL-Studie über einen Zeitraum von fünf Jahren sehr sicher war – ohne Nebenwirkungen oder unerwünschte Ereignisse“, so Manson. „Eine Supplementierung mit 1 000 bis 2000 IE Vitamin D täglich ist daher durchaus sinnvoll für alle, die sich Sorgen machen, ob sie über Ernährung und Aufenthalt im Freien ausreichend Vitamin D aufnehmen.“

Laut Endocrine Society sollen sich Erwachsene unter 75 dennoch an den etwas niedrigeren Referenzwert halten, den auch die DEG vorgibt. Darüber hinaus spricht sich die Organisation gegen routinemäßige Vitamin-D-Bluttests aus – unter anderem, weil die Messergebnisse schwanken, oft keine eindeutigen Rückschlüsse zulassen und Uneinigkeit darüber herrscht, was ein adäquater Blutwert ist.

Wer zur Risikogruppe für einen Vitamin-D-Mangel gehört – etwa Menschen mit Osteoporose; mit Fettstoffwechselstörungen wie Morbus Crohn oder mit besonders wenig Sonnenkontakt sollte den Vitamin-D-Spiegel ärztlich prüfen lassen. Das gilt auch für alle mit gesundheitlichen Beschwerden, die auf einen Mangel hindeuten.

Für alle anderen gilt: lieber raus ins Licht. „Nahrungsergänzungsmittel können eine gesunde Ernährung und Lebensweise nicht ersetzen“, so Manson. Zeit an der frischen Luft, Bewegung und ausgewogene Ernährung haben langfristig größeren Einfluss auf die Gesundheit. Und wer glaubt, viel helfe viel, irrt: „Mehr ist nicht unbedingt besser“, warnt Manson. Vitamin D ist fettlöslich und wird bei Überdosierung im Fettgewebe gespeichert. Das kann zu erhöhtem Kalziumspiegel im Blut führen – mit Folgen wie Müdigkeit, Übelkeit, Muskelschwäche oder Herzrhythmusstörungen. Im Extremfall drohen bleibende Nierenschäden bis hin zum Tod.

Das RKI empfiehlt, von März bis Oktober zwei- bis dreimal pro Woche Gesicht, Hände und Arme unbedeckt der Sonne auszusetzen. Schon die halbe Zeit, in der die Haut sonst einen Sonnenbrand bekäme, reicht für eine ausreichende Vitamin-D-Bildung. Wer länger draußen ist, braucht ohnehin einen Schutz durch Kleidung, Schatten oder Sonnencreme, denn einen Sonnenbrand sollte man tunlichst vermeiden. Selbst mit Sonnencreme kann der Körper Vitamin D bilden, wenn auch eingeschränkt. Im Zweifel ist eine suboptimale Produktion des Hormons dem erhöhten Risiko von Hautkrebs vorzuziehen. 

Buchstäblich unter der Haut

Ohnehin wirkt Licht nicht nur an der Oberfläche unserer Körper, es geht buchstäblich unter die Haut – und hinterlässt noch tief im Gehirn seine Spuren. Dort beeinflusst es, ob wir wach, fokussiert oder müde sind. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die „intrinsisch photosensitiven retinalen Ganglienzellen“ (ipRGCs). Neben Stäbchen und Zapfen, die für Hell-Dunkel- und Farbsehen zuständig sind, bilden sie die dritte Art von Lichtempfängern in der Netzhaut des Auges. Sie leiten Lichtinformationen an den suprachiasmatischen Nukleus (SCN) weiter, den Taktgeber unserer inneren Uhr. Dieser liegt tief im Gehirn und steuert den Schlaf-Wach-Rhythmus, die Herzfrequenz, den Blutdruck und die Körpertemperatur.

Wenn es dunkel wird, produziert die Zirbeldrüse Melatonin, ein schlafförderndes Hormon. Die ipRGCs hemmen diese Produktion – und reagieren dabei besonders auf kurzwelliges, so genanntes blaues Licht mit einer Wellenlänge von etwa 480 Nanometern.

Doch in unserer Gesellschaft gerät dieses System aus dem Takt. In vielen Städten wird es nie richtig dunkel, und Bildschirme bleiben bis spät in die Nacht an. Eine groß angelegte Studie der australischen Monash University mit über 85 000 Menschen, die eine Woche lang Lichtsensoren am Handgelenk trugen, zeigte 2023: Mehr nächtliches Licht geht mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen einher – mehr Tageslicht hingegen mit einer besseren mentalen Gesundheit. Eine weitere Auswertung der Daten im Folgejahr offenbarte sogar einen Zusammenhang zwischen später Beleuchtung und einem erhöhten Sterberisiko. Andere Studien geben Hinweise darauf, dass es Schlafprobleme infolge des Lichts zu unwirtlicher Zeit sind, die auf die Gesundheit schlagen.

