Johannes Lähnemann, Nestor der Interreligiösen Bildung im evangelischen Religionsunterricht, übernimmt in seinem in englischer Sprache verfassten Buch eine gewagte These: „No peace among nations without peace among religions! No peace among religions without dialogue among religions! And no dialogue among religions without interfaith education and peace education!“ Und das besonders in Krisenzeiten. Denn, so Lähnemann, das Potenzial religiöser Schöpfungs- und Friedensethiken wirke auch in gegensätzlichen Gesellschaften und Nationen versöhnend und friedenstiftend, sofern auch diese sich als Teile einer menschlichen Familie mit Gleichheit und Würde verstehen. Ihm liegt daran, die friedenserzieherischen Bemühungen der Religionen, an denen er selbst seit vielen Jahren beteiligt ist, auch im internationalen Raum bekannter zu machen.
Das exemplifiziert er zunächst an den Weltversammlungen der Organisation „Religions for Peace“ (RfP) von Kyoto (1970) bis Nairobi (1984): Die verschiedenen Religionen und Konfessionen hätten damals bekannt, dass jeder Mensch trotz seiner Andersheit und einmaligen Individualität ein gleichberechtigter Weltbürger sei, der alle anderen ebenfalls als gleichberechtigte Weltbürger anzuerkennen habe. Grundlage solcher schöpfungsgemäßen Solidarität seien die Friedenswerte „Gewaltfreiheit, Wahrhaftigkeit und Nächsten-, ja sogar Feindesliebe“ gewesen. – Und auch die ersten Nürnberger Foren (1982, 1985, 1988, 1991) hätten diese Weltbürger-Idee mit ihrer „Erziehung zu kultureller Begegnung“ produktiv weitergeführt. Durch pädagogische Begegnungsmethoden seien die damaligen Teilnehmer:innen in die Sinnmitte der anderen Religionen vorgedrungen. Und das sei auch Friedenserziehung gewesen. Die interreligiöse Erziehung hätte automatisch auch als Friedenserziehung gewirkt.
Für die folgenden dreißig Jahre (1990–2020) skizziert Lähnemann wiederum anhand der RfP-Weltversammlungen und der Nürnberger Foren die weitere Entwicklung von Interreligiöser und Friedenserziehung an Schulen, Hochschulen, Universitäten, in kirchlichen und anders religiösen Gemeinden, in der Erwachsenenbildung und in weiteren staatlichen Bildungseinrichtungen: Die säkulare Friedenspädagogik zum Beispiel habe, so skizziert er anschaulich, in dieser Zeit die Religion und die Religion habe die säkulare Friedenspädagogik entdeckt. Und: Friedenserziehung hätte sich von einer bloßen Erziehung zur Abrüstung auf eine Erziehung zum Klimaschutz, zur Beachtung von Menschenrechten und zur Einbeziehung von Spiritualität erweitert. Ferner: Religionsgemeinschaften hätten ihre Mitschuld an Gewalt und Krieg erkannt und bekannt.
Schließlich: In diesen dreißig Jahren habe sich eine globale Weltethik samt einer globalen Erziehung zur Weltethik entwickelt. Hans Küngs „Global Ethic Project“ durchzog sämtliche Debatten und Konzepte interreligiöser Ethik und interreligiöser Friedenserziehung. Der Streit wäre eskaliert: Vertreten Europäer, Afrikaner, Asiaten und Lateinamerikaner wirklich gleiche ethische Grundsätze zum Beispiel zu Fragen der Gewaltfreiheit, der Toleranz, der Menschenrechte und der Gleichheit aller Menschen? Lähnemann beschreibt diese Debatten sehr anschaulich. Dabei entdeckt er auch, wie sehr die Akzeptanz solcher globalen Weltethik abhängig war und ist von der Art, wie sie gelehrt und vertreten wird. Die Pädagogik der Weltethik wurde damals heiß diskutiert. Ja, es entstanden in dieser Zeit viele Religionsdidaktiken, welche Wahrheit und Toleranz einer Religion zusammenzubringen versuchten. Lähnemanns eigene Monografie Evangelische Erziehung in interreligiöser Perspektive stand damals an der Spitze dieser Didaktiken und verhalf dem Toleranzgedanken zum Durchbruch. Begegnung, Verständigung und Toleranz bestimmten damals das Miteinander der Religionen – eine Haltung, die heute für viele zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist.
Lähnemann erinnert die Leser und Leserinnen an das Aufkommen und die Entfaltung interreligiöser Pädagogik, insbesondere interreligiöser Friedenspädagogik in den vergangenen 45 Jahren. Eine großartige Leistung, denn Erinnerung schafft neue Aktivitäten auf dem erinnerten Gebiet. Deshalb sind alle Religionspädagoginnen und -pädagogen aufgefordert, den interreligiösen Dialog an die Spitze des Religionsunterrichts zu stellen, zumal es stimmt: „No peace among nations and religions without interfaith education“. Lähnemann sei Dank gesagt für diesen Rückblick.
Reinhold Mokrosch
Dr. Reinhold Mokrosch ist Professor em. für Praktische Theologie an der Universität Osnabrück.