Paradiesischer Traum

Sonntagspredigt
Foto: privat

Die Predigthilfe dieses Monats kommt von Traugott Schächtele. Er ist Prälat i.R. in Freiburg/Breisgau.

Geistliche Nahrung

TRINITATIS, 15. JUNI

Zuletzt, Brüder und Schwestern, … haltet Frieden! So wird der Gott der Liebe mit euch sein … Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! (2. Korinther 13,11–13)

Fast ein halbes Kirchenjahr lang werden die Sonntage „nach Trinitatis“ gezählt. Als Kind, das zum regelmäßigen Gottesdienstbesuch angehalten wurde, war das für mich eine große Herausforderung. Die lateinischen Namen der Sonntage der Passionszeit und nach Ostern habe ich geliebt, allen voran Quasimodogeniti. Aber der Sonntag Trinitatis und die vielen Sonntage danach – dieses Jahr sind es sogar „nur“ zwanzig – waren für mich eine einzige Leidenszeit. Ich war immer froh, als sie vorüber waren. Es lag wohl daran, dass sich meinem kindlichen Gemüt schon der Sinn des Sonntags Trinitatis nicht erschließen wollte. 

Aber das Jubiläum des vor 1 700 Jahren verabschiedeten Nizänischen Glaubensbekenntnisses macht es lohnend, das Thema „Trinität“ neu in den Mittelpunkt zu stellen – anders gesagt, die Dreifaltigkeit Gottes denkend zu durchdringen und in Gottesdiensten zu feiern. Und die oben, in Vers 13, zitierte Grußformel aus der Feder des Paulus kann dabei Hilfestellung bieten, etwas vom Geheimnis der Trinität zu begreifen.

Der Apostel ist hier seiner Zeit einmal mehr gehörig voraus. Schließlich war in der Mitte des ersten Jahrhunderts von Trinität noch keine Rede. Und trotzdem formuliert Paulus schon ein kleines trinitarisches Bekenntnis. Als Kanzelgruß am Beginn einer Predigt wird dieser Gruß in vielen evangelischen Kirchen unzählige Male wiederholt. Und gesungen als Lied wird er immer wieder wie eine liturgische Abschlussformel verwendet. Für beides eignet sich der knappe, aber inhaltsschwere Satz gleichermaßen.

Paulus bindet unseren Glauben ein in ein Dreieck der Gottesbeziehung. Die eine Ecke markiert für ihn Jesus Christus, der uns aus Gnade – gratis! – neue Lebensmöglichkeiten eröffnet. Die zweite Ecke ist die der Liebe als Grundlage eines Verhaltens, das sich an Gottes Willen orientiert. Und die dritte Ecke beschreibt die neue Gemeinschaft, die vom Geist Gottes geprägt wird, der sogar einander Widerstrebendes zu neuer Einheit verbindet. Was beim ersten Hinhören formelhaft klingt, ist also eher eine glaubenspraktische Herausforderung. Und um sie zu verstehen und umzusetzen, reichen auch zwanzig oder mehr Sonntage nicht aus. Da braucht es schon 1 700 Jahre Nizänum oder gar ein zweitausendjähriges theologisches Ringen mit Paulus. Schließlich hat es sein Gruß an die Gemeinde von Korinth in sich. Denn er bietet nahrhaftes trinitarisches Schwarzbrot statt süßer theologischer Häppchen. 

Über uns hinaus

1. SONNTAG NACH TRINITATIS, 22. JUNI

Ihr sucht in den Schriften, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie sind’s, die von mir zeugen, aber ihr wollt nicht zu mir kommen, dass ihr das Leben hättet ... Ich kenne euch, dass ihr nicht Gottes Liebe in euch habt. Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer kommen wird in seinem eigenen Namen, den werdet ihr annehmen. Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht? (Johannes 5,39–44)

An Eitelkeiten herrscht heute kein Mangel. So wird der eigene Name zum Programm, wenn Talkshows den Namen der Moderatorin tragen und wenn bei einer Partei die Gründerin schon im Parteinamen ihre Vormachtstellung sichern will. Ein anderer nennt Türme nach seinem Namen und lässt diesen auf rote Kappen drucken.

Namen sind Programm, bilden eine „Marke“, wie das heute heißt, wollen die Besonderheit ihres Trägers zum Ausdruck bringen, machen Werbung in eigener Sache. Und diese Strategie scheint aufzugehen. Damals wie heute. Jesu Kritik an den Namensgebern setzt genau hier an. Die Eigenwerbung wird von ihm kritisch hinterfragt, und er macht Werbung für einen Anderen. Jesus fungiert als Zeigefinger in Richtung Gott. Und das macht stutzig und lässt innehalten. Der, von dem wir sogar bekennen, er sei Gott, begnügt sich hier mit der Rolle des Hinweisgebers. Indem Jesus von Gott redet, redet er am Ende zwar auch von sich selbst, aber ganz anders als diejenigen, die ihre eigenen Namen als Erfolgsgarantie vor sich hertragen. Denn Gottes Gottsein weist über sich selbst hinaus, und ist immer auf den Menschen ausgerichtet. Oder noch größer gedacht: auf die ganze Schöpfung. 

Die heftige Predigt Jesu gilt denen, die ihm wegen eines Wunders nach dem Leben trachten. Sie legt offen, woran es seinen Kritikern mangelt, nämlich an der Fähigkeit, von sich weg auf einen anderen zu verweisen. Das Zentrum ist also außerhalb der eigenen Selbstbezogenheit zu finden. Anders gesagt: Wie Narziss schaue zwar auch ich ins Wasser, aber ich sehe nicht mehr einfach nur mich in meinem Spiegelbild, sondern den, dessen Ebenbild ich bin.

