Horch amol!

Vertikal versus horizontal?!? – Gesprächsfäden einer Kirche im Wirtshaus
Werbung am Zigarettenautomat: #VerständigungsOrt mit Anna-Nicole Heinrich und Ralf Frisch in Lauf an der Pegnitz
Foto: Reinhard Mawick
Werbung am Zigarettenautomat: #VerständigungsOrt mit Anna-Nicole Heinrich und Ralf Frisch in Lauf an der Pegnitz

Seit einigen Monaten läuft das Projekt #Verständigungsorte, das die EKD zusammen mit der Diakonie Deutschland initiiert hat. Im fränkischen Lauf an der Pegnitz trafen sich in dieser Reihe kürzlich die EKD-Präses Anna-Nicole Heinrich und der Nürnberger Theologieprofessor Ralf Frisch. Sie diskutierten miteinander und mit einer interessierten Wirtshausgemeinde über die Frage: „Ist das noch meine Evangelische Kirche?“ Zeitzeichen-Chefredakteur Reinhard Mawick war dabei und versuchte eine Art Protokoll zu führen: 

Ob wohl jemand kommt? Eine Stunde vorher herrscht im Festsaal „Heuchlinger Wohnzimmer“ im „Gasthof zur Linde“ noch gähnende Leere. Eingeladen hat die Kirchengemeinde zusammen mit dem CVJM Lauf. Man wird freundlich von den Verantwortlichen begrüßt, die schon das Podium herrichten. Ab 18:30 Uhr, so die Ankündigung, bestehe die Möglichkeit zum Abendessen. Schon naht die emsige Bedienung. „Gebackene Leber“ steht als „Spezialität des Hauses“ auf der Speisekarte – „warum nicht?“. Aber die ist leider schon aus. Na gut, dann „Fränkischer Schweinebraten mit Kloß“ und dazu natürlich ein Helles. 

Langsam füllt sich der Saal. Gegen 19 Uhr kommt die EKD-Präses Anna-Nicole Heinrich. Sie will sich heute mit Ralf Frisch und dem Publikum unterhalten über die Frage: „Ist das noch meine Evangelische Kirche?“ Wann kommt das Essen? Ah, jetzt, wie gut, denn in zehn Minuten soll es losgehen, und jetzt wird es wirklich voll, die Menschen strömen. Achtung, Umbau, bitte mal aufstehen! Die Falttüren zum hinteren Teil des Saales werden geöffnet, um der Menge Herr zu werden. Und da kommt auch schon Ralf Frisch, Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, im Schlepptau hat er einige junge Leute, wohl seine Studierenden.

Als Diakon David Geitner, der Initiator des Abends, um kurz nach halb acht zur Eröffnung schreitet, ist die Stube gut gefüllt: Bestimmt 70, 80 Menschen sind gekommen. Manche sitzen vor einem dampfenden Essen und fast alle vor einem Glas.

Andere Meinungen stehenlassen

„Was muss man machen, wenn man ein gutes Gespräch haben will?“, fragt Geitner in die Runde und gibt die Antwort selbst: „Man lädt jemanden aus Franken und aus der Oberpfalz ein.“ Höfliches Lachen. Dann legt er den Slogan der Veranstaltungsreihe „Horch amol!“ aus (Hochdeutsch: „Horch einmal!“). Man könne dies dem Gegenüber streng mit erhobenen Zeigefinger sagen, um ihm zu zeigen, „wie der Hase läuft“. Dieses „Horch amol!“ sei heute aber nicht gefragt, sondern: „Wir wollen aufeinander zugehen, hören, was andere bewegt und andere Meinungen stehenlassen.“ 

Dann übergibt er an Moderatorin Kirchenrätin Mirjam Elsel aus München. Sie richtet zunächst sage und schreibe 24 recht allgemeine Fragen an das Publikum  („Glauben Sie an ein Leben nach dem Tode“, „Sind Christen eigentlich bessere Menschen“, „Sind Sie zufrieden mit Ihrer Kirche“ usw.), die dieses per Arm heben (zustimmendes „Ja“) und Arm ruhen lassen („nein“) beantworten soll. Sicher gut gemeint, aber in diesem Setting doch eher ein erwachsenenbildnerisches Spielchen ohne rechten Mehrwert. Die letzte Frage: „Finden Sie, es reicht jetzt mal mit diesen Fragen“ wird jedenfalls am beifälligsten aufgenommen …

