Als Kardinal Parolin zurückzog

Der neue Papst Leo XIV. steht in der Tradition von Papst Franziskus. Wahrscheinlich wird er aber kein so radikaler Reformer werden, wie es sein Vorgänger zumindest am Anfang seines Pontifikats war. Was über das Konklave im Mai durchgesickert ist und was von Robert F. Prevost zu erwarten ist, schildert zeitzeichen-Redakteur Philipp Gessler.
Wie lief das Konklave ab, in dem der neue Papst Leo XIV., der US-Amerikaner Robert Francis Prevost, am 7. und 8. Mai in Rom gewählt wurde? Das darf eigentlich – unter der Strafe der Exkommunikation – niemand der 133 wählenden Kardinäle ausplaudern. Und dennoch kursierten in den meist gut informierten italienischen Zeitungen in den Tagen nach der Wahl ziemlich klare Schilderungen, was in den zwei Tagen der Papstwahl in der Sixtinischen Kapelle passiert ist.
Die entscheidende Wende des Konklaves habe es schon im dritten Wahlgang gegeben, so haben es ungenannte Kardinäle seriösen Zeitungen gesteckt. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin sei zwar auch aufgrund seiner Funktion als bisherige „Nummer zwei“ des Vatikans als Favorit in die Papstwahl gegangen. Er habe aber schon nach zwei Wahlgängen gemerkt, dass er in seiner Stimmenzahl stagniere, während Kardinal Prevost nur knapp hinter ihm lag. Darauf habe Parolin begonnen, die offensichtlichen Männer seines Lagers vom US-amerikanischen Augustiner zu überzeugen. Nicht zuletzt die brasilianischen Kardinäle habe er unter anderem mit dem Argument gewonnen, dass Prevost neben der US-amerikanischen auch die peruanische Staatsbürgerschaft habe und über viele Jahre Erfahrung in Südamerika verfüge.
Der Favorit der Reformer, der französische Kardinal Jean-Marc Aveline, sei relativ schnell fallen gelassen worden, um ein kurzes Konklave zu ermöglichen. So wollte man nach außen ein Signal der Einigkeit und Stärke senden. Außerdem sei es Parolin darum gegangen, den konservativen Kardinal Péter Erdö aus Ungarn zu verhindern. Das Manöver Parolins habe offenbar das konservative Lager im Konklave auf dem falschen Fuß erwischt. Innerhalb kürzester Zeit habe dann Prevost deutlich mehr als die für die Wahl zum Papst erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen können.
Eherne Regel
Generell war die Wahl von Prevost nicht die totale Überraschung, wie einige Fachleute danach verkündeten. Denn der 69-Jährige gehörte durchaus zum erweiterten Favoritenkreis, der an einer oder zwei Händen unter den wahlberechtigten Männern in Kardinalspurpur schon zu Beginn des Konklaves abzählbar war. Aber dass es tatsächlich ein US-Amerikaner, geboren in Chicago, werden könnte, das hielt man doch eher für ausgeschlossen.
Denn zumindest im 20. Jahrhundert galt die eherne Regel: Bürger der Vereinigten Staaten werden nicht Päpste, sonst ist zu viel Macht auf der Welt, eben das US-Präsidentenamt und der Thron Petri mit spirituellem Einfluss über 1,4 Milliarden Menschen, in den Händen einer Nation.
Wie aber geht es nun weiter? Wie sind die ersten öffentlichen Signale und Worte des neuen Papstes zu deuten? Was könnten sie über sein Regierungsprogramm sagen? Und sind schon jetzt Belastungen und Gefahren im neuen Pontifikat sichtbar? Dazu einige Überlegungen:
Papst Leo XIV. hat innerhalb seiner ersten drei, vier Sätze auf dem Balkon des Petersdoms nach seiner Wahl mehrmals den „Frieden Gottes“ betont. Er tat dies wahrscheinlich sehr bewusst auf den Tag genau 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Es ist stark zu vermuten, dass tatsächlich Friedensinitiativen für viele Konflikte der Welt in diesem Pontifikat eine große Rolle spielen werden.
Das häufige und lange Zitieren seines Vorgängers Franziskus war sicherlich ebenfalls mit Bedacht getan. Leo XIV. will sich in die Tradition dieses Pontifex maximus stellen, was bedeutet: Franziskus’ Programm „eine arme Kirche für die Armen“ ist demnach noch nicht ganz vom Tisch.
Es könnte zudem ein soziales Pontifikat werden. Dafür spricht der Name Leo, der an Leo XIII. erinnert, der von 1878 bis 1903 im Vatikan herrschte und mit seiner Sozialenzyklika Rerum Novarum von 1891 die Katholische Soziallehre mit ihren teilweise kapitalismuskritischen Aspekten mitbegründete.
