„Ewges Licht und Wonne“

Die „güldne“ Sonne erleuchtet unsere Erde – doch die Erklärungen, wie sie dazu kam, schwankten im Verlaufe der Menschheitsgeschichte beträchtlich. Die Mythologien und schon gar die Religionen waren da gänzlich anderer Meinung als die späteren Naturwissenschaftler. Aber das hält die Menschen nicht davon ab, ihr Sonnenbad zu genießen, berichtet der frühere zeitzeichen-Chefredakteur Helmut Kremers.
Licht ist Leben: eine simple Weisheit. Ohne Licht geht es nicht. Es muss also ganz am Anfang gestanden haben. So viel wusste auch die Mythologie, auch die jüdisch-christliche. Gott war es, der verfügte „Es werde Licht“. Und es wurde Licht. Er, Gott, ist der Allmächtige, vor ihm konnte es nichts geben. Auch nicht das Licht. Und, nebenbei gesagt, auch nicht den Urknall. Auch die Kosmologen kommen nicht an IHM vorbei, wenn sie nicht eine unerklärliche Leerstelle zurücklassen wollen.
Aber die Mythologie ist so vielfältig wie es die alten Völker sind. Die alten Römer etwa nannten den Morgenstern, also den Planeten Venus, „Luzifer“, Lichtbringer. Dieser Luzifer wurde bei den Christen personifiziert und zum gefallenen Engel. Er habe sich Gott gleichmachen wollen, lautete der Vorwurf. Der große Scholastiker Anselm von Canterbury meinte spitzfindig, dies hätte er nicht ohne Zustimmung des Allmächtigen, Gottes, machen können. Seine Sünde bestand darin, dass er es „ungeordnet“ machen wollte. Jedenfalls wurde er aus dem Himmel geworfen, worunter sein Ruf so sehr litt, dass er zuletzt zum Synonym für Satan selbst wurde. Einige häretische Bewegungen – Bogomilen, Katharer – sahen ihn allerdings als Weltenschöpfer an – was nicht als Auszeichnung galt, war für sie doch die Welt grundböse. Wenn also die Kirche Gott als den Schöpfer der Welt ansah – und das tat sie–, dann verehrte sie gewissermaßen das böse Prinzip.
Angeber und Betrüger
Die Griechen kannten Prometheus, dem man ebenfalls nachsagte, der Demiurg (der Weltenschöpfer) zu sein. Er hatte sich schwer gegen den Göttervater vergangen, indem er das Feuer raubte und den Menschen brachte. Prometheus wurde zur Strafe an einen Felsen des Kaukasus gefesselt, wo ihm täglich ein Adler, Vogel des Zeus, die Leber ausgrub. Noch Hesiod (8. Jahrhundert vor Christus) fand, dieser Prometheus sei ein Angeber und Betrüger, der seine Strafe zu Recht erhalten habe, doch kaum zweihundert Jahre später verherrlichte Aischylos ihn als Segensbringer der Menschheit. Und dieses Image blieb: Prometheus, der der Menschheit mit dem Feuer den Aufgang des Lichtes und den Anfang der Kultur bescherte, also auch Vernunft und Verstand, die Voraussetzungen für das Entstehen der Wissenschaften. Jedenfalls blieb es dabei: das Helle, Lichterfüllte stand für das Gute – das Schlechte, Unheimliche, Böse tummelte sich in der Finsternis.
Auch im Norden, bei den Germanen, gab es einen unangepassten Götter-Bösewicht: Loki. Der wurde gelegentlich sogar mit Prometheus und Luzifer in Verbindung gebracht.Die Vermutung einer Namensähnlichkeit von Loki zu Luzifer erwies sich zwar als falsch, doch zumindest eine Ähnlichkeit zu Prometheus gab es: Er wurde von den Göttern gefesselt, man ließ ihm beständig ein Gift auf den Kopf tropfen. Seine treue Gattin Sigyn fing es zwar mit einer Schale auf, aber diese musste sie zuweilen ausleeren, Loki schrie dann, dass die Erde bebte – eine Erklärung für Erdbeben. Aber dieser Loki brachte den Menschen nicht das Feuer. Vielmehr wurde er gern mit dem Feuergott Logi verwechselt (noch Wagner tat dies), aber von einem irgendwie segensreichen Wirken seinerseits ist nichts bekannt.
