Licht und Wahrheit

Das heilvolle Morgenlicht gehört zu den ursprünglichsten religiösen Empfindungen. In den Religionen des alten Orients und in den biblischen Texten begegnet es immer wieder. Warum in der Bibel die Lichtsymbolik eine so große Rolle spielt, erläutert der Rostocker Alttestamentler Martin Rösel.
Cat Stevens Song „Morning has broken” gehört wohl zu den bekanntesten Liedern der Popgeschichte. Weniger bekannt sind seine Entstehungsumstände. Der gerade zwanzig Jahre alte Sänger hatte eine Tuberkulose-Erkrankung überstanden. Er lebte wieder auf, sah das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels. Dieses besondere Gefühl der Rettung wollte er musikalisch ausdrücken, und dazu fand er in einem englischen Gesangbuch das passende Lied: Morning has broken. Wie neugeboren wird darin der Morgen begrüßt. Das zarte Licht wird mit dem ersten Licht der Schöpfung verglichen, das Lied der Amsel mit dem des ersten Vogels im Garten Eden. Dank für die überwundene Finsternis drückt sich aus, Lob für den Schöpfer, der den neuen Tag geschaffen hat. Ein Text, der 1931 auf eine alte gälische Weihnachtsweise gedichtet wurde, trug die Freude am neuen Licht in die 1970er-Jahre.
Nach einer schlaflosen Nacht wird sich das Motiv des heilvollen Morgenlichts wohl auch nichtreligiösen Menschen erschließen, so unmittelbar verständlich ist es. Zugleich gehört es aber zu den wohl ursprünglichsten religiösen Empfindungen. In den Religionen des alten Orients und in biblischen Texten begegnet es immer wieder. Zunächst sei die Spur aufgenommen, die sich von Cat Stevens her nahelegt: die Schöpfung. In Genesis 1 wird erzählt, dass die Schöpfung mit Gottes Ruf „Es werde Licht!“ begonnen hat. Das Licht ist das erste Schöpfungswerk, die Trennung von Licht und Finsternis die erste Grenzlinie, die Gott zieht. Dem damaligen Weltbild entspricht, dass das Licht nicht ursächlich auf die Sonne zurückgeführt wird. Diese wird erst am vierten Tag zusammen mit Mond und Sternen geschaffen, um Tag, Nacht und Zeiten zu bestimmen. Im Kontext alttestamentlicher Theologie hat das durchaus einen polemischen Aspekt gegen die Religionen der Umwelt, in denen Sonnengottheiten von höchster Bedeutung waren. Hier werden sie zu Zeitgebern degradiert.
Zugleich teilt die Bibel mit den Nachbarreligionen die grundsätzliche Überzeugung, dass das Licht gut, die Finsternis aber böse und gefährlich ist. Das entspricht zunächst allgemeiner Welterfahrung in der Antike, in der es kaum künstliche Beleuchtung gab und jeder Gang in der Nacht daher gefährlich war. Psalm 59,7 sagt etwa über die Gegner: „Des Abends kommen sie wieder, heulen wie die Hunde und laufen in der Stadt umher.“ Entsprechend wünscht dann Psalm 112,4, dass den Frommen ein Licht in der Finsternis aufgehen möge. So ist einsichtig, dass Finsternis mit Gottverlassenheit und Licht mit Gottes Nähe verbunden werden. Chaos und Ordnung stehen sich demnach gegenüber. Abend und Morgen erhalten dann eine besondere Bedeutung als Phasen des Übergangs zu Gefahr oder Rettung. Psalm 30,6 formuliert dieses Gefühl: „Den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens ist Freude.“ In der Nacht kann die Welt in Krankheit und Not, ins Chaos zurückstürzen. Am Morgen werden Gott und sein Heil neu sichtbar und präsent. Im alten Ägypten zeigte daher die goldene Spitze der Obelisken am frühen Morgen den Wiederbeginn der Herrschaft des Sonnengottes an. Es ist bezeichnend, dass auch nach Markus 16,2 die Frauen „sehr früh, als die Sonne aufging“ zum Grab Jesu kamen. Das erste Licht des Morgens zeigt die Epiphanie des Heils.
