Die Macht der Worte

Über Schuld und Vergebung im Umgang mit sexualisierter Gewalt
 Podium zum Thema „Sexualisierte Gewalt“ auf der DEKT 2025 in Hannover
Podium zum Thema „Sexualisierte Gewalt“ auf der DEKT 2025 in Hannover

Eigentlich ist das Sprechen, spätestens seit Sigmund Freud bekannt als ein heilsames Verfahren. Warum fällt es Betroffenen von sexualisierter Gewalt so schwer, in Worte zu fassen, was ihnen angetan wurde? Eindrücke von der Podienreihe „Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt“ auf dem Kirchentag in Hannover von zeitzeichen-Redakteurin Kathrin Jütte.

 Seinem Täter vergeben? Das ist seine Sache nicht. „Ich habe meinem Täter nicht vergeben und werde es auch nicht, das ist Gottes Sache. Der soll entscheiden, ob er vergibt oder nicht“, sagt Matthias Schwarz in Hannover beim Kirchentag mit Nachdruck. Dieses Weggeben habe ihm geholfen und ihn befreit. Eindrücklich schildert er, der bis zu seinem Ruhestand 2023 Pfarrer in der hessen-nassauischen Kirche war, auf dem Podium „Die Macht der Worte“ wie er fast vierzig Jahre gebraucht hat, um Worte zu finden für das, was ihm angetan worden war. In den Jahren 1973 bis 1976 hat er von dem damaligen Gemeindepfarrer sexualisierte Gewalt erfahren. „Ich hatte es tief in meinem Herzen vergraben, weil ich nicht damit umgehen konnte. Denn etwas in Worte fassen heißt, es auch begreifbar und verstehbar zu machen.“ Und Schwarz erzählt auch davon, dass er nicht nur viele Jahre, Jahrzehnte sich selber und anderen gegenüber geschwiegen habe, sondern auch Gott gegenüber. Mit dem Aufarbeiten seiner Geschichte sei er auch mit Gott noch einmal neu ins Reden gekommen. 

Das eine ist, selbst Worte zu finden, das andere, gehört zu werden. Schwarz arbeitet mittlerweile als Mitglied der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum der EKD. Den Weg in die Öffentlichkeit zu gehen, bezeichnet er als zwiespältig. Zwar würden andere Betroffene ermutigt, ihre Geschichten zu erzählen, zugleich setze man sich der Kritik der Kollegen aus.

Was macht es Menschen so schwer, über Missbrauch und sexualisierte Gewalt zu sprechen? Warum fehlen die Worte, wo doch das Sprechen, spätestens seit Sigmund Freud bekannt ist als ein heilsames Verfahren? 

Perfide Masche

Das hat gute Gründe, wie die Psychotherapeutin Friedegunde Bölt aus Kassel auf dem Podium darlegt: Zum einen hätten die Täter den Betroffenen das Schweigen verordnet, zum großen Teil mit sehr perfiden und gewalttätigen, erpresserischen Methoden. „Schweigen ist eine Täterstrategie“, sagt die Therapeutin. Bölt nennt das fachsprachlich eine doppelte Stigmatisierung: Betroffene sind Überlebende, Opfer einer Straftat und zugleich werden sie durch die perfide Masche der Täter in ihrem Opfersein gehalten und können dem nur schwerlich entkommen. Hinzu kämen Gefühle von Scham und Schuld, die das Sprechen unmöglich machen. Über das Erlebte erstmals zu sprechen bedeute, die Macht der Täter zu brechen, und die entwickelte Scham an die Täter zurückzugeben. Dazu kommt, und da stimmt ihr Matthias Schwarz zu: Darüber zu sprechen, bedeutet auch, die Realität dessen, was passiert ist, anzuerkennen. Und genau das fällt schwer, für manche Menschen ist es unmöglich. 