Auch im Christentum war das Licht Medium des Guten, geschaffen auf Gottes Weisung. Wenn Paul Gerhardt 1666 „die güldne Sonne“ pries, so war dies im Grunde ein bedenkliches Kratzen an Gottes Allmacht, denn jene, die Sonne, konnte auch ohne Gott erschaffen worden sein. Paul Gerhardt jedenfalls schrieb dem Licht der Sonne selbst heilsame Kraft zu: „ … mein Haupt und Glieder, die lagen darnieder, aber jetzt steh’ ich, bin munter und fröhlich, schaue den Himmel mit meinem Gesicht …“
Ob es den meisten Touristen an weltweiten Stränden alljährlich um Heilung von irgendwelchen Gebresten geht oder trivialerweise nur um eine Vitalität vorspiegelnde Bräunung, egal, beides ist Beweis für des Menschen Sehnsucht nach „Mehr Licht“.
Mehr Licht? Da war doch noch was?
Ach ja: Goethe. Sein letztes Wort soll eben „Mehr Licht“ gewesen sein. Nur Spöttern kann da die Frage einfallen, ob Goethe in seiner letzten Stunde vielleicht unter Sehstörungen gelitten hat. Ein großer Mann musste ein großes Wort hinterlassen haben, und Goethe, der unbezweifelbar große Mann, strebte schließlich sein ganzes Leben zu mehr Erkenntnis, zu „mehr Licht“.
Geistiges Licht
Bei Goethes Tod 1832 war die große Zeit der Aufklärung schon vorbei. Aufklärung, das bedeutete den großen Durchbruch zum geistigen Licht (niederländisch: Verlichting, englisch: Enlightenment), zum endgültigen Sieg der Naturwissenschaften, der von den Kosmologen vorbereitet worden war – aber auch zur Rede von den Menschenrechten: Die Französische Revolution galt als Gipfel der Aufklärung, sie gilt es bis heute, die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen (1948) als ungebrochen in ihrer Tradition stehend.
Zu allen aufklärerischen Bestrebungen gab und gibt es Widerstände und Gegenbewegungen, die, wo sie Einfluss gewinnen, als Rückschläge bewertet werden. Erst die neueste Zeit hat den Verdacht aufgebracht, dass es sich bei allem aufklärerischen Gedankengut um ein Machtinstrument abendländischen Imperialismus’ handeln könnte; die Bestreitung der weltweiten Allgemeingültigkeit der Menschenrechte (etwa durch China) ist da ein Zeichen.
Aber die ungebrochen segensreiche Wirkung der Aufklärung wurde schon einmal bezweifelt. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno veröffentlichten 1944 ihr Buch „Dialektik der Aufklärung“. Darin erklärten sie, dass die Aufklärung dank ihrer Bevorzugung und Förderung einer „instrumentellen Vernunft“ irgendwann umschlage in finsteren Mythos. Diese Diagnose war natürlich inspiriert durch den Erfolg des Nationalsozialismus in Deutschland und durch den Zweiten Weltkrieg. Heute hätten wir anlässlich des weltweiten Vorrückens von rechten Bewegungen wieder Anlass, darüber nachzudenken. Das „Licht der Aufklärung“ droht wieder einmal verdunkelt zu werden.
Neben dem natürlichen Licht spielt das künstliche längst keine Nebenrolle mehr. Für die Reichen und Mächtigen tat es das nie. Die künstliche Erhellung der Dunkelheit war ihr Privileg. Die so genannten einfachen Leute gingen mit der Sonne zu Bett und standen mit ihr auf. Etwas anderes blieb ihnen nicht übrig, schufteten sie sich doch Tag für Tag ab zum Nutzen jener. Kaum ein Gedanke daran, dass sie nach Sonnenuntergang noch aktiv hätten sein können. Die Anfänge abendlich-nächtlicher Erhellung der Wohnräume waren primitiv genug. Was da zunächst spärlichst erleuchtete, waren wohl die Reste des Kamin- oder Herdfeuers, später Kerzen, natürlich nicht Wachs-, sondern übelriechende Unschlittkerzen.
Nach Petroleum- und Gasbeleuchtung haben wir heute die elektrische Beleuchtung. Die von Menschen bewohnten Gebiete erstrahlen vom Weltraum aus gesehen als Lichtermeer. Gelegentlich wird da schon von einer „Lichtverschmutzung“ geredet, der man wehren müsse.