Gottes Herrlichkeit
Eine so grundlegende und einleuchtende Unterscheidung, wie die zwischen Licht und Dunkel, lässt sich leicht auf anderes übertragen. Wenn Gott und sein Handeln mit dem Licht assoziiert werden, liegt es nahe, auch seine Erscheinung mit Licht oder Glanz in Verbindung zu bringen. Wir hören das noch heute im Segenswunsch am Ende des Gottesdienstes: „Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über uns“ (Numeri 6,25). Gottes Herrlichkeit ist dabei übertragbar gedacht, so dass Moses Angesicht glänzt, als er vom Gottesberg kommt (Exodus 34,30). Andere Bilder reden von Gott, der aus dem Feuer spricht (Deuteronomium 5,24), von Strahlen, die von seinen Händen ausgehen (Habakuk 3,3), von seinem Lichtkleid (Psalm 104,2). Auch diese Vorstellung ist aus der Umwelt Israels gut bekannt, so wird etwa die Liebes- und Kriegsgöttin Ischtar in Babylon von Strahlen umgeben gezeichnet.
Der Bereich des Dunklen und der Finsternis kann allerdings ebenfalls mit Gott identifiziert werden. Bei der Einweihung des salomonischen Tempels wird ausdrücklich gesagt, dass Gott im Wolkendunkel wohnen wolle (1. Könige 8,12). Dabei ist der Aspekt wichtig, dass er eben nicht in einem von Menschen gebauten Haus wohnt. In einer Schilderung der Erscheinung Gottes in Psalm 18,12 heißt es sogar, dass er „Finsternis ringsum zu seinem Zelt“ machte, mit dunklen Wassern und dichten Wolken; hier haben sich wohl alte Vorstellungen einer Wettergottheit erhalten. Wenn die Propheten vom „Tag des Herrn“ reden, seinem Eingreifen in den Lauf der Welt, dann ist ebenfalls von Finsternis die Rede, die er bringen kann: „des Herrn Tag ist Finsternis und nicht Licht!“ (Amos 5,18). Ganz folgerichtig wird dann auch im zweiten Teil des Jesajabuches ausdrücklich gesagt, dass Gott Licht macht und Finsternis schafft, Frieden gibt und Unheil schafft (Jesaja 45,7). Dennoch ist auch im Jesajabuch deutlich, dass Gottes Heilswille sich als Licht in der Finsternis zeigt. So im berühmten Adventstext 9,1: „Das Volk, das in Finsternis wandelt, sieht ein großes Licht“ oder die Verheißung über Zion in 60,1: „Mache Dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt."
Durchsetzer des Rechts
Das Gegenüber von Licht und Finsternis leuchtet natürlich auch zur Kennzeichnung menschlichen Verhaltens und für das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ein. So lehrt Sprüche 13,9: „Das Licht der Gerechten brennt fröhlich; aber die Leuchte der Frevler wird verlöschen.“ Licht wird mit Leben identifiziert, Dunkelheit aber mit Krankheit und Tod. So liegt eine Anrufung wie Psalm 27,1 nahe: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten?“ Fromme Menschen richten daher ihr Leben entsprechend aus, vergleiche Psalm 43,3: „Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung." Auch die Ideen von Recht und Gerechtigkeit werden mit dem Licht in Verbindung gebracht. In vielen Religionen ist daher der Sonnengott zugleich auch der Durchsetzer des Rechts, weil er verborgene Dinge ans Licht bringt. Bekannt ist auch der auf die Tora bezogene Vers aus Psalm 119,105: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“ Frevler wandeln dagegen auf finsteren Wegen (Sprüche 2,13), Verbrecher freuen sich auf die Nacht (Hiob 24,13 ff.). Allerdings können auch gerechte und fromme Menschen in Finsternis leben, wie in Psalm 143,3 geklagt wird: „Denn der Feind verfolgt meine Seele und schlägt mein Leben zu Boden, er legt mich ins Finstere wie die, die lange schon tot sind.“ Auch Hiob beklagt so mehrmals sein Geschick, vergleiche 30,26: „Ich wartete auf das Gute, und es kam das Böse; ich hoffte auf Licht, und es kam Finsternis.“ Aber auch Verbannung und Gefangenschaft, Tage des Unglücks und sogar das Altern können mit Finsternis in Verbindung gebracht werden.