Vielleicht hätte Elsel, die landeskirchliche Beauftragte für interreligiösen Dialog ist, lieber etwas pointierter ihre beiden Gesprächspartner vorstellen sollen, um das Publikum zu orientieren: Hier Anna-Nicole Heinrich, als Spitzenvertreterin „der“ EKD, dort Ralf Frisch, der immer wieder in provokanten Artikeln, zum Beispiel in zeitzeichen und auf zeitzeichen.net, durchaus „die“ EKD kritisiert. Zwei seiner Hauptkritikpunkte nannte die Moderation dann zumindest, nämlich erstens Frischs Klage über die „grassierende Gottesvergessenheit“ und zweitens die gegen den „ebenso grassierenden Moralismus“.

Dann geht's los zwischen den beiden. Freundlich per „Du“, aber klar konturiert: Frisch wünscht sich, die Kirche möge ein Ort sein, an dem man nicht nur „anders“ sein könne, sondern sogar „anders anders“. Man müsse in der Kirche „den Mumm haben, anders zu denken, nicht nur auszuhalten, sondern zu provozieren und mal zu schauen, was uns denn eigentlich trägt in all dieser Andersheit“. Möglicherweise sei es ein „großes Erbarmen“, möglichweise aber auch die Leidenschaft, dass die real existierende Kirche eben nicht einfach „noch“ die eigene Kirche sei. Ein kirchliches Defizit sei aber leider der „Moralismus in unserer Gegenwart“, der sich laut Frisch dadurch auszeichne, dass irgendwie „Letztinstanzen aufeinander losgehen im Namen des Guten und sich dann gerne bashen und sagen, was sich eigentlich gehört“. Das finde er „ganz schrecklich“. 

Durchaus ansprechbar

Anna-Nicole Heinrich setzt neben den Frisch’schen Moralismusvorwurf eine andere Wahrnehmung: Sie erfahre in ihrem Alltag, dass auch Menschen, die nicht kirchlich sozialisiert sind, „weite und offene Herzen“ haben und „durchaus ansprechbar sind auf das, was wir an Glaubensleben, an Ritualen, an Geschichten, an Identifikationsfiguren haben“. Am Anfang ihres Amtes als Präses sei es ihr schwer gefallen, persönlich von ihrem Glauben zu erzählen und davon, was für sie das Gebet bedeutet oder welche biblischen Figuren für sie Inspiration sind. Denn das sei schließlich sehr persönlich, man mache sich damit verletzlich und drohe „theologische Richtigkeiten“ zu missachten. Da aber die religiöse Sozialisation immer mehr zurückgehe, „weil die Oma das nicht mehr erzählt“, sei es wichtig, sich gerade im Alltag bei vielen Gelegenheiten zu trauen, „über unseren Glauben zu sprechen“.

Dem pflichtet Frisch bei, auch er konstatiert eine Art „Glaubensscham“ und berichtet von einer Zugfahrt, wo ihn eine Frau gefragt habe, da er in einem theologischen Buch las, ob er an Gott glaube. Da habe er kurz überlegt, ob er „als mit allen Wassern gewaschener, durchtriebener Theologe dialektisch gebrochen“ antworten solle: „Naja, ich bin auch ein Suchender und Zweifelnder, und einen Gott, den es gibt, den gibt es nicht, und Glaube ist immer auch Nicht-Glaube …“ Aber dann habe er einfach gesagt: „Ja.“ Dann sei das Gespräch interessant geworden. Davon wiederum zeigt sich Anna-Nicole Heinrich mäßig beeindruckt. Für sie ist das „Ja“ an sich keine mutige Antwort, denn die würden schließlich „ganz viele hier im Raum geben“. Sie fände interessanter, konkret zu erfahren: „Wo merkt Ralf Frisch Gott in seinem Herzen?“ 

Frisch entgegnet, dass er Gott „nicht nur in seinem Herzen merke“, sondern sogar spüre, „dass da noch was ist, wenn da nichts mehr ist“. Gerade wenn sein Herz leer sei und er unruhig oder verzweifelt werde, ja, dann erfahre er, dass da „tatsächlich nicht die Bodenlosigkeit ist, sondern, dass ich da was spüre“. Was näher, das sagte Frisch nicht, aber dafür das: Leider habe er den Eindruck, dass viele offizielle Kirchenvertreter die Unsicherheit im Glauben eher noch verstärken würden. Das sei schade, denn er habe den Eindruck, dass gerade Menschen, die sich nicht zur Kirche halten und höchstens eine vage Sehnsucht danach verspürten, sich sehr wünschen, dass zumindest diejenigen, die sich bewusst zur Kirche zählen, nicht auch noch sagen: „Naja, so christlich sind wir auch nicht.“ So entstehe bei ihm häufig der Eindruck, „dass Kirche die Probe aufs Exempel ist, ob es auch ohne Gott und ohne Glaube geht und vielleicht sogar besser geht“. 