Licht aufstecken
Doch im Alltagsleben der Menschen scheint die positive Lichtmetapher vorläufig unausrottbar zu sein; wir reden davon, dass wir jemandem ein „Licht aufstecken“ wollen, dass wir Licht in irgendein Dunkel bringen wollen …
Wer beteuert, ihr oder ihm „sei ein Licht aufgegangen“, sagt damit, dass sie/er – für gewöhnlich „endlich“ – zu einem Erkenntnisstand gelangt ist, der die rechte Einschätzung der Wirklichkeit erlaubt. Der Mensch wird auf seine Mitmenschen – endlich! – keinen umdüsterten Eindruck mehr machen.
Hoffentlich. Zugegeben, die Wortwahl ist verräterisch. Umdüstert scheint uns ein Mensch, dessen Stimmung auf einem Dauertiefpunkt angekommen ist. Nun, da ihm ein Licht aufgegangen, ist alles anders, jetzt erkennt er sie, die Wahrheit, worüber auch immer, jedenfalls über einen Sachverhalt, der ihm die Seele beschwerte.
Nicht immer ist sie heilsam, die Wahrheit, befand jedenfalls Schiller. Der meinte in seinem Gedicht „Licht und Wärme“: „Sie geben, ach! Nicht immer Glut / Der Wahrheit helle Strahlen! Wohl denen, die des Wissens Gut / Nicht mit dem Herzen zahlen!“ – wohl denen, heißt das wohl, die, wenn sie der „Wahrheit helle Strahlen“ endlich sehen, nicht in einen Zynismus geraten, der sie an allem Guten zweifeln lässt, so dass sie glauben, dass jedes Licht, das ihnen aufgehen kann, nur den Blick in Abgründe eröffnet. Friedrich Nietzsche, ein Denker, der dem Zynismus nicht immer abhold war, befand: „Die Menschen drängen sich zum Lichte, nicht um besser zu sehen, sondern nur, um besser zu glänzen.“
Doch natürlich hoffen wir, dass, wem auch immer ein Licht aufgeht, dies zum Besseren gereicht.
Könnte Gott tatsächlich der Veranlasser des Urknalls gewesen sein? Die moderne Naturwissenschaft kann über diesen Gedanken nur schmunzeln – sie braucht keinen Schöpfer, sondern nur rechnerisch stimmige Modelle. Und selbst die alte Annahme „Ohne Licht kein Leben“ ist heute von der Wissenschaft widerlegt: Zumindest in der absoluten Dunkelheit der Tiefsee tummeln sich merkwürdige Lebewesen bei ungeheuren Druckverhältnissen und sehr kalten Temperaturen.
Carl-Friedrich von Weizsäcker legte 1959/61 eine Vorlesungsreihe „Die Tragweite der Wissenschaften“ vor (S. Hirzel Verlag, Stuttgart, 1964), in der er sich der Abgrenzung von Wissenschafts- und Schöpfungsbericht widmete. Er leugnete dabei nicht, dass er ein Gläubiger des Szientismus war („Der Glaube an die Wissenschaft spielt die Rolle der herrschenden Religion unserer Zeit“). Aber man hat doch bei Lektüre seines Vorlesungszyklus das Gefühl, dass er den alten Arten der Welterklärung wenn schon nicht nachtrauerte, so doch ihnen mehr Dignität zubilligte, als es heute der Fall ist und zum Zeitpunkt dieser Vorlesungen war.
Gott als Veranlasser des Urknalls? Selbst unter Christen wäre eine so weitreichende Schöpfungsgeschichte heute kaum noch zu vermitteln. Aber ihnen ist ja auch der Himmel in Sphären entrückt, die nicht von dieser Welt sind, und dabei wurde das „ewige Licht“ Gottes immerhin schon durch keinen Geringeren als Paul Gerhardt an die Sonne delegiert, diesem einzelnen Stern irgendwo in der Milchstraße (die Zahl der Sterne der Milchstraße wird auf zwischen 100 bis 400 Milliarden geschätzt). Immerhin war für Paul Gerhardt der „Freudensaal“ der Sonne noch identisch mit dem Gottes: „Ach komm, ach komm, oh Sonne / Und hol uns allzumal zum ewgen Licht und Wonne / In deinen Freudensaal.“ (Letzte Strophe von „Wie soll ich Dich empfangen“)
Helmut Kremers
war bis 2014 Chefredakteur der "Zeitzeichen". Er lebt in Düsseldorf. Weitere Informationen unter www.helmut-kremers.de .