„Mutig, stark, beherzt“?

Heute Abend beginnt der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag in Hannover
Kirchentagsbanner in Hannovers Innenstadt, April 2025
Foto: picture alliance
Kirchentagsbanner in Hannovers Innenstadt, April 2025

Mit Eröffnungsgottesdiensten und einem Abend der Begegnung beginnt heute der Deutsche Evangelische Kirchentag – zum fünften Mal in seiner über 75-jährigen Geschichte seit 1949 in Hannover. Besonders die Diskussionen um Krieg und Frieden könnten das Protestantentreffen an der Leine prägen. Eine Vorausblick von zeitzeichen-Chefredakteur Reinhard Mawick am „Morgen davor“.

 

Es sei alle zwei Jahre einer der „politischen, philosophischen und natürlich religiösen Events in Deutschland: der Evangelische Kirchentag“ – so wurde heute Morgen um kurz vor sieben Uhr im Deutschlandfunk der kurze Beitrag zum Ausblick auf den 39. Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) anmoderiert, der heute Abend in Hannover eröffnet wird. Es sei den Verantwortlichen diesmal wichtig gewesen, die „Suchbewegungen deutlich zu machen, die der Glaube immer mit sich bringt“, denn „wir haben Gott nicht in der Tasche“, so formulierte es die Generalsekretärin Kristin Jahn im Deutschlandfunk. Gott sei mehr als ein „einmal fest geprägter Glaubenssatz“, mit dem man „durchs ganze Leben“ komme. Sondern: „Das verändert sich, unsere Gesellschaft verändert sich, unsere Fragen verändern sich.“ 

Glaube als Weg, als Prozess – da werden die meisten der 48-jährigen Jahn zustimmen, die seit gut drei Jahren an der Spitze des DEKT steht und in Hannover ihren zweiten Kirchentag zu verantworten hat. In welche Richtung diese Wege gehen, wird traditionell gut protestantisch umstritten sein. Besonders die Friedensfrage wird – wie schon öfter in der Vergangenheit des Kirchentages – zu den hochumstrittenen zählen. Dazu sagt der sächsische Landesbischof und stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende Tobias Bilz: „Es geht ja um die Frage, wie wir das ausbalancieren, dass es einerseits auf dieser Welt Krieg gibt und dass man auch dem Bösen wehren muss und andererseits, dass wir als Christen besonders für die Friedensbotschaft stehen.“ Wie dieser „Geist des Friedens da mitten reinpasst“, da sei er „sehr gespannt, wie das in Hannover besprochen werden wird“. 

In der Tat darf man gespannt sein, denn neben den Veranstaltungen im offiziellen Programm des DEKT wird das Friedensthema auch auf einer vom offiziellen Kirchentag unabhängigen ökumenischen Friedenssynode verhandelt. Auf dieser soll bereits morgen, am 1. Mai, ein „christlicher Friedensruf Hannover 2025“ verabschiedet werden und zwar unter dem Motto: „Friedensfähig, statt kriegstüchtig“. Brisant ist dabei: Schirmherrin des Friedenszentrums ist die frühere EKD-Ratsvorsitzende und ehemalige hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann. Käßmann sieht nüchtern, dass es in der evangelischen Kirche immer „eine Mehrheit gab, die im Falle einer Verteidigung Krieg und Gewalt durchaus legitimiert haben“, aber es habe auch immer „diese Minderheit der Pazifistinnen und Pazifisten“ gegeben, die gesagt haben „Selig sind, die Frieden stiften“ und „Liebet eure Feinde“. Dies sei immer eine „Minderheitenposition“ gewesen, so Käßmann gegenüber dem Deutschlandfunk, und „die sei heute kaum noch hörbar – in der Gesellschaft insgesamt aber auch nicht“. Auch der EKD-Friedensbeauftragte und mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer gehört zu den Aktivisten dieses Friedenszentrums.

Haltung gefordert

Margot Käßmann, die auch mehr als 15 Jahre nach ihrem Rücktritt vom Amt der EKD-Ratsvorsitzenden immer noch zu den bekanntesten kirchlichen Persönlichkeiten in Deutschland zählt, hat zum Kirchentag ein neues Buch veröffentlicht. Titel: „Seid mutig und stark“. Es ist eine Art Brevier der Haltung, leicht lesbar, und es entfaltet auf gut 120 Seiten jene Art von Haltung, die in großen Teilen des offiziellen deutschen Protestantismus und der liberal-linksbürgerlichen Szene in Deutschland Konsens sein dürfte. Lediglich beim Thema Frieden, speziell vor dem Hintergrund der Bedrohung durch Russland nach dem Überfall auf die Ukraine 2022, gibt es – anders als bei den legendären Friedenskirchentagen in Hamburg 1981 und Hannover 1983 zu Zeiten des Kalten Krieges – keinen Konsens. Viele, die früher sehr kritisch gegenüber Rüstung und Militär waren, haben spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und der Zeitenwenderede von Olaf Scholz im Februar 2023 eine 180-Grad-Drehung vollzogen.