Ach wirklich? Das will die EKD-Präses genauer wissen: „Wo sagt Kirche, dass es auch ohne Gott geht?“ So richtig Konkretes fiel Frisch dazu nicht ein, aber er nennt als Beispiel das von der EKD herausgegebene evangelische Magazin chrismon, das in seinen Augen ein Versuch ist, „mit möglichst säkularen, vom Alltäglichen möglichst ununterscheidbaren Botschaften zu punkten“. Das kann und will Anna-Nicole Heinrich, ihres Zeichens Herausgeberin von chrismon, nicht so stehen lassen. Zum einen macht sie klar, dass ein Magazin wie chrismon natürlich unterschiedliche Rubriken und Gattungen habe, und sie fordert zum anderen beharrlich wieder ein konkretes Beispiel dafür, wo Kirche suggerieren würde, „dass ein Leben ohne Gott funktionieren kann“. 

Mit der Lupe suchen

Frisch sagt, man würde dies zum Beispiel daran erkennen, „wie oft das Wort Gott überhaupt vorkommt“ – er meint wohl kirchliche Texte und Verlautbarungen. Und wenn der Eindruck entstehe, man müsse es „mit der Lupe“ suchen, „sei irgendetwas faul“. Dann erwähnt er seine Glosse zum neuen Gesangbuch, die er jüngst auf zeitzeichen.net geschrieben hatte – in dem Beitrag hatte er moniert, dass das Logo des neuen evangelischen Gesangbuches kein Kreuz enthalte. Diese Kritik wiederum leuchtet der EKD-Präses gar nicht ein, denn das Gesangbuch sei doch auch ohne Kreuz auf dem Titel „eindeutig mit Kirche verbunden“, schließlich liege es zumeist in einer Kirche. Sie verstehe den „Aufregermoment“ gar nicht. „Aber das ist doch genau das aufregende Moment, dass Du dich nicht darüber aufregst“, regte sich wiederum Frisch auf. 

Daran anschließend – „Ich habe gehört, Du interessierst Dich für Kunst.“ – erzählt Anna-Nicole Heinrich von einem beeindruckenden Besuch in der Christuskirche in Neumarkt/Oberpfalz. Die sei kürzlich innen gänzlich neu gestaltet worden, das raumprägende Kruzifix habe man abgehängt und versucht, „eine Kirche auf Augenhöhe zu schaffen“. Das Taufbecken ist jetzt im Boden eingelassen, damit Kinder, die getauft werden und andere Kinder, die dabei sind, auf Augenhöhe daran teilnehmen können. Der Altar ist jetzt gleichzeitig auch die Kanzel – alles auf einer Ebene ohne erhobenes Podest. Aber, so die EKD-Präses, wenn man länger drinsitze und sich im Raum umschaue, erblicke man oben in der Decke ein kleines Kreuz und in der Mitte, im neugeschaffenen Taufbecken im Boden, auch ein Kreuz. Heinrich: „Wir sollten uns ruhig trauen, manche Sachen zu entdecken.“ Frisch jedoch ist von dieser Sicht der Dinge bei aller Anerkennung der künstlerischen Qualität nicht ganz zu überzeugen. Er hat Angst, dass irgendwann niemand mehr in der Lage sei, solche Entdeckungen zu machen und zwar aufgrund fehlender Glaubensbildung.

An diesem Punkt fräst sich das Gespräch zwischen den beiden ein wenig fest. Es wird höchste Zeit, dass endlich auch das Publikum mitmischen darf. Mirjam Elsel, die Moderatorin, lädt dazu ein und verweist auf die beiden noch freien Stühle am Tisch.

