Franziskus als Zweitname

Der neue Papst Leo XIV. steht in der Tradition von Papst Franziskus. Wahrscheinlich wird er aber kein so radikaler Reformer werden, wie es sein Vorgänger zumindest am Anfang seines Pontifikats war. Vielmehr ist eher ein vorsichtiges Agieren und ein weniger impulsives Regieren von ihm zu erwarten, meint zeitzeichen-Redakteur Philipp Gessler.
Ach, die alten schönen Regeln der Römerinnen und Römer gelten einfach nicht mehr: Sehr nahe geschult in rund 2.500 Jahren der Logik weltlicher Herrschaft, von den Konsuln über die Kaiser bis zu den Päpsten, hatten die Bewohner der Ewigen Stadt die sehr abgeklärte Faustformel entwickelt: Nach einem Dünnen kommt ein Dicker, dann wieder ein Dünner, dann wieder ein Dicker ….
Aber der neue Papst ist genauso schlank oder undick wie der vorherige mit Namen Franziskus. Mit der Wahl des neuen Papstes Leo XIV., bürgerlich Robert Francis Prevost, am gestrigen Abend des 8.Mai wurden sowieso mal wieder viele scheinbare eherne Regeln der Papstwahl in den letzten zweitausend Jahren gebrochen, zumindest wenn man sich an den Papstwahlen der Neuzeit orientiert.
Zwar war die Wahl des US-amerikanischen Kardinals Robert Francis Prevost nicht die totale Überraschung, die einige Fachleute nun verkünden. Denn der 69-jährige gehörte durchaus zum erweiterten Favoritenkreis, den man, an einer oder zwei Händen unter den 133 wahlberechtigten Männer in Kardinalspurpur abzuzählen, schon zu Beginn des Konklaves in Rom raunte. Aber dass es tatsächlich ein US-Amerikaner, geboren in Chicago, werden könnte, das hielt man doch eher für ausgeschlossen.
Eine große Signalfabrik
Denn zumindest im 20. Jahrhundert galt die eherne Regel: Bürger der Vereinigten Staaten werden nicht Päpste, sonst ist zu viel Macht auf der Welt, eben das US-Präsidentenamt und der Thron Petri mit spirituellem Einfluss über 1,4 Milliarden Menschen, in den Händen einer Nation. Aber diese Regel gilt nicht mehr, und das vielleicht auch, weil die USA eben nicht mehr so dominant sind wie noch im letzten Jahrhundert vor der Jahrtausendwende. Jetzt ist es nicht mehr so schlimm, wenn auch der Papst ein Ami ist.
Viele Regeln sind eben im 21. Jahrhundert perdu. Und der neue Papst ist jemand, der nicht so gut einzuschätzen ist wie sein Vorgänger Franziskus, der schon in seinen ersten Worten, seiner originellen Namenswahl und mit seinem schlichten Auftritt auf der Loggia des Petersdoms 2013 anzeigte, wohin die Reise wohl gehen wird – eben eher, nach den Maßstäben der römisch-katholischen Kirche, revolutionär zu einer bescheidenen Kirche der Armen für die Armen. Da war der Auftritt vom neuen Papst Leo XIV. gestern Abend ganz anders gestrickt, zumal man davon ausgehen kann, dass dieses erste öffentliche Sich-Zeigen von allen, die als papabile gelten, stets insgeheim und vorab genau erwogen wird, was die verbalen wie nonverbalen Zeichen angeht. Denn die höchsten katholischen Würdenträger unterhalb des Papstes sind meistens recht intelligente, weitblickende Leute – und die katholische Kirche ist sowieso eine große, traditionsreiche Signalfabrik. Da wissen die meisten sehr genau, wie man in Worten und Gesten öffentliche Zeichen setzt.
