Spielmacherin werden

Noch immer dominieren Männer die Politik. Woran liegt es?
Foto: privat

Kennen Sie die Abkürzung „NPC“? Sie steht für „non playable character, also „nicht spielbarer Charakter“. Damit bezeichnet man Figuren in Computerspielen, die lediglich vorgegebene Abläufe abspulen und den eigentlichen „Playern“ (den Spielern) als Kulisse oder Dekoration dienen. 

Seit einiger Zeit taucht der Begriff „NPC“ auch in politischen Debatten auf. Elon Musk nennt so Menschen, die er nicht ernst nimmt. Rechtsextreme in den USA nutzen ihn, um jene zu diffamieren, die sich gegen Donald Trumps autoritären Kurs stellen. Politische Beobachter*innen warnen vor diesem Trend, denn er fördert die Entmenschlichung: Wer nicht wirklich „mitspielt“, scheint auch nicht verletzbar. Auf solche Menschen muss man keine Rücksicht nehmen, man kann sie ignorieren, entlassen, abschieben, ihrer Krankenversicherung berauben oder ihnen die Sozialhilfe streichen.

Dekoration und Beiwerk 

In diesem Zusammenhang kam mir noch ein anderer Gedanke: Der Begriff „NPC“ könnte auch erklären, warum sich Männer oft so wenig für das Denken und Handeln von Frauen interessieren. Auch Frauen galten nämlich lange nicht als wirkliche Mitspielerinnen, sondern als Dekoration, als Beiwerk. Ihre Wünsche, Entscheidungen und Projekte zählten nicht. Stattdessen schien ihr Leben von äußeren Strukturen bestimmt – wie bei NPCs, die lediglich abspulen, was ihre Programmierung vorgibt. 

Das wurde mir zum ersten Mal bewusst, als ich meine Magisterarbeit zurückbekam, die ich über die politischen Ideen einiger Frauen im 19. Jahrhundert geschrieben hatte. Der Professor bemängelte, dass ich die soziale Lebenssituation von Frauen nicht ausreichend berücksichtigt hätte. Ich habe allerdings noch nie ein Buch über die Ideen von Karl Marx oder Charles Darwin zum Beispiel gelesen, dass sich zunächst mit der sozialen Lebenssituation von Männern in der damaligen Zeit beschäftigt hätte, bevor es sich den politischen Ideen seiner Protagonisten zuwendet.

Der umgekehrte Bechdel-Test

Männer gelten als Persönlichkeiten, die eigenständige Entscheidungen treffen, Frauen hingegen als Figuren, die bloß auf äußere Umstände reagieren. Finden Sie das übertrieben? Dann machen Sie doch mal den umgekehrten Bechdel-Test. Dieser Test, benannt nach der Comiczeichnerin Alison Bechdel, prüft, ob in einem Film mindestens zwei namentlich bekannte Frauen miteinander sprechen – und zwar über etwas anderes als einen Mann. Es ist erstaunlich, wie viele Filme diese niedrige Hürde nicht schaffen. Dreht man den Test aber um, wird das Ergebnis noch interessanter: Es gibt nämlich praktischen keinen Film, in dem NICHT mindestens in einer Szene zwei Männer miteinander über irgendetwas Wichtiges sprechen. 

Männer tauschen ständig ihre unterschiedlichen Meinungen aus, Männer streiten sich, Männer sind eigenwillige Persönlichkeiten, man denke nur an das jüngste Beziehungsdrama zwischen Donald Trump und Elon Musk. Frauen dürfen heute zwar auch mitspielen, aber nur als Sparringspartnerinnen, nicht als Spielmacherinnen. Wenn im aktuellen Koalitionsausschuss neben zehn Männern nur eine einzige Frau sitzt und auch fast alle anderen Schlüsselpositionen im Regierungsapparat mit Männern besetzt wurden, dann war das sicher keine böse Absicht. Bundeskanzler Friedrich Merz und seine Kollegen bedauern es durchaus, dass aus irgendwelchen schleierhaften Gründen nur vereinzelte Frauen anwesend sind. Aber wirklich schlimm finden sie es nicht. Sie können ihr Spiel ja trotzdem spielen, es fehlt ihnen nichts.

Lahmes Argument

Als Reaktion auf die Kritik an dem niedrigen Frauenanteil in seiner Regierung hat Merz vor einigen Tagen mit einem Video in den sozialen Medien reagiert und dabei erstens darauf hingewiesen, dass auf Kabinettsebene der Frauenanteil fast fünfzig Prozent betrage - ein etwas lahmes Argument, denn Feministinnen haben schon lange den Trend erkannt, die wenigen Frauen, die man hat, in die erster Reihe und auf die Plakate und Buchcover zu hieven. So fällt nicht sofort ins Auge, wie hoch die Männerdominanz in Wirklichkeit ist. 

Und zweitens hat Merz die Frauen selbst für mitschuldig erklärt. Sie gingen eben nicht zahlreich genug in die Politik. Die Feministin hört es und fühlt sich direkt wieder ins 20. Jahrhundert zurückversetzt - denn so lange wird schon über die strukturellen Gründe für das vermeintliche Desinteresse vieler Frauen an parteipolitischen Gepflogenheiten diskutiert.

Nein, das Problem liegt nicht bei den Frauen, es liegt woanders. Die kluge Virginia Woolf hat vor hundert Jahren einmal den Satz geprägt: „Männer nehmen die Welt nicht wahr, weil sie selber glauben, sie seien die Welt.“ 

Und das ist im Großen und Ganzen immer noch so. Leider.

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