Gleich der erste Gast aus dem Publikum steigt in die Diskussion um das Kreuz ein und erzählt von einem Gipfelkreuz im österreichischen Bad Gastein, das ihm überhaupt nicht gefallen habe. Da sei „ein Jesus abgebildet, der sich vor Schmerzen windet“. Er frage sich: „Ist das eine Reklame für das Christentum, wenn der so dranhängt?“ In einer anderen Kirche hingegen habe er mal ein Kreuz gesehen, das eher „so ein Rahmen für eine Jesusfigur" abgebe – das habe ihm deutlich besser gefallen. Wenn Sie das nicht mögen, dann kann ich Ihnen nicht helfen“, entgegnet Ralf Frisch. Der Gekreuzigte sei nun einmal „die brutalste und härteste Realität des christlichen Glaubens“. Wenn wir als Christen ethisch argumentieren, wenn wir Mitleid, Erbarmen, Barmherzigkeit mit den Schwächsten und den Geschundenen motivieren, dann – so Frisch – werde das am Gekreuzigten unüberbietbar sichtbar: „Da hängt sozusagen das ganze Leid an der Welt.“ Das sei abstoßend, aber „das ist die Pointe des Gekreuzigten“.

Anna-Nicole Heinrich hingegen findet das Anliegen des Diskutanten durchaus berechtigt. Auch sie frage sich öfters: „Was sind richtige Orte und Bilder, um Menschen in einem Erstkontakt auch in eine positive Beziehung zum christlichen Glauben oder zumindest in einen Moment der Reflexion zu setzen?“ Ob nun ein Gipfelkreuz besonders geeignet sei für eine besonders leidende Darstellung des Gekreuzigten, bezweifelt sie. Schließlich stehe bei einem Gipfelkreuz ja in der Regel nicht ein Theologe wie Ralf Frisch und sage: „Übrigens, der da oben, der leidet zwar, aber es gibt richtig gute Gründe, dass der hier so dargestellt ist“, und gehe dann mit den Menschen ins Gespräch. Verhaltenes Lachen. 

Werbung auch im Schaukasten der Gemeinde.
Foto: Reinhard Mawick

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Der nächste Diskutant auf dem Stuhl, ein Diakon, betont, er würde „nicht vom Kreuz aus zu den Leidenden gehen“, sondern vielmehr umgekehrt „von den Leidenden zum Kreuz“. Ausgehend von Matthäus 25 (Gleichnis vom Weltgericht) sei es für ihn viel „logischer und vernünftiger“, aus dieser Nähe der Kirche zu der Lebensrealität leidender Menschen die Christusbotschaft zu entwickeln, als umgekehrt diese Botschaft „im freien Raum“ zu formulieren. Dann sagten doch die Menschen oft: „Was will er mir denn jetzt erzählen“. Außerdem habe ihm schon sein Konfirmator gesagt: „Glauben ist Vertrauen“. Und wenn die Notleidenden in ihrer Not Vertrauen zur Kirche gewinnen, „dann haben wir gewonnen“. – „Aber wofür braucht es dann den Christus“, fährt ihm Frisch in die Parade: „Entweder Sie fangen mit dem Christus an, oder Sie kommen nie zu diesem Christus.“ Sonst, so Frischs Befürchtung, ende das alles bei einem bloßen Humanismus der Barmherzigkeit und des Erbarmens, in dem man letztlich darauf vertraue, „dass Menschen füreinander da sind“ – „Herr Frisch! Ich bin wirklich ein sehr gläubiger Mensch, und ich lasse mir nicht unterstellen, dass ich beim Humanismus ende“, widerspricht der Diakon entrüstet, bevor die Moderatorin – wohl um des lieben Friedens willen – dem ersten Gast noch mal zu einem „Schlusswort“ aufruft. Schade eigentlich …

Anna-Nicole Heinrich aber ruft diese erste kleine Konfrontation gleich wieder auf den Plan. Sie springt in einem „Mini-Zwischenruf“ dem von Frisch Gescholtenen bei: „Über Glauben sprechen und nach meinem Glauben handeln, durch meine Handlung in meinem Nächsten auch sichtbar zu werden in meinem Glauben, das gehört untrennbar für mich zusammen. Wir kommen nicht weiter, wenn wir dann sagen: „Da musst du besser argumentieren. Was ist denn da die Theologie dahinter?‘“ Ja doch. Ralf Frisch beteuert, dass er es nicht böse gemeint habe, aber die Präses lässt ihm das nicht durchgehen: „Ich finde, solche Situationen machen Menschen unsicher, über ihren Glauben zu sprechen. Wenn direkt harsche Gegenreaktionen kommen.“ Sie wolle zwar nicht behaupten, dass Frisch keine Verständigung wolle, aber es hätte vielleicht „fünf Minuten Zeit gebraucht“ – dann hätte auch hier Verständigung stattfinden können. Geschehe dies nicht, „gehen wir aus solchen Verständigungsorten nicht gestärkt, sondern dissonant und konfliktiv auseinander und nicht in neu gewonnener Verständigung“. 