Sieben Überlegungen
Wie also sind die ersten öffentlichen Signale und Worte des Papstes zu deuten? Was könnten sie über sein Regierungsprogramm sagen? Und sind schon jetzt Belastungen und Gefahren im neuen Pontifikat sichtbar? Dazu sieben Überlegungen:
- Papst Leo XIV. hat innerhalb seiner ersten drei, vier Sätze mehrmals den „Frieden Gottes“ betont. Er tat dies wahrscheinlich sehr bewusst auf den Tag genau 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Es ist stark zu vermuten, dass tatsächlich Friedensinitiativen für viele Konflikte der Welt in diesem Pontifikat eine große Rolle spielen werden. Das ist ambitioniert. Denn ob sie glücken werden, das weiß in dieser komplizierten Welt nur Gott.
- Das häufige und lange Zitieren seines Vorgängers Franziskus war sicherlich ebenfalls mit Bedacht getan. Leo XIV. will sich in die Tradition dieses Pontifex maximus stellen, was bedeutet: Das Programm „eine arme Kirche für die Armen“ ist noch nicht ganz vom Tisch. Hier ist eher Kontinuität zu erwarten, wenn auch wohl nicht ganz so radikal wie bei Franziskus, bei dem die Armen und Unterdrückten der Welt bis zu seiner Beerdigung ganz vorne in der Agenda standen.
Gleichwohl könnte es ein insgesamt soziales Pontifikat werden. Dafür spricht der Name Leo, der an Leo XIII. erinnert, der von 1878 bis 1903 im Vatikan herrschte und mit seiner Sozialenzyklika „Rerum Novarum“ (etwa: Geist der Neuerung) von 1891 die Katholische Soziallehre mitbegründete. Es war ein soziales und wirtschaftliches Konzept, das in vielen Aspekten linker und kapitalismus-kritischer ist, als man das von der Kirche Roms üblicher Weise erwartet. Auch hier steht Leo in der Tradition von Franziskus, der einmal über einen menschenverachtenden Manchester-Kapitalismus glasklar urteilte: „Diese Wirtschaft tötet.“
Ein Ordensmann
- Papst Leo trat wieder in einem traditionellen liturgischen Umhang auf, wie dies seine Vorvorgänger auch schon getan haben. So bleibt die Ausnahme Franziskus, der dies auch mit dem Blick auf die traditionellen roten Papstschuhe mit dem Ausspruch „Der Karneval ist vorbei!“ abgelehnt haben soll. Auch das „Ave Maria“ am Ende von Leos Ansprache hoch über dem Petersplatz war eine eher traditionelle und wenig ökumenische Übung. Interpretiert man zudem die sehr skeptischen Äußerungen von Kardinal Robert Francis Prevost vor seiner Papstwahl etwa zum Diakonat der Frau, ist zu vermuten: Ein radikaler Reformer wird dieser Papst nicht. Mehr Synodalität innerhalb der Kirche wünscht er sich laut Ansprache zwar. Aber das ist eher das Minimalprogramm aller Papstaspiranten nach Franziskus. Das gilt, zumal Kardinäle in der Regel stets mehr Macht haben wollen, als der Papst ihnen üblicherweise zubilligen will. Wer will schon auf Macht verzichten, und sei es im Namen Christi?
Der neue Papst ist wieder ein Ordensmann, dieses Mal ein Augustiner, wie auch Martin Luther einer war. Der Orden der Augustiner gilt als ziemlich intellektuell und sicherlich nicht so sozial engagiert wie etwa die Franziskaner und nicht so links, wie mehrheitlich die Jesuiten über lange Zeit waren. Die Erneuerung der Kirche ist in den 2.000 Jahren ihrer Geschichte häufig aus Klöstern ausgegangen. Auch deshalb ist es in der Papstgeschichte eher unüblich, dass Ordensmänner ins höchste Amt der Weltkirche gewählt werden (früher gab es da sogar regelrechte Verbote). Denn solche Männer verursachen im Vatikan meist eher Unruhe wie zum Beispiel der Jesuit Franziskus. Der Argentinier war vielen reaktionären Kardinälen sehr schnell fast verhasst, weil Ordensleute in einer anderen Gemeinschaft geprägt werden als etwa die Kurie, in der die meisten sich am wohlsten fühlen, wenn sich nie etwas ändert – Verwaltungen eben, das ist relativ normal. Allerdings gehört der brillante spätantike Kirchenvater Augustinus von Hippo in Nordafrika (354 – 430) nicht unbedingt zu den Theologen, auf die Reformer der Kirche gerne verweisen, im Gegenteil. Mit der Augustinischen Theologie wurde über viele Jahrhunderte jede Innovation innerhalb der Kirche im Keim erstickt. Wird der neue Papst Leo diese unselige Tradition etwa fortsetzen?
