Die Schokolade dekolonisieren

Wie ein Unternehmer in Ghana mehr Wert aus der Kakaobohne schöpft
Schokolade aus Ghana
Foto: Jörg Böthling

Der begehrte Rohstoff kommt aus Afrika, den großen Gewinn streichen die Verarbeiter in den Industrieländern ein. Das ist bei Kakao nicht anders als bei anderen Rohstoffen aus den ehemaligen Kolonien. Doch es gibt Ausnahmen: In Ghana wird die Schokolade mitten im Kakao-Anbaugebiet produziert und verpackt. Ein Besuch vor Ort.

Kakao ist bei den Rohstoffhändlern eine begehrte Ware geworden. Die Preise für Rohkakao an den Börsen haben sich in den vergangenen drei Jahren fast verdreifacht, zwischenzeitlich sogar vervierfacht. Doch profitieren die Kakaobauern davon kaum. Die Spekulationsgewinne verbleiben in der global-digitalen Finanz­industrie, entkoppeln sich gänzlich von den eigentlichen Erzeuger:innen und ihrer mühevollen Alltagswirklichkeit unter den Kakaobäumen. Wie beispielsweise die vom Ehepaar Vida und Justice Bediako in Ghana, die mit Mitarbeiterinnen sehr früh morgens aufstehen, um in ihrer sechs Hektar großen Kakaoplantage zu ernten.

Justice Bediako erntet die Kakaofrüchte mit der Machete auf seiner Plantage
Foto: Jörg Böthling

Justice Bediako erntet die Kakaofrüchte mit der Machete auf seiner Plantage.

Bei Sonnenaufgang fallen die ersten zarten Sonnenstrahlen durch die dichten Kronen der Kakaobäume. Es ist feucht-warm. Während Justice mit einer Machete gelb-reife Kakaofrüchte (Pods) von Stämmen und Ästen abschlägt, bricht Vida, die ihr Baby fest eingewickelt auf dem Rücken trägt, die Schalen der Früchte auf. Weißlich-süßliches Fruchtmus tritt hervor, in dem sich die dunklen Kakaobohnen befinden. Vida breitet das Mus auf ausgelegte Bananenblätter aus, um es dann mit weiteren abzudecken. Darunter beginnt ein Fermentationsprozess, der nach sieben Tagen beendet ist; danach werden die Kakaobohnen aus dem Wald geholt und unter freiem Himmel „solar“-getrocknet. Seit drei Jahren arbeitet die Familie nach ökologischen Prinzipien. Sie setzt keine Pflanzenschutzmittel mehr ein.

Sie verzichtet auf Kunstdünger und bringt den Mist von elf Schweinen und einer Schar Hühner sowie die Schalen anderer Kulturen zwischen den Kakaobäumen aus, um den Boden ausreichend mit nährstoffreicher Organik zu versorgen. Ihr neuer Dialog mit der Natur ist aber gerade in Zeiten eines sich auch in Ghana verändernden Klimas nicht einfach. So regnet es seit einigen Jahren ausgerechnet im Winterhalbjahr, zur Haupterntezeit, mehr, als dies früher jemals der Fall war. „Die Umstellung auf ökologischen Anbau war eine harte Zeit“, gibt Justice zu, „aber wir waren durch die Unterstützung von unserem Geschäftspartner Glover, der uns die Kakaobohnen garantiert zu einem guten Preis abnimmt, finanziell abgesichert. Außerdem sind wir über unseren Abnehmer krankenversichert.“

Justice Bediako erntet die Kakaofrüchte mit der Machete auf seiner Plantage
Foto: Jörg Böthling

Mann mit Vision

Wer ist Glover? Nur rund ein Kilometer vom Hof der Familie Bediako entfernt, in Suhum mitten im Kakaogürtel von Ghana, befinden sich Lagerhalle, Büros und bald vielleicht auch ein kleines Wasserkraftwerk sowie eine funkelnagelneue Weiterverarbeitung für Erdnüsse des Firmengründers Yayrator Glover. „Wir kämpfen dafür, dass die Kakaoproduktion in Ghana grün wird“, ist die Botschaft des charismatischen Ghanaers, der einst in der Schweiz arbeitete und vor 15 Jahren in sein Heimatland zurückkehrte. Der Visionär hat seither vieles bewegt. So beschäftigt Glover mittlerweile 80 Mitarbeiter:innen; seine Firma kauft die Bio-Ernte von rund 5 000 Kakaoerzeugern wie beispielsweise die von der Familie Bediako auf. Es sind am Ende rund 5 000 Tonnen, die bisher zumindest noch größtenteils in Europa zu Schokoladen verarbeitet und dann mit hoher Gewinnspanne verkauft werden. Denn die vermeintliche „Veredelung“ der Rohstoffe aus dem Süden der Welt in Europa und USA bringt den meisten Gewinn, das ist bei Kakao nicht anders als bei Kaffee oder Tee.

80 000 Tafeln Schokolade werden täglich in dieser Schokoladenfabrik hergestellt.
Foto: Jörg Böthling

80 000 Tafeln Schokolade werden täglich in dieser Schokoladenfabrik hergestellt.

