Nelken zu Pfingsten

Revolution mit Wanderer Songs

Das Kind ist im Teich, höchste Zeit also, die Kuh vom Eis zu schütten. Oder so ähnlich. Mittlerweile geht ja manches durcheinander. Da braucht‘s den von Gott Gesandten, um einen Diktator zur Räson zu zwingen, der ein lustig gemeintes Volksliedzitat („Jetzt bist Du dran, meine Schöne, ob Du willst oder nicht“) bös missdeutete und den Spaßmacher mit Krieg überzog. Doch jetzt ist alles wieder TruTin-gut.

Wer die Sprachverwirrung beim Turmbau zu Babel angesichts solch sinisterer Friedenskruderei indes für ein Kinderspiel hält, hat nun Zuspruch nötig. Dieses Album gibt ihn. Das Projekt Wanderer Songs mit Musikern und Sängern aus Portugal, Mosambik, Angola, Spanien und von den Azoren machte dort auf der Insel Faial im April 2024 zum Fünfzigsten von Portugals Nelkenrevolution gegen die Faschistendiktatur zwei Wochen unter Leitung von Nástio Mosquito (vergleiche zz 8/24) Station und gab am Ende im Teatro Faialense dieses Konzert mit Liedern des verehrten José Afonso (vergleiche zz 7/22). Sein verbotenes Grândola, Vila Morena („Du braungebrannte Stadt, Heimat der Brüderlichkeit, in Dir ist‘s das Volk, das die Macht besitzt“) war für die Putschisten damals das Signal zum Losschlagen. Der katholische (sic!) Radiosender spielte es gleich zweimal. Den Soldaten steckten die Leute rote Nelken an die Gewehre. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit waren Parolen. 

Wanderer Songs holen sie mit Afonso-Liedern, die der früh Verstorbene bei seinem letzten Auftritt sang, bestens aufgelegt ins arg bedürftige Heute – und dies so mitreißend wie komplett rost- und nostalgiefrei. Als bloß spärlich instrumentierte Volksweise oder auch mit Rock-, Dance- und World-Beat, wo es passt, lodern Afonsos Songs in dramaturgisch starker Folge. Da ist drohniges Donnern, GothWave-Fuzz-Bass und inspiriert delirierende Indierock-Sologitarre, und das frenetische Publikum zieht brodelnd mit. Zum Schluss singen a cappella alle Grândola, Vila Morena. Gänsehautig, wie das eben ist, wenn Angst und Notwendigkeit dem Mut Beine machen. Die Füße stampfen im Marschschritt dazu. Auch wer kein Portugiesisch kann, hat Mitsummimpuls: Stimmung und Botschaft von José „Zeca“ Afonsos Liedern sind eindeutig, also ziemlich Pfingsten. In Portugal wird er bis heute „Zeca – Andarilho und Sänger“ genannt.

Andarilho heißt zu Deutsch Wanderer. Das war dieser unruhige, für Gleichheit und Würde kämpfende Geist tatsächlich. Alle Landesregionen erkundete er, auch die Kolonien in Afrika, dabei immer auch auf der Suche nach Musik- und kritischen Landarbeitertraditionen. Insofern sind die Lieder im besten Sinne panlusitanisch. Wanderer Songs bringen sie so quicklebendig wie gültig rüber. Musikalisch pure Wonne und Balsam für Epochenbruch-geschundene Seelen. Kind und Kuh sind noch nicht so ganz im Teich.

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