Die christliche Gemeinde ist das Gegenteil eines Tummelplatzes für Narzissten. Eher ist sie ein Lernfeld für Menschen, in der Welt um sich herum die Gegenwart Gottes wahrzunehmen. Was der Jesus von Johannes 5 denen ins Stammbuch schreibt, die sich über ihn ärgern, ist fast so etwas wie ein Ratgeber in himmlischer Psychologie. Und von dieser Psychologie profitiere auch ich – bis heute.

Bleibende Hoffnung

2. SONNTAG NACH TRINITATIS, 29. Juni 

Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. (Jesaja 55,1–2)

Ich will damit gar nicht hinter dem Berg halten: Diese Sätze gehören für mich zu den schönsten der Bibel. Sie kommen mir immer wieder in den Sinn, wenn ich mit meiner Enkelin Kaufladen spiele. Zuerst erfüllt sie alle meine Kaufwünsche. Aber danach händigt sie mir immer gleich das Spielgeld aus, damit ich meinen Einkauf auch bezahlen kann. Am Ende habe ich dann alles, was ich brauche. Und es hat mich nichts gekostet. Doch was im Spiel funktioniert, muss im Leben scheitern. Oder?

In Jesaja 55 wird Gott als Kaufmann beschrieben, der alles im Angebot hat, was ich zum Leben brauche. Und dennoch muss ich für die Kosten nicht aufkommen.

Ich frage mich: Wovon kann ich wirklich leben? Das, was ich auf Heller und Pfennig abrechnen kann, scheint nicht das zu sein, was mich wirklich satt macht und was mich leben lässt. Es sichert zwar meinen Lebensunterhalt. Und das, gesundes Essen und sauberes Wasser, ist zunächst einmal – gerade angesichts der weltweiten Hungersnöte – nicht hoch genug einzuschätzen. Aber der Kaufmann in göttlichem Auftrag will noch weit mehr: Ihm geht es darum, mir ein Leben in Würde zu ermöglichen. Er will mir etwas zu kosten geben, das meine Lebenssehnsucht stillt.

Was der Prophet die „Gnaden Davids“ nennt, meint eine Nahrung, deren Nährwert Bestand hat, geistliche Kost ohne Verfallsdatum. Mit meinen bescheidenen Mitteln könnte ich mir diese gar nicht leisten. Kein Wunder, dass Gott sie mir aus seinen Quellen zur Verfügung stellen will.

Der unerfüllbare Traum eines kommunistischen Endzustandes auf Erden ist schon an den irdischen Gütern gescheitert. Aber mir bleibt zu hoffen, dass der paradiesische Traum des Propheten meine Zukunftsbilder beflügelt. Essen und Trinken für alle, so viel wie nötig ist, Nahrung für die Seele, die mich leben lässt. Dazu eine Welt, die so aussieht, wie Gott sie haben will. Und die vor keinen Grenzen irdischer Machbarkeit des Guten Halt macht. Wie gut, dass die Macht derer, die in der Welt gegenwärtig so viel bewirken, schneller am Ende ist, als sie meinen. 

Ignoriertes Wissen

3. SONNTAG NACH TRINITATIS, 6. JULI

Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt, mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben. Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist. (Timotheus 1,12–14)

Die Kunst, unseren Kopf rechtzeitig aus der Schlinge zu ziehen, beherrschen wir meist ganz gut. Von Paulus lernen, hieße hier also, von seiner Raffinesse zu lernen, wie es erfolgreich gehen kann, Verantwortung einfach wegzuschieben: „Ich habe unwissend und im Unglauben gehandelt“ – bin also nicht verantwortlich und nicht haftbar zu machen. Wie gut, denke ich, dass dieser Brief zwar mit dem Anspruch geschrieben wurde, dass Paulus die Feder geführt hat, aber das Schreiben hat eben doch einen anderen Autor, einen, der sich nur auf die Autorität des großen Paulus beruft.

Paulus selbst hat der Gemeinde in Rom zu diesem Thema deutliche Worte ins Stammbuch geschrieben. „Niemand von uns kann sich herausstehlen. Wir haben uns vor Gott alle ins Abseits begeben. Und wir sind alle darauf angewiesen, dass Gott uns von sich aus erneut die Türen zu seiner Gegenwart öffnet.“

Aber womöglich ist mir der Schreiber des Briefes an Timotheus deshalb so nah, weil er praktiziert, was bis heute gängige Praxis ist, nämlich sich selbst wegen vermeintlicher Unwissenheit zu entschuldigen. Dabei wissen wir viel mehr, als jede Generation vor uns sich hätte vorstellen können. Wir wissen, wie es um die Welt um uns herum bestellt ist. Wir wissen, wie Hunger entsteht und wie man Kriege beenden kann. Und doch ziehen wir aus diesem Wissen nicht den Gewinn, die Welt auf einen besseren Weg zu bringen.

Zu handeln, als ob es dieses Wissen nicht gäbe, ist eine Form des Unglaubens. Und zumindest diesen Zusammenhang können wir vom Schreiber des Briefes an Timotheus lernen. „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“ (Lateinisch: ignorantia legis non excusat) besagt ein Rechtsgrundsatz, der als Sprichwort in die Alltagssprache eingegangen ist. Und Unglaube lässt sich genauso wenig rechtfertigen wie Unwissenheit. Daher ergibt es allemal einen Sinn, auf die Gnade Gottes zu vertrauen, egal, ob wir im Unwissen oder Wissen handeln. Und bei dieser Einsicht wäre auch Paulus ohne Einschränkung mit dabei.

 

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