Doch an verschiedenen Stellen zeichnet sich eine Gegenbewegung ab. Auch hier. Ein Teil des von Glover aufgekauften Rohkakaos wird an Ort und Stelle verarbeitet. Und zwar in der deutsch-ghanaischen Pionier-Schokoladenfabrik der fairafric AG, die während der Corona-Pandemie – in nachbarschaftlicher Sichtweite von Glover – in Amanase errichtet wurde. Eine hochmoderne Millionen-Investition, die eine klare Absicht hat: endlich die Wertschöpfung des Kakao- und Schokoladenbusiness dort zu generieren, wo der Kakao auch heranwächst. Sitz des Unternehmens, das der ehemalige Software-Manager Hendrik Reimers vor einigen Jahren gegründet hat, ist allerdings München. „Unsere Mission: 10 000 klimafreundliche Arbeitsplätze in Afrika schaffen“, heißt es auf der Website ambitioniert. Fairafrics klare Stoßrichtung ist es, die Schokolade zu „dekolonisieren“. Kein leichtes Unterfangen in Zeiten, in denen die finanzielle Lage Ghanas sehr schwierig ist; zudem haben aus mehreren Gründen die Erntemengen in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen.

Die zunächst weißen Kakaobohnen werden in Maisblättern fermentiert und dann in der Sonne getrocknet.
Foto: Jörg Böthling

Die zunächst weißen Kakaobohnen (oben) werden in Maisblättern fermentiert und dann in der Sonne getrocknet.

„Jetzt sind sie in Europa“, sagt Mubarak Okyere, Mitarbeiter der fairafric AG in Ghana. Er sagt das nicht ohne Ironie, als wir eingehüllt in weißen Schutzanzügen durch die Fabrik stapfen. In der Produktionsstätte herrscht ein penibles Hygiene-Management; alles ist blitzeblank sauber, und überall sind High-Tech-Produktionsanlagen installiert, beispielsweise vom Schweizer Technologiekonzern Bühler; dies macht es möglich, dass hier 80 000 Tafeln Schokolade – viele Sorten vegan – täglich hergestellt werden. Zucker, Milch, Kakaobutter sowie -pulver und Cashew, Moringa, Baobab oder Haselnuss werden verarbeitet. Ein Verarbeitungsprozess wie er in einer Schweizer Schokoladenfabrik nicht perfekter sein könnte, mit Sinn für das kleinste Nachhaltigkeits-Detail: So verwendet man auch eine Klarsichtfolie, die aus Bambusfaser ist.

Weltweiter Heißhunger

Neben der fachgerechten Wartung der Maschinen ist eine dauerhaft sichere Energieversorgung mit eine der größten produktionstechnischen Herausforderungen. Obschon eine große, auf dem Fabrikdach installierte Photovoltaikanlage einen guten Teil des Strombedarfs abzudecken vermag, ist der Schokoladenhersteller vom Netz abhängig, wenn die Sonne mal nicht scheint und die Batterien leer sind. In solchen Momenten kann es durchaus passieren, dass der Strom ausfällt und die Produktionsstraßen plötzlich stillstehen.

Etwa 80 Menschen arbeiten in der Schokoladenfabrik. 10 000 Arbeitsplätze will das Unternehmen in Afrika schaffen.
Foto: Jörg Böthling

Etwa 80 Menschen arbeiten in der Schokoladenfabrik. 10 000 Arbeitsplätze will das Unternehmen in Afrika schaffen.

Dabei ist die Veredelung des Rohkakaos in Ghana als auch in der benachbarten Elfenbeinküste, die beiden mit Abstand weltweit größten Erzeugerländer, nach wie vor eine Ausnahme. Obschon die ghanaische Kakao-Wirtschaft im Jahr 2021 einen Umsatz von rund 500 Millionen Euro erzielte, wäre angesichts des weltweiten Heißhungers nach Schoko noch weit mehr möglich. Denn immer noch ist es so, dass zwar 70 Prozent der globalen Rohkakao-Produktion aus Westafrika stammen, aber nur rund ein Prozent der globalen Schokolade aus dieser Region kommt.

Im Jahr 1891 exportierten Händler den ersten Kakao aus Ghana nach Europa. Es handelte sich um eine Sendung von 80 Kilogramm, die von der Goldküste aus verschifft in einem englischen Hafen landete, wie C. J. J. van Hall in seinem Buch Cocoa aus dem Jahr 1914 festhielt. Zum Vergleich: Nach Schätzungen des in Hamburg ansässigen Vereins der am Rohkakao beteiligten Firmen lag die Produktion von Rohkakao in Ghana im Rekordjahr 2021 bei etwas über einer Million Tonnen. Wenngleich diese Zahl wieder auf unter 500 000 Tonnen gesunken ist, zeigt dies doch, welch dramatische Entwicklung sich in nur 130 Jahren vollzog.