Der dritte Gast, der am Tisch Platz nimmt, ist deutlich „Team Frisch“. Er macht zunächst Werbung für seine Firma, die Telekom: Früher hätten die alle gebashed, jetzt habe man den „Turnaround“ geschafft: „Ich denke, wenn man heute jemandem dieses „T“ zeigt, weiß jeder, um was es geht: Telekom.“ Von dieser Markenstrategie müsse die Kirche lernen, und er stimme Ralf Frisch zu, „die Marke in meinem Glauben ist das Kreuz“. Klar, er verallgemeinere jetzt ein wenig, aber: „Ist das noch meine Kirche, wenn wir es nicht schaffen, unsere Kernbotschaft, die ich an dem Kreuzeszeichen festmache, nach außen zu tragen“, sondern wenn das Kreuz durch „Wege über Kunst“ oder ähnliches transportiert wird. Da müsste doch der „Turnaround her, wo wir sagen: Da gehen wir jetzt lang.“ 

Dem pflichtet Theologieprofessor Frisch natürlich bei und ergänzt: Wir leben von der Erwartung, dass die Leute wissen, was Kirche ist.“ Dieser trügerische „Vertrauensvorschuss von irgendwelchen imaginären Mehrheitsverhältnissen“ aber mache „müde und unmotiviert“. Früher, als alle zur Kirchen gehört haben, habe man „unendliche Spiele mit Selbstsäkularisierung, Selbstliberalisierung und Auswaschung von Markenkernidentitäten“ machen können. Und anscheinend durch die Telekom inspiriert, vollzieht der Nürnberger Professor dann gleich den Move in die Kfz-Branche: „Wenn eh klar ist, du verkaufst das Auto immer in alle Weltgegenden, und wir haben faktisch keine Konkurrenz, dann kann man so weitermachen. Aber das habe sich stark verändert und da, so Frisch, brauche es schon eine „sehr, sehr kluge, behutsame, differenzierte, geistreiche Form der Verkündigung, damit es auf diesen Umwegen gelinge“. 

Klar, „gute Verkündigung“ sei ein spannendes Thema, meint darauf Anna-Nicole Heinrich. Aber sie vermisse nun bei Frisch, der plötzlich „so ökonomisch über das Durchdringen der Marke Kirche“ rede, „das Vertrauen in die Botschaft und in Gott“, dass der schon die Menschen erreichen“ werde. Ach, da müsse sie sich keine Sorgen machen, retourniert Frisch: „Ohne Wunder sind wir sowieso nicht zu retten …“. 

Dem Zeitgeist hinterherrennen?

So geht es noch ein Weile weiter, respektvoll im Ton, aber mäßig in der Konkretion. Anna-Nicole Heinrich wundert sich: Frisch fordere einerseits, man solle nicht „dem Zeitgeist hinterherrennen“, aber beim Thema Markenlogik solle man plötzlich doch dem Zeitgeist folgen. Doch Frisch bleibt in Sachen Kreuz hart: Es sei „völlig pervers“, wenn Christenmenschen Argumente fänden, dass das Kreuz in der Kirche „weg sollte oder weg kann, oder wenn es nichts mehr ausmacht, dass das Kreuz nicht mehr da ist.“ 

Als nächster Gast kommt ein junger Kommunalpolitiker in die Runde, der das „etwas Hitzige“ der vorangehenden Runde durchaus „super gut“ fand, nun aber das Thema „Kirche und Politik“ einbringt. Konkret spricht er Anna-Nicole Heinrich auf ihre Diskussion mit Bundestagspräsidentin Julia Klöckner an, die sie vor drei Wochen auf dem Kirchentag in Hannover geführt hatte. Heinrich begrüßt ausdrücklich, dass Klöckner „mit voller Überzeugung in der Öffentlichkeit sagt: ,Ich bin Christin, und ich bin Politikerin, und das trenne ich auch nicht.‘“ Gleichzeitig aber empfinde sie die Gegenüberstellung Klöckners in ihrem vielbeachteten BILD-Interview zu Ostern misslich. Da habe sie diesen Eindruck erweckt: Weil Kirche sich zu gesellschaftlichen Themen äußert, mache Kirche nicht mehr ihr „Kerngeschäft“. Und das stimme ja einfach nicht! Heinrich: „Auch wenn wir uns als EKD zu gesellschaftlichen Themen äußern, haben wir 15.000 Gottesdienste jede Woche und unglaublich viele SeelsorgerInnen in den Krankenhäusern, bei der Polizei, in den Schulen, in der Notfallseelsorge, die da sind.“ Außerdem habe sie in ihren zahlreichen Gesprächen mit Politiker:innen, gerade auch von der CDU/CSU, mit denen es häufiger Reibungen gebe, erfahren, dass diese es zu schätzen wüssten, „dass wir an den Gleichen glauben, dass wir irgendwie zur gleichen Community gehören.“ 