Keine weiße Weste
- Gleichwohl zitierte Leo in seiner Rede nach der Wahl die recht bekannte Augustinus-Sentenz: „Mit euch bin ich Christ, für euch bin ich Bischof.“ Dieser Satz aus dem Mund des amerikanischen Papstes, der auch die peruanische Staatsbürgerschaft besitzt, klingt nicht nach einem autoritären Amtsverständnis. Dazu kommen seine Betonung der Synodalität und des Missionsauftrags der Kirche, sein Rekurs auf den bescheidenen Franziskus, seine Ansprache an die Bürger Roms (denn der Papst ist ja zu allererst der Bischof von Rom) und seine Sätze in Spanisch an die Gläubigen in seinem früheren peruanischen Bistum von Chiclayo. All das spricht nicht unbedingt dafür, dass Papst Leo von ganz oben herab die Kirche leiten will. Leo kennt als langjähriger Priester und Bischof in der lateinamerikanischen Provinz Armut und Abgehängtsein sicherlich sehr genau. Es ist unwahrscheinlich, dass er diese Perspektive im Papstamt plötzlich völlig verlieren wird.
- Papst Leo hat keine ganze weiße Weste, so wenig wie Jorge Mario Bergoglio sie hatte, als er vor zwölf Jahren zum Papst gewählt wurde. Franziskus hing sein zweifelhaftes Verhalten während der Zeit der Junta in Argentinien nach. Bei Papst Leo dürften es Vorwürfe sein, er habe sich nicht konsequent genug um einen Fall von Missbrauch gekümmert, der in seiner Diözese vorgefallen war. Aber der Fall und des neuen Papstes Verhalten damals ist so ambivalent wie der Fall von Bergoglio während der Militärdiktatur – wahrscheinlich bleibt es am Ende Interpretationssache und ist nicht endgültig zu klären.
Mann der Mitte
Der zweite Vorname von Robert F. Prevost ist „Francis“, die englische Form von Franziskus, und das passt. Papst Leo XIV. steht alles in allem in der Tradition von Papst Franziskus. Wahrscheinlich wird er aber kein so radikaler Reformer werden, wie es Franziskus zumindest am Anfang seines Pontifikats war. Vielmehr ist mehr traditionelles Agieren und ein weniger impulsives Regieren von ihm zu erwarten. Dafür spricht auch die Erfahrung von Kardinal Prevost als Kopf der Bischofskongregation im Vatikan, für die er viel Anerkennung bekam. Die Kardinäle haben aber aller Voraussicht nach keinen Reaktionär an die Spitze der Weltkirche gewählt. Papst Leo XIV. dürfte eher ein Mann der Mitte und des Ausgleichs werden.
Schließlich: Wie der erste amerikanische Papst auf die brutale Politik seines Landsmanns Donald Trump im Weißen Haus reagieren wird, das wird einer der spannendsten Kämpfe seines Pontifikats werden. In der reichen und einflussreichen katholischen Kirche der USA zeigen sich viele Entwicklungen, die wegweisend sind für die Zukunft der gesamten Kirche Roms, zumindest im Norden des Globus. Die katholische Kirche der USA ist ungemein zerstritten, fast in bitterer Feindschaft. Ob das reaktionäre JD-Vance-Lager mit Ausstrahlung in die ganze Welt dort immer mächtiger wird oder zugunsten des liberalen Flügels des US-Katholizismus gestutzt werden kann, könnte auch an Leo XIV. hängen. Der neue Papst muss nicht nur ein Auseinanderbrechen der katholischen Kirche in diesem Teil der Welt verhindern, er muss es auf der ganzen Welt tun. Das wird wohl die härteste Challenge des amerikanischen Papstes. Er ist um diese Aufgabe nicht zu beneiden.
Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur der "zeitzeichen". Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ökumene.