Mehrere Millionen Menschen sind in Ghana im Kakao-Business beschäftigt, die meisten in der Landwirtschaft, aber auch im Transportsektor und im Handel. Allerdings gibt es in Ghana, wie auch in der Elfenbeinküste, in Togo und in Benin, eine ganze Reihe von großen Herausforderungen, denen sich die afrikanischen Kakao-Bauern derzeit zu stellen haben. So gibt es an vielen Orten Abholzungen von Kakao-Parzellen, weil gierig nach Gold und anderen wertvollen Metallen – oft illegal – gegraben wird. Die Folge: Die Anbaufläche insgesamt schrumpft.

Des Weiteren reicht die natürliche Bestäubung oft nicht mehr aus, um nachhaltige Erntemengen bei sich verändernden Witterungsbedingungen durch den Klimawandel zu erzielen. Deshalb kümmert sich das staatliche Cocoa Board speziell um die sensible Hand-Bestäubung, bei der der Pollen auf die weibliche Narbe drapiert wird. Diese Art der Bestäubung ist aufwändig, wie auf Versuchsfeldern der Pankese Cocoa Station in der Nähe von Nkawkaw zu sehen ist. Dort wird die manuelle Bestäubung zum einen für züchterische Ziele genutzt, zum anderen dient sie für die Ausbildung von Kakao-Bauern, die sich für diese Technik interessieren. Auch der Umgang mit Schädlingen ist hier Thema; sie in den Griff zu bekommen, sei recht schwierig, sagt Lawrence Kojo Amegboe von der Pankese Cocoa Station. Der junge Agrarökonom kann die Forderung vieler Europäer nach einer ökologischeren Produktion absolut nachvollziehen, doch „ist dies einfacher einzufordern, als es zu machen“. Er könne sich, so Amegboe weiter, „einen Anbau von Kakao gänzlich ohne Chemikalien nicht vorstellen.“ Es gäbe nicht mal genug Neem-Extrakte, die man bräuchte, um die Pilze, Viren und sonstigen Insekten abzuwehren.

Tatsächlich steigt der Krankheitsbefall durch Insekten und Pilze. Vor allem macht die grassierende Cacao Swollen Shoot Disease (CSSD) Sorgen; wird die Kakaokultur von diesem Virus befallen, stirbt sie innerhalb von nur wenigen Jahren ab. Alle Faktoren zusammen führen letztlich dazu, dass der in den vergangenen Jahrzehnten praktizierte „konventionelle“ Anbau oft nur noch stagnierende oder tendenziell geringere Ernten hervorbringt. So wirkt sich der alleinige Einsatz von Mineraldüngern ohne organische Frachten langfristig schlecht auf die Böden aus – sie versalzen und versauern.

Schokolade
Foto: Jörg Böthling

Deshalb gehen Bauern wie die Bediakos neue Wege und versuchen mit kreislaufwirtschaftlichen Ansätzen einen langfristigen Humusaufbau. Dies stärkt die Kulturen. Eine weitere wichtige Verbesserung der Pflanzengesundheit, darauf setzt unter anderem eben auch Yayrator Glover, ist eine Diversifizierungsstrategie, bei der heimisches Gehölz in und um die Kakao-Plantage gepflanzt wird. Damit kehre ökologische Balance zurück. „In 15 Jahren steht hier ein Paradies“, präsentiert Glover mit Begeisterung ein großes Feld, auf dem seine Mitarbeiter:innen und er in den vergangenen Jahren viele einheimische Baumarten aus allen Regionen Ghanas gepflanzt haben.

Ungleichheiten aufbrechen

So wie Glover fordern inzwischen viele Experten der Kakaobranche, unter anderen auch Friedel Hütz-Adams vom Südwind-Institut für Ökonomie, eine größere Anbau-Vielfalt in den westafrikanischen Kakao-Regionen, um gerade in Krisenzeiten, bei extrem volatilen und unberechenbaren Preisen, nicht nur von einer Erlösquelle abhängig zu sein. „Wie verrückt es läuft, zeigt doch allein die Tatsache, dass bei einer Angebots-Unterdeckung von nur 14 Prozent die Preise um ein Vielfaches steigen“, verweist Hütz-Adams auf die aktuelle Preisrallye, die die Belange der Bauern getrost ignoriert. „Um das zu ändern, muss man den Kakaosektor grundsätzlich modernisieren“, appelliert Hütz-Adams. Fair­afric, Glover oder auch Tony’s Choco­lonely sind dabei diejenigen Akteure, die versuchen, alte postkoloniale Ungleichheiten im Markt aufzubrechen. Es geht ihnen nicht um „faire Beruhigungspillen“, sondern, als Unternehmungen mit sozialökologischen Ansprüchen, darum, neue, positive Dynamiken und Wertschöpfungen freizusetzen. Es geht um bäuerliche Existenzen und darum, sie wirtschaftlich nachhaltig zu stärken – gerade in Zeiten größer werdender Herausforderungen. 

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Jörg Böthling

Jörg Böthling begann 1985 als Seemann auf Fahrten nach Afrika und Asien zu fotografieren. Er studierte Fotografie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und arbeitet als Freelancer. 

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