Dem kann durchaus auch Ralf Frisch etwas abgewinnen. Aber ihm ist wichtig, festzuhalten:Wenn Christen es ernst nehmen, dass sie Christen sind, dann können sie überhaupt nicht anders, als sich in der Gesellschaft, in der sie existieren, zu engagieren. Und dann irgendwie dieses C, nämlich dieses Christliche, in ihrer eigenen Existenz, in ihre beruflichen Kontexte, in den Raum dieser Gesellschaft einzubringen.“ Er betont dabei ausdrücklich: „Wie sie das machen, wird möglicherweise ihnen selbst zu überlassen sein.“ Und, ja, es sei wieder unkonkret, aber er hoffe, „wenn ein Christ / eine Christin sich in der Politik engagiert, dann wird er/sie irgendwie Zeugnis ablegen von dieser Schnittstelle zwischen Horizontale und Vertikale.“ Denn entscheidend sei doch, „dass wir nicht aufgehen in dieser Horizontale, sondern dass wir nochmal von was anderem Zeugnis ablegen, das eben nicht wir sind und das mehr ist als Politik". Da komme, so der Theologieprofessor, doch Bonhoeffers Unterscheidung zwischen dem Raum des Vorletzten, der gestaltet werden will, klug und umsichtig, nach Kräften der Vernunft und auch von Glaubensüberzeugungen her, und dem Letzten, das nicht in unserem Rahmen steht“ zum Tragen. Anders könne er es nicht sagen … 

Strukturen, Strukturen, Strukturen, Strukturen

 „Ich schaue auf die Uhr“, sagt Moderatorin Mirjam Elsel, denn der etwas konfuse, aber keinesfalls langweilige Abend neigt sich langsam dem Ende zu. Zum Schluss meldet sich noch die Fraktion „Früher war alles besser“ massiv zu Wort: Zunächst ein älterer Herr – „Ich bin 80 Jahre“ – aus dem Dekanat Hof in Oberfranken. Er wolle nicht das weiterdiskutieren, was bisher besprochen worden sei. Das sei sicher „richtig und notwendig“, aber für ihn „eine totale Themaverfehlung“ für den heutigen Abend. Bei der Frage „Ist das noch meine Evangelische Kirche“ habe ihn interessiert, warum in seiner Gemeinde ein Fünftel in letzter Zeit ausgetreten sei. Wie könne das nur sein? Und wenn er zurückblicke, dann habe er, der seit seinem 16. Lebensjahr bis vor Kurzem ehrenamtlich für die Kirche gearbeitet habe, in seinem Leben noch nie so viele – „ich sag’s auf fränkisch: – Arschtritte gekriegt, wie von der Kirche.“ Und das Kirchenamt antworte einfach nicht, wenn man schreibe. „Da schäme ich mich für meine Kirche.“ Was er heute Abend gehört habe, das sei halt eine „innerchristliche Diskussion“. Dann verdammt er die kirchlichen Reformen der vergangenen Jahrzehnte („Strukturen, Strukturen, Strukturen, Strukturen“) und moniert ganz viel versäumte Seelsorge. Da gebe es doch heute Pfarrer, die hätten am Montag „ihren Anrufbeantworter dran“ und den häufig „ohne Handy-Nummer“. Es gebe jetzt Sprechzeiten, kein Pfarrer komme zum Geburtstagsbesuch, und, und, und …Alles Gründe, „warum ich von meiner evangelischen Kirche nicht mehr viel halte“. 

