Nächstenliebe

Die Debatte und der Kirchentag

Margot Käßmann schätzt deutliche Worte. Ihr Satz „Nichts ist gut in Afghanistan“ von 2010 wird wohl auch jenseits kirchlicher Kreise in Erinnerung bleiben. Für diese Klarheit wird sie von ihren Fans geschätzt. Obwohl das Ende ihres öffentlichen Amtes als EKD-Ratsvorsitzende mehr als 15 Jahre zurückliegt, füllt sie landauf, landab Kirchen und Kulturzentren mit ihren Vorträgen und Meditationen. Nun also ein neues Buch: In diesem Jahr des Hannoveraner Kirchentages erschienen, trägt es den Titel Seid mutig und stark. Es ist an der Zeit, Haltung zu zeigen.

Für Insider ist mit dem Titel bereits angedeutet, wohin die Reise des Buches geht: Es geht um den Kirchentag und seine Geschichte, um Käßmanns eigene Geschichte mit dem Kirchentag und – im weiteren Sinne – um Krieg, Frieden, Demokratie und wie sich eine Christin dazu verhält. Der Titel vereint das diesjährige Kirchentagsmotto „mutig – stark – beherzt“ mit dem Titel von Hannes Waders Antikriegshymne „Es ist an der Zeit“ aus dem Jahre 1980 – ein Lied, das Margot Käßmann auf eine entsprechende Frage in einem Podcast als ihren „Lieblingssong“ bezeichnet hat.

Aber was heißt es heute, Frieden zu schaffen – mehr als drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine? Eine echte Antwort hat auch die überzeugte Pazifistin Margot Käßmann nicht parat. Wie auch, wenn selbst erfahrene Politiker und Strategen sie nicht haben? Einfache Lösungen gibt es schließlich nicht. Die Theologin weiß, dass die Welt heute eine andere ist als zu den Hoch-Zeiten der Friedensbewegung in den 1980er-Jahren, als Hunderttausende, getragen von großer Friedensliebe im Herzen, gegen die Auf- und Nachrüstung auf die Straße gingen.

Worum es Käßmann in ihrem neuen Buch im Kern geht, ist der Geist des Kirchentags. Er hat ihre persönliche Haltung und ihre Theologie geprägt, und er ist aus ihrer Sicht Vorbild für alle Bereiche in Gesellschaft und Politik – nicht nur, weil der Kirchentag immer wieder politisch Haltung zeigt, sondern vor allem wegen seiner offenen und (zumeist!) fairen Debattenkultur. Käßmann hat Recht: Andere Meinungen auszuhalten, das können Besucherinnen und Besucher ebenso wie Podiumsteilnehmer beim Kirchentag immer wieder einüben. Es ist vermutlich nicht übertrieben zu sagen, dass die Debattenkultur und die Meinungsvielfalt zu den „Markenkernen“ des Kirchentages gehören. Wenn es anders wäre, würden wohl nicht so viele hochrangige Politikerinnen und Politiker (fast) jeder Couleur ihren Weg zu diesen evangelischen Großveranstaltungen finden.

An dieser Debattenkultur könnten (und sollten!) sich in der Tat alle Menschen ein Beispiel nehmen, nicht nur die, die politisch Verantwortung tragen. Insofern ist Käßmanns neues Buch ein deutliches Plädoyer gegen jede Form von Hass und Hetze und für Demokratie und Menschlichkeit. Und es ist ein Bekenntnis zu ihren eigenen Wurzeln, die von Martin Luther bis zu Hannes Wader reichen. Dabei verbindet die Theologin persönliche Erinnerungen mit Gedanken zu allgemeinen Entwicklungen: zum Ukraine-Krieg, zur Lage im Gazastreifen, zum Thema Migration, zur Rolle des Christentums in der Gesellschaft, zu Klima und Umwelt …

Es ist unschwer nachvollziehbar, dass bei dieser Themenvielfalt, die die Autorin auf gut 120 luftig bedruckten Seiten entfaltet, der Tiefgang fehlt, fehlen muss. Für Käßmanns Fangemeinde dürfte das kein Problem darstellen. Schließlich beweist die Autorin mit ihrem aktuellen Buch einmal mehr, dass sie ihr Gewissen immer wieder neu befragt, dass sie – trotz vieler Veränderungen in Politik und Gesellschaft – weiterhin bemüht ist um eine klare Haltung, die getragen ist von ihrem christlichen Glauben und dem Gebot der Nächstenliebe. Darum darf man dem Buch ruhig eine breite Leserschaft wünschen.

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Beiträge zu „Kirche“

Weitere Rezensionen