Erst spät entwickelt sich in Israel von da aus die Vorstellung von einem strikt dualistischen Gegenüber von Gut/Licht und Böse/Finsternis. Greifbar ist sie in der Gemeinschaft von Qumran, die sich zu den „Söhnen des Lichts“ zählt. Sie befinden sich in einem endzeitlichen Kampf mit den „Söhnen der Finsternis“, die von einer satanischen Gestalt angeführt werden. War das Leben in Licht oder Finsternis in der alttestamentlichen Überlieferung eher eine individuelle Frage, wird es nun zu einem grundsätzlichen Kampf zwischen Gut und Böse, Gott und den Mächten der Finsternis.
Kein Platz für Zwischentöne
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum im Neuen Testament die Lichtsymbolik eine so große Rolle spielt. Besonders gut erkennbar ist das im Evangelium des Johannes. Schon im Prolog ist vom Licht die Rede, das in der Finsternis scheint, aber nicht angenommen wird. Jesu Aufgabe ist es, als wahres Licht alle Menschen zu erleuchten (1,5–9). Programmatisch sagt er von sich selbst: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 8,12). Entsprechend sind diejenigen, die an Jesus Christus glauben, Kinder des Lichts (Johannes 12,36). In der Bergpredigt nennt Jesus seine Jünger das „Licht der Welt“, die ihre guten Werke in der ganzen Welt leuchten lassen sollen (Matthäus 5,14). Wie im Alten Testament finden sich Aussagen, die Gott mit dem Licht identifizieren, „er ist Licht und in ihm ist keine Finsternis“ (1. Johannes 1,5); im Jakobusbrief wird er „Vater des Lichts“ genannt, „bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel von Licht und Finsternis“ (1,17). Auch Paulus hat sich dieser Metaphorik bedient. Für ihn stand ja die Wiederkehr Christi unmittelbar bevor, und so findet sich bei ihm das Motiv der Hilfe Gottes am Morgen wieder, zusammen mit der Idee eines Kampfes der beiden Mächte: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.“ (Römer 13,12). Leben im Licht und Leben in der Finsternis stehen sich unvereinbar gegenüber; für Zwischentöne ist kein Platz angesichts des nahen Weltendes.
Hoffnung auf Hilfe
Die Geschichte Gottes mit der Welt ist anders weitergegangen, als Paulus das erwartet hat. Der Kampf zwischen Licht und Finsternis ist kein einmalig-endgültiger, sondern ein andauernder. Er stellt sich bis heute, oft auch permanent. Damit sind aber die biblischen Vorstellungen davon, was Licht und Dunkel im Leben bedeuten, nicht einfach obsolet geworden. Im Gegenteil, sie können zur ethischen und religiösen Orientierung dienen. Und sie können einen wesentlichen Teil der biblischen Botschaft wachhalten: die Hoffnung auf die Hilfe Gottes am Morgen, die Verheißung, dass auch finstere Zeiten enden. Das hat beispielsweise Jochen Klepper 1937 mit seinem Gedicht „Die Nacht ist vorgedrungen“ ausgedrückt. Es nimmt den eben zitierten Satz des Paulus wieder auf. Heute findet es sich im Evangelischen Gesangbuch als eines der schönsten Adventslieder (EG 16). Auch „Morning has broken“ wurde in einer deutschen Version aufgenommen (EG 455). Die Hoffnung auf das Ende des Dunkels und das Aufscheinen des Lichts passt auch in unsere säkularen Zeiten.
Martin Rösel
Martin Rösel ist Professor für Altes Testament an der Universität Rostock.