Papst Leo trat wieder in einem traditionellen liturgischen Umhang auf, wie dies seine Vorvorgänger auch schon getan hatten. Auch das „Ave Maria“ am Ende von Leos Ansprache hoch über dem Petersplatz war eine eher traditionelle und wenig ökumenische Übung. Interpretiert man zudem die sehr skeptischen Äußerungen von Kardinal Prevost vor seiner Papstwahl etwa zum Diakonat der Frau, ist zu vermuten: Ein radikaler Reformer wird dieser Papst nicht. Synodalität innerhalb der Kirche wünscht er sich laut Ansprache in der Tradition von Franziskus aber schon.
Der neue Papst ist wieder ein Ordensmann, dieses Mal ein Augustiner, wie auch Martin Luther einer war. Der Orden gilt als ziemlich intellektuell und sicherlich nicht so sozial engagiert wie etwa die Franziskaner und nicht so links, wie mehrheitlich die Jesuiten über lange Zeit waren. Ordensleute verursachen im Vatikan meist eher Unruhe wie zum Beispiel der Jesuit Franziskus. Allerdings gehört der brillante spätantike Kirchenvater Augustinus von Hippo in Nordafrika (354–430) nicht unbedingt zu den Theologen, auf die Reformer der Kirche gerne verweisen, im Gegenteil. Mit der Augustinischen Theologie wurde über viele Jahrhunderte jede Innovation innerhalb der Kirche im Keim erstickt.
Ein Peruaner
Gleichwohl zitierte Leo in seiner Rede nach der Wahl die recht bekannte Augustinus-Sentenz: „Mit euch bin ich Christ, für euch bin ich Bischof.“ Dieser Satz aus dem Mund des amerikanischen Papstes, der auch die peruanische Staatsbürgerschaft besitzt, klingt nicht nach einem autoritären Amtsverständnis. Dazu kommen seine Betonung der Synodalität und des Missionsauftrags der Kirche, sein Rekurs auf den bescheidenen Franziskus, seine Ansprache an die Bürger Roms (denn der Papst ist ja zu allererst der Bischof von Rom) und seine Sätze in Spanisch an die Gläubigen in seinem früheren peruanischen Bistum von Chiclayo. All das spricht nicht unbedingt dafür, dass Papst Leo von ganz oben herab die Kirche leiten will. Auch seine Erfahrung als Generalprior des Augustinerordens könnte für einen eher kollektiven Führungsstil sprechen.
Papst Leo hat keine ganz weiße Weste, so wenig wie Jorge Mario Bergoglio sie hatte, als er vor zwölf Jahren zum Papst gewählt wurde. Bei Papst Leo dürften es Vorwürfe sein, er habe sich nicht konsequent genug um einen Fall von Missbrauch gekümmert, der in seiner Diözese vorgefallen war. Aber erste Recherchen nach seiner Wahl deuten darauf hin, dass hinter diesen Vorwürfen nur wenig Substanz steckt.
Der zweite Vorname von Robert F. Prevost ist „Francis“, die englische Form von Franziskus, und das passt. Papst Leo XIV. steht alles in allem in der Tradition von Papst Franziskus. Allerdings ist ein eher traditionelles Agieren und ein weniger impulsives Regieren von ihm zu erwarten. Dafür spricht auch die Erfahrung von Kardinal Prevost als Kopf des Bischofsdikasteriums im Vatikan, für die er viel Lob bekam.
Schließlich: Wie der erste US-amerikanische Papst auf die brutale Politik seines Landsmanns Donald Trump im Weißen Haus reagieren wird, das wird einer der spannendsten Kämpfe seines Pontifikats werden. In der reichen und einflussreichen katholischen Kirche der USA zeigen sich viele Entwicklungen, die wegweisend sind für die Zukunft der gesamten Kirche Roms, zumindest im Norden des Globus. Die katholische Kirche der USA ist ungemein zerstritten, fast in bitterer Feindschaft. Wird das reaktionäre JD-Vance-Lager mit Ausstrahlung in die ganze Welt noch mächtiger werden? Der neue Papst, eindeutig kein Trump-Fan, muss nicht nur ein Auseinanderbrechen der katholischen Kirche in diesem Teil der Welt verhindern, er muss es auf der ganzen Welt tun. Das wird die härteste Challenge des amerikanischen Papstes. Er ist um diese Aufgabe nicht zu beneiden.
Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur der "zeitzeichen". Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ökumene.