Bestens aufbereitet

Die Rechte und die Geschichte

Die öffentlichen Irritationen waren groß, als Anfang des Jahres 2025 die Spitzenkandidatin der AfD im Bundestagswahlkampf bei einem Gespräch mit Elon Musk die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und Adolf Hitler als links beschrieb. Es sei schließlich den Nationalsozialisten um Verstaatlichung ganzer Wirtschaftszweige gegangen, das sei nun mal ein linkes Projekt. Wenige Jahre zuvor wurden auf Querdenken-Demonstrationen die Corona-Maßnahmen auf eine Stasi 2.0 zurückgeführt; mal identifizierten sich Rednerinnen mit Sophie Scholl oder Anne Frank.

Man reibt sich mindestens die Augen. Wer das jüngst erschienene Buch des Historikers und Publizisten Volker Weiß liest, kann wesentlich besser einordnen, dass es sich bei solchen Geschichtsklitterungen und Verfälschungen nicht nur um krudes Zeug oder historisches Unwissen handelt. Vielmehr legt Weiß offen, inwiefern „Resignifikationen“ der Geschichte, also bewusste Umdeutungen, heute im Spektrum der extremen Rechten und Neuen Rechten eine zentrale strategische Rolle einnehmen.

Eigenwillige, schräge und häufig in sich widersprüchliche Bearbeitungen und Umdeutungen von Geschichte und politischen Grundbegriffen sind, so legt Weiß eindrücklich dar, ein bewusst eingesetztes politisches Mittel, um liberale und demokratische Gesellschaften und Staaten zu delegitimieren. Es gehe, so Götz Kubitschek – Vordenker im Bereich der Neuen Rechten in Deutschland – um einen „geistigen Bürgerkrieg“, der um die Geschichte geführt werde. Die Geschichtsschreibung wird zum Kampfgebiet: Der gesellschaftspolitische Feind wird immer und immer wieder als Ausdruck des historisch Bösen benannt und diskreditiert. Das eigene politische Handeln und die eigene Identität werden dahingegen selbstimmunisierend abgesichert und legitimiert, wenn es gelingt, sich selbst durch eine verklärte Vergangenheit auf der richtigen Seite der Geschichte zu verorten. Dieser selektive und manipulative Umgang mit Geschichte ist mittlerweile nicht mehr nur subkulturell-subversives Programm, sondern prägt die Kommunikation illiberaler und autoritärer Regierungen.

Eine kritische Geschichtswissenschaft hat dann dort keinen Platz mehr, sondern Geschichtspolitik wird staatlich verordnet und vorgegeben. Ein postmoderner und rebellischer Zugriff, ideologiekritisch Wirklichkeit und Macht aus den Angeln zu heben, werde nun im Zuge der im besten Sinne dekonstruierenden Geschichtsumdeutung benutzt, um das Autoritäre zu restaurieren.

Weiß blickt dabei kenntnisreich nicht nur auf Deutschland, wo nicht zuletzt von Teilen der extremen Rechten die DDR als Sehnsuchtsort eines homogen-deutschen und preußischen Obrigkeitsstaates betrachtet wird; und gleichzeitig nimmt man in Anspruch, heute im Gefolge der friedlichen Revolution zu handeln, ruft „Wir sind das Volk“ und fordert eine „Wende 2.0“, wie die AfD im Osten Deutschlands vor Landtagswahlen plakatierte. In Russland sei der Angriffskrieg gegen die Ukraine vom russischen Präsidenten, zentralen Akteuren der russischen Neuen Rechten und der russischen Orthodoxie zu einem historischen Kampf gegen Nazis (wie einst von Stalin angeführt) mit dem Ziel der Restitution eines orthodoxen Großrusslands (das an das Zarenreich anknüpft) erklärt worden.

Dass diese selektiven Geschichtsbilder in sich widersprüchlich sind, scheint offensichtlich weniger relevant zu sein. Die rechte Geschichtspolitik ist, so stellt sich der Eindruck beim Lesen dieses Buches ein, Ausdruck eines beliebigen und willkürlichen Zerschneidens von Geschichtsfetzen. Doch die Collagen eines politisch passenden Geschichtsbildes verfangen identitätspolitisch offensichtlich.

Besonders überzeugend und eindrücklich am Band von Volker Weiß ist, dass er auf der einen Seite die gegenwärtigen Dynamiken und strategischen Prozesse innerhalb einer international vernetzten extremen Rechten ungemein kenntnisreich darstellen kann. Und auf der anderen Seite arbeitet er selbst mit den historischen Quellen, unter deren Auslassung eben offen Manipulation betrieben wird. So legt Weiß in eigener kleinteiliger historischer Quellenarbeit offen, dass die Geschichtsschreibung eben nicht einfach kontingent oder von jeweiliger politischer Färbung und Perspektive abhängt. Ob das Buch damit wirklich „die Waffen entschärfen“ kann, mit denen von rechts der Krieg um die Geschichte geführt wird, sei dahingestellt – zumindest für die Leser und Leserinnen sind die Argumente bestens aufbereitet, mit denen dem historisch-manipulativen Prinzip begegnet werden kann. Kategorie: absolute Leseempfehlung.

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Foto: Privat

Hans-Ulrich Probst

Hans-Ulrich Probst ist seit 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Praktische Theologie der Universität Tübingen und ist Mitglied der Evangelischen Landessynode in Württemberg. 

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