Im Anschluss ergreift noch eine elegant gekleidete Frau das Wort, deutlich jünger und auch aus Hof. Sie setzt mit anderen Worten die begonnene Scheltrede fort und nimmt in einem Anflug von Sarkasmus sogar die Leitfrage des Abends auf: „Das ist selbstverständlich meine evangelische Kirche. So kenne ich sie, seit ich in den 1980er-Jahren zum ersten Mal in der Synode dabei war. Eine Kirche, die sich liebend gern mit leicht soziologisch linken Idealen mit sich selber beschäftigt. Eine Kirche, die immer wieder um die gleichen Sachen kreist und die Menschen dazu zwingt, sich mit Kirche an sich, am besten noch ohne Artikel, zu beschäftigen.“ Im Dekanat Hof erlebten die Menschen, dass es „nur“ darum gehe, kirchliche Gebäude aufzugeben. Und das geschehe, obwohl jede Kirchenmitgliedschaftsstudie sage, wie wichtig sie für die Kirchenbindung der Menschen seien. Und außerdem: „Über den ersten Käufer von kirchlichen Gebäuden im Ort, entscheidet man noch selber.“ Über den zweiten Käufer, „sei es ein Funktionär von der AfD oder eine Heilpraktikerin mit Klangschalen“, dann schon nicht mehr. Die Dame ist trotz aller Schärfe wenigstens so ehrlich zu sagen, dass sie auch keine Lösung habe. 

Solche Generalkritik an „der Kirche“ vor Ort hat EKD-Präses Anna-Nicole Heinrich natürlich schon oft gehört. Sie stellt fest, dass ja „keine wirkliche Frage“ im Raum sei, auf die sie konkret antworte könne, aber es gebe Empfindungsmuster, die sie schon in vielen Gemeinden festgestellt habe. Die sähen so aus: „Wir sind überfordert von den Transformationsprozessen, wir haben keine gute Jugendarbeit. Wir werden immer weniger. Die Pfarrperson von heute ist anders als die Pfarrperson vor 20 Jahren.“ Ja, als bayerische Landessynodalin sei sie, Anna-Nicole Heinrich, für viele Strukturentscheidungen mitverantwortlich. Aber es sei eben unausweichlich – und da spreche sie jetzt nicht als „Glaubensinstitution“, sondern als „Institutionen-Institution“ – dass solche verantwortlichen Entscheidungen getroffen werden müssen „für unsere Mitarbeitenden, für unseren Gebäudebestand, für die Flächen, die uns gehören“. Klar, das führe an vielen Stellen zu Überforderungen, und es entstehe „dieses Gefühl, dass kein Handlungsspielraum mehr vor Ort mehr ist“. 

Was tun? Die Präses warnt vor einer vorauseilenden Selbstverzwergung: „Ihr dürft euch als Kirchengemeinden nicht kleinreden. Wenn ihr euch was vornehmt, wenn ihr sagt, wir wollen einen Seelsorgeschwerpunkt, wir wollen eine andere Form ausprobieren, wir wollen die Seniorenarbeit bei uns stärken, dann könnt ihr das in den Gemeinden!“ Denn: „Ihr habt die Engagierten vor Ort, ihr habt die Gebäude in den Strukturen und alles, was sozusagen von Strukturreformen vorgegeben wird, das ist im besten Sinne eine Orientierung, soll eigentlich unterstützen.“ Ja, sie habe sogar den Verdacht, dass sich manche Gemeinden auch einen „schlanken Fuß“ machten, wenn sie sagen: „Wir können gar nichts mehr machen, weil uns so viel vorgegeben wird.“ Das stimme nicht, sondern sie sei davon überzeugt: „Wenn die Leute in den Gemeinden was machen wollen und nicht nur auf die übergeordnete Struktur schimpfen, dann geht was voran!“ 

Den Heiland verkünden

Demgegenüber ist es Ralf Frisch wichtig, „very old school“ festzuhalten, „dass die wichtigste Aufgabe der Kirche es wahrscheinlich eben doch sei, den Heiland zu verkünden“. Wenn dies geschehe, „mit allen Implikationen und Konsequenzen, die das politisch, psychologisch und seelsorgerlich hat“, dann sei die Lage „möglicherweise nicht so schlimm“, wie es scheine. Aber Frisch bleibt skeptisch. Er sei zutiefst davon überzeugt, dass die evangelische Kirche in einer „Glaubenskrise“ stecke. Und diese Krise werde „mit strukturellen Verfahren in irgendeiner Weise“ versucht zu bearbeiten.

Der letzte Gast, der sich dann noch zu Wort meldet, beklagt, dass er in der kirchlichen Jugendarbeit „zu viel Politik“ und „zu wenig Jesus“ erlebe. Da beneide er die Freikirchen, die zwar in einer Weise vom Glauben sprechen würden, die ihm im Glauben „wehtun“, aber: „Die kriegen Jugendliche.“ Warum bloß klappe dies in landeskirchlichen Zusammenhängen nicht?