Allerdings: Solche Beobachtungsstudien können keine Ursache-Wirkung-Beziehung belegen, und auch in genaueren Laborstudien finden sich oft nur dann statistisch aussagekräftige Effekte, wenn die Beleuchtung stundenlang anhält oder die Bildschirme heller sind als Licht vom Smartphone – und selbst dann ist der Einfluss auf den Schlaf nicht besonders groß.

Was, wenn nicht die späte Beleuchtung krank macht – sondern psychische Krisen dazu führen, dass Menschen nachts länger wach bleiben oder stärker am Bildschirm kleben? Umfragen zeigen: Viele Menschen sehen vor dem Einschlafen fern oder verbringen Zeit am Handy, um sich von negativen Gedanken abzulenken. Für viele ist das Smartphone ein Tool, um Emotionen zu regulieren, und dient sogar als Einschlafhilfe. 

Eine Einschlafhilfe

Neuere Theorien zum Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Schlaf greifen diese Perspektive zunehmend auf. Ein schwedisch-australisches Forschungsteam formulierte 2024 ein „Bidirektionales Modell von Schlaf und Technologienutzung“: Wahrscheinlich trifft beides zu – späte Mediennutzung kann den Schlaf stören, gleichzeitig neigen Menschen mit Schlafproblemen dazu, noch spät in den Bildschirm zu schauen.

Auch in einem anderen Bereich schreitet die Forschung voran: „Es gibt immer mehr Hinweise, dass Licht, besonders helles, blau-angereichertes Licht, die kognitive Leistung beeinflusst“, sagt Heather Mahoney zu zeitzeichen, die an der Northwestern University in den USA an genau diesem Thema forscht. Licht steigere die Konzentration und fördere das Erinnerungsvermögen – und diese Effekte sind stärker, wenn es draußen dunkel ist.

Dass die lichtempfindlichen ipRGCs ihre Signale nicht nur an den Taktgeber der inneren Uhr senden, sondern auch an den präfrontalen Kortex, der eine wichtige Rolle bei diesen Prozessen spielt, weiß man aus Tierversuchen. Demnach gibt es auch Verbindungen zwischen den ipRGCs und Gehirn­arealen, die an der Emotionsregulation beteiligt sind. Wie Licht aber soziale und emotionale Prozesse beeinflusst, sei noch weitestgehend unklar, so Mahoney. „Ich bin überzeugt, dass wir weitere Funktionen des Lichts und der ipRGCs finden werden“, so die Hirnforscherin. „Wir haben noch viel zu entdecken.“ Licht bleibt also – nicht nur im übertragenen Sinn – eine Quelle der Erkenntnis.

 

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Der richtige Umgang mit Licht für besseren Schlaf und mehr Energie

Tagsüber

Möglichst viel Zeit im Freien verbringen – am besten gleich morgens nach dem Aufstehen. Das bringt den inneren Rhythmus in Schwung. Selbst bei bewölktem Himmel ist das natürliche Tageslicht dafür ausreichend. Wer sich drinnen aufhält, sollte sich möglichst in Fensternähe setzen.

Abends

Auch wenn blaues Licht in der Zeit vor dem Schlafengehen den Schlaf weniger beeinträch­tigen mag als oft angenommen: Es ist empfehlenswert, in den Stunden vor dem Schlafengehen das Licht zu dimmen und auf Handy, Tablet oder Laptop den Nachtmodus oder Blaulichtfilter zu aktivieren. Entscheidend ist, digitale Geräte zur geplanten Schlafenszeit konsequent beiseitezulegen.

Ein generelles Technikverbot im Schlafzimmer kann helfen – muss aber nicht. Viele Menschen nutzen Smartphone oder Tablet gezielt zur Entspannung. Ein kompletter Verzicht kann bei manchen sogar das Gedankenkarussell ankurbeln und den Schlaf eher verschlechtern.

Nachts

Das Schlafzimmer sollte so dunkel wie möglich sein. Es sollte darauf geachtet werden,
dass nachts kein flimmernder Bildschirm oder eine Handybenachrichtigung den Schlaf stören kann. Am besten: Handy in den Flugmodus – oder gleich ganz ausschalten.

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