Bölt weiß aus Erfahrung, wie sehr Sprache verletzen kann. Deshalb plädiert sie für einen differenzierten Umgang mit den Zuschreibungen Betroffene, Opfer und Überlebende. So spricht sie von Opfern immer nur im Zusammenhang von Tätern. Und von Betroffenen, wenn es darum geht, dass ihnen etwas widerfahren ist, das in ihrer Biografie verhaftet bleibt. 

Wie kann das, was hier an diesem Tag auf dem Podium verhandelt wird, beim Namen genannt werden? Dazu ruft Svenja Bluhm die ForuM-Studie in Erinnerung: „Narrative mit Personen aus der Institution klangen wie ein Chor, wort- und formulierungsgleich, von Verleugnung, über vermeintlichem Nichtwissen, relativierend und verharmlosend“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Potsdam, die im Teilprojekt B der Studie mitgearbeitet hat. 

Ausgebliebener Aufschrei

Und Matthias Schwarz beklagt: „Ich hätte mir nach der Veröffentlichung der ForuM-Studie gewünscht, dass ein Aufschrei durch die Gemeinden und Einrichtungen gegangen wäre. Einer der deutlich macht: Wir stehen auf Eurer Seite.“

Aber es geht nicht nur um das Ringen um Worte, um das Sprechen. Es geht auch um eine neue Gesprächskultur. Einer, der auf diesem Podium die Institution vertritt ist Rainer Kluck, ehemaliger Leiter der Stabsstelle Prävention der Nordkirche. Er weist darauf hin, dass zumindest auf der Fachebene ein enormer Lernprozess und Bewusstseinswandel stattgefunden habe. Insgesamt bleibe es jedoch immer noch eine Herausforderung, die Sprache zu finden, „weg von diesem Verleugnen und Vertuschen“.

Auch die Frage, ob die theologischen Begriffe von Vergebung und Schuld geeignet sind, sich dem Thema zu nähern oder gar Heilung herzustellen, soll auf diesem Podium erläutert werden. Die Psychotherapeutin Bölt bezeichnet es als erneuten Übergriff, wenn die Täterorganisation, die evangelische Kirche, die Opfer um Vergebung bittet. Denn damit wird die Verantwortung auf die Betroffenen geschoben, anstatt das sie von den Tätern oder der Institution übernommen wird.

Wie lässt sich verantwortungsvoll mit dem theologischen Begriff der Vergebung umgehen? Die Mainzer Systematische Theologin Ulrike Peisker hat über die Möglichkeit von Vergebung in protestantischer Perspektive promoviert. „In aller Kürze bedeutet Vergebung sich dem eigenen Verletzer gegenüber, obwohl er einen verletzt hat, liebend vorzubringen“, erläutert die Systematikerin. Damit ist klar, warum der Begriff Vergebung in Kontexten von sexualisierter Gewalt „verkehrt“ und nicht zu verwenden ist. 

Vertuschen vermeiden

Peisker macht deutlich, dass die Theologie durchaus die Unterscheidung kennt zwischen göttlicher und menschlicher Vergebung und auch unterscheidet zwischen der Existenz des Menschen vor Gott und der Existenz des Menschen vor der Mitwelt und seinen Mitmenschen. Und man kann nicht aus der Hoffnung, göttliche Vergebung zu erhalten, deduzieren, dass Menschen einander auf jeden Fall vergeben müssten, erläutert die evangelische Theologin in Hannover. Und weiter: „Gott hat uns vergeben, ihr müsst auch vergeben: Genau dieses Müssen gibt es nicht.“ Stattdessen gelte es, sich um die klare Benennung und strafrechtliche Ahndung von Unrecht bemühen. Peisker fordert ein hohes Maß an theologischer und rhetorischer Kompetenz, um auskunftsfähig zu sein und die Fallstricke der Rechtfertigungstheologie zu kennen. Dies alles um nicht im Modus des Vertuschens zu sprechen, sondern des Klar-Benennens.

Die differenzierten Perspektiven des Podiums haben zur Formulierung klarer Worte zum Thema Missbrauch und sexualisierter Gewalt beigetragen.

 

 

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.

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