Einfach trauen

Wir sind an so vielen Menschen schuldig geworden, die nur eines wollten: Einen Segen!
Foto: Harald Oppitz

Eine Tagung über Motivationspsychologie, mehrheitlich Psychotherapeut*innen und Psycholog*innen. Eine Zunft, die sich üblicherweise nicht als sonderlich kirchenaffin hervortut. Beim Essen setzt sich ein Psychotherapeut zu mir und erzählt mit leuchtenden Augen: Er wird heiraten. Am 25. Mai. Kirchlich. 25 Jahre nach der standesamtlichen Hochzeit. Mit der kirchlichen Trauung ging das damals nicht. Die übliche Geschichte: Beide geschieden, eine „Mischehe“, er evangelisch, sie katholisch, sie konnten froh sein, dass sich nach der standesamtlichen Trauung ein Ordensbruder zu einem kleinen Segensgottesdienst erbarmt hat. Rom sei weit entfernt. Aber ihm fehlte etwas. Eine richtige, vollwertige kirchliche Trauung.

Im letzten Jahr habe er dann von Pop-Up-Trauungen gehört, leider hatte er den Termin knapp verpasst, er war richtig traurig darüber. Und umso glücklicher, dass die Aktion nun wiederholt wird. In diesem Jahr sind seine Frau und er dabei, sie hätten den Slot schon gebucht. In der Kirche, die ihm in seiner Jugendzeit viel bedeutet hat, ein besonderer Ort. Die Trauzeugen von damals werden dabei sein, die Kinder und Enkelkinder auch. Ein kleines Fest, mit schönem Essen danach.

Feuchte Augen

Aber das Wichtigste: Die Trauung! Die Dekanin hat versichert, dass das alles eine richtige Trauung sei, inklusive Eintrag ins Kirchenbuch. Ich schaue mir Fotos der Hochzeitsoutfits an und höre Erzählungen über eine lange, glückliche Ehe, der nur eines gefehlt hat. Seiner Ansicht nach. Der kirchliche Segen. Während er erzählt, hat er feuchte Augen. 

Mir fällt spontan ein Trauspruch für die beiden ein, er notiert begeistert und dankbar den Psalmvers. Es sei geplant, dass man sich am Sonntag zwischen brausendem Orgelklang und einer Band entscheiden kann. Nach der Trauung wird auch noch ein Gläschen Sekt angeboten. Respekt, was die Dekanin mit ihrer Mann/Frauschaft da auf die Beine stellt, meint der Therapeut. Macht mich direkt a bisserl stolz auf meine evangelische Kirche. Sagt er.

Sünde der Hochmut

Er ist in seiner Kirche geblieben. Trotz allem. Während er erzählt, bin ich gar nicht stolz auf meine Kirche. Ich weiß um selbstgefällige pfarrherrliche Attitüden, um abschlägig beschiedene bescheidene Anfragen, um autoritäres Machtgehabe und verlogene Moralvorstellungen. Über die Debatten in den Synoden zum Thema Segnung oder Hochzeit gleichgeschlechtlicher Paare will ich erst gar nicht reden. Ich denke daran, dass mir eine Kollegin von dem homosexuellen Paar erzählt hat, das vor ihr in Tränen ausgebrochen ist, als es verstanden hat, dass sie bei „einfach heiraten“ am 25. Mai mit einer richtigen kirchlichen Trauung rechnen durften. Wir sind an so vielen Menschen schuldig geworden, die nur eines wollten: Einen Segen!

Der Apostel Paulus hat uns beigebracht, dass sich die Sünde der Hochmut in der moralischen Bestform verbergen kann. Als gelernter Pharisäer wusste Paulus genau, wovon er redete. Unsere Kirche, die sich sola scriptura auf die Fahnen geschrieben hat, müsste das auch wissen. 

In meiner Stadt hatten sich zur Aktion „einfach heiraten“ so viel Menschen vorab angemeldet, dass sie noch zusätzliche Pfarrer*innen organisieren mussten. Den Segen braucht es doch. Meinst du nicht auch? Fragt der Therapeut. Ja, den Segen braucht es. Wie kann das falsch sein?

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.

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