„Naja, man merkt den Leuten dort halt an, dass sie was glauben“, fällt Ralf Frisch zum Thema Freikirchen ein, da sei er sich „hundertprozentig sicher“, auch wenn er vieles da theologisch für schwierig halte und sich da „sicherlich nicht“ beheimatet fühle. Er bleibe dabei: „Wenn wir nicht mehr sagen können, was wir glauben, dann helfen alle Strukturreformen, Revolutionen und Selbstoptimierungen und Maßnahmen und Prozesse nichts.“ Sorry, das könne er leider nur so „fundamental“ ausdrücken. Und an Anna-Nicole Heinrich gewandt sagt er: „Liebe Anna, wir könnten sicher noch zwei Stunden, persönlich und ohne Publikum über unseren Glauben reden. vielleicht auch persönlich ohne Publikum und Mitdiskutierende Ich bin mir sicher, es wäre sehr spannend und möglicherweise gar nicht so kontrovers, wie es scheint.“

Anna-Nicole Heinrich stimmt ihm insofern zu, dass auch sie das Gefühl habe, dass es viele freikirchliche Gottesdienst „anders schaffen, einen Moment der Berührung zu erzeugen“. Aber „tiefe Momente der Berührung“ erlebe sie selbst auch immer wieder in liturgisch traditionellen lutherischen Gottesdiensten. Und was ihre eigene Prägung in der evangelischen Jugendarbeit angeht, so sei ihr Glaube über die Gemeinschaft entstanden: „Da war eine evangelische Jugend, der es egal war, wo wir hergekommen sind. Da traf ich Leute, die ich sonst nicht getroffen hätte und wo wir eigentlich nur das Mindestmaß an geistlichem Leben praktiziert haben: Eine Andacht, ein bisschen Lieder mit der Gitarre spielen, und trotzdem hat das was in mir bewegt. Und trotzdem waren da manchmal diese kleinen heiligen Momente, in denen ich gedacht habe: Ah krass, das hätte ich woanders nicht erleben können." Heinrich ist überzeugt: Auch auf diesem Wege könne man seine Frömmigkeit entdecken und leben.

Mit tausend Bällen jonglieren

Dem wollte Ralf Frisch auch keinesfalls widersprechen. Aber er bleibt weiter skeptisch. Im universitären Kontext mache er oft die Erfahrung, dass viele theologische Zusammenhänge theoretisch gewusst werden. Aber wenn man die Frage stelle: „Was macht es mit dir existenziell?“, herrsche große Sprachlosigkeit. Man könne zwar theoretisch „mit tausend Bällen jonglieren“, aber man könne nicht wirklich aus einer „existenziellen Ergriffenheit“ heraus etwas sagen. Und, so Frisch, das spüren die Menschen, „ob da irgendwo eine Vibration ist, die existenziell ist“.

Gut, nun war aber wirklich Schluss. Kirchenrätin Mirjam Elsel, die Moderatorin, dankt allen dafür „dass ganz, ganz viel gerungen wurde.“ So fand nach zwei Stunden ein Abend sein Ende, in dem zwar kontrovers, zuweilen a bissel wirr, aber immer respektvoll miteinander gerungen wurde. Wichtig war nicht immer, was gesagt wurde, aber dass es gesagt werden konnte. Das Konzept des #Verständigungsorte ist aufgegangen, auch wenn sich Gegensätze nicht auflösten – aber wenigstens war es nie wirklich langweilig. Oder anders gesagt: typisch evangelisch eben. 

PS: Und der fränkische Schweinebraten im „Gasthof zur Linde“? Den müssen Sie probieren. Unbedingt!

(Eine Übersicht über die Aktion #Verständigungsorte, veranstaltet von der EKD und der Diakonie Deutschland finden Sie hier)

Geschafft den Abend. Die „Selfies danach“ mit Anna-Nicole Heinrich (2.v.l) und Ralf Frisch (rechts dahinter) am 22. Mai im „Gasthaus zur Linde“ in Lauf an der Pegnitz
Foto: Reinhard Mawick

Geschafft den Abend. Die „Selfies danach“ mit Anna-Nicole Heinrich (2.v.l) und Ralf Frisch (rechts dahinter) am 22. Mai im „Gasthaus zur Linde“ in Lauf an der Pegnitz

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