Hier geht Käßmann nicht mit, sondern wirbt für die Minderheitenposition des konsequenten Pazifismus und beklagt sich in ihrem Buch bitter über das Unverständnis und die Aggression, auf die pazifistische Positionen zurzeit in der öffentlichen Diskussion treffen: „Wer Friedensverhandlungen fordert, wird sofort als »Putinversteherin« diffamiert“, der Grünenpolitiker Volker Beck twittere von „Teestubenpazifismus“, der Blogger Sascha Lobo spreche von „Lumpenpazifisten“, und der Publizist und ehemalige Grünenpolitiker Ralf Fücks gar von »Unterwerfungspazifisten“. 

Solche Diffamierungen, so Käßmann weiter, unterstellten, „dass allen, die für den Frieden eintreten oder sich selbst als Pazifistinnen bzw. Pazifisten bezeichnen, unterstellt wird, sie begriffen nicht, dass Wladimir Putin ein Kriegsverbrecher ist und den Krieg gegen die Ukraine begonnen habe„. So aber sei „(e)ine kontroverse Debatte über die Rolle Deutschlands, ein Infragestellen der Waffenlieferungen (…) nicht möglich, ohne als dumm, naiv oder »Putinversteherin« beschimpft zu werden.“ Und wer versuche „die Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine zu beleuchten, etwa die NATO-Osterweiterung nach 1990 zu hinterfragen, dem wird unmittelbar unterstellt, zu leugnen, dass Russland die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen hat.“ So aber werde ein demokratischer Diskurs unterbunden, meint Käßmann[1]

„Respektvolles Ringen um Antworten“

Es sei gut, so Käßmann, „wenn Kirchentage weiterhin Orte sind, an denen unterschiedliche Positionen respektvoll miteinander ausgetauscht werden„. Aber: „Die Kraft, eine klare gemeinsame Friedensbotschaft zu vermitteln, gibt es derzeit offenbar nicht.“ Zumindest aber, so die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende, sei „das respektvolle Ringen um Antworten, auch wenn sie unterschiedlich ausfallen, schon viel„. So wird es spannend zu beobachten sein, inwiefern sich die Friedensdiskussionen auf der Ökumenischen Friedenssynode, die gleichsam mitten in Hannover hinterm Hauptbahnhof, aber doch organisatorisch vor den Toren des offiziellen Kirchentages stattfindet. 

Dass der Kirchentag laut seinem diesjährigen Motto „Mutig, stark, beherzt“ auch unterschiedliche Positionen ins Gespräch bringt, ist auch das Anliegen von Kristin Jahn und der Kirchentagsleitung. Es scheint auch auf dieser Ebene immer stärker ins Bewusstsein zu rücken, dass Kirchentage in der Vergangenheit doch sehr schmale Meinungskorridore betreten haben, die Überzeugten zu den Überzeugten sprachen. Kontroversen zu gewissen Themen wurde meist tunlichst vermieden. Ausgeschlossen fühlte sich aber meist eher das konservative Spektrum. Mal sehen, wie es dieses Jahr wird …

Generalsekretärin Jahn wünscht sich ein vielfältiges Meinungsspektrum bei der Wahrheitssuche auf dem Kirchentag – auch und gerade im Bereich des Politischen. So sagte sie auf zeitzeichen-Anfrage: „Für mich sind es weniger konservative, linke oder Mitte-Positionen, in denen Kirche sich selbst zu definieren hat. Das sind doch auch gar nicht die Kategorien theologischen Denkens oder Sprachmuster,in denen Kirche wirken sollte.“ Sie verstehe, dass „die Welt kirchliches Handeln in solchen Kategorien anschaut. Aber die „Kirche selbst“ habe doch „im besten Falle nur die Agenda: Mitmenschlichkeit.“ Und hierauf, so Jahn, sollten sich Kirche und Theologie konzentrieren, denn hier hätten sie eine wichtige Aufgabe für jedwede Gesellschaft: „Das geht einher mit dem Mut, von Gott zu reden, anstatt Richtungen vorzugeben oder zu bewerten“. Insofern sei Kirche eben gerade nicht in erster Linie eine Moralinstanz. Theologie führe Menschen dazu, sich selbst kritisch zu befragen, und schreibe deshalb den Politikern oder dem Nachbarn „nicht das Hausaufgabenheft voll“. Aber sie habe „die Kraft, den Einzelnen mit seiner Freiheit zu konfrontieren“.

Man darf gespannt sein, wie die Diskussionen um Krieg und Frieden und über alle weiteren Themen in unserer polarisierten Gesellschaft und Öffentlichkeit verlaufen werden. Hoffentlich getreu der diesjährigen Losung: „Mutig, stark, beherzt“, aber friedlich. Dazu hilft es, sich ins Gedächtnis zu rufen, aufgrund welches Bibeltextes die Losung ausgewählt wurde. Er steht im 1. Korintherbrief, Kapitel 16, Verse 13 und 14. Dort steht: „Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark! Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!“ Und die Liebe, so heißt es wenige Kapitel vorher (13,13), sei die „größte von allen“ – größer sogar noch als Glaube und Hoffnung.

 

 


 

[1] Margot Käßmann, „Seid mutig und stark – Es ist an der Zeit Haltung zu zeigen“, bene!-Verlag, München 2025, S. 65 f.

 

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