Erfüllter Traum

Elisabeth Cruciger gilt als erste Liederdichterin der evangelischen Kirche
Gesangbuch
Foto: zeitzeichen

Trotz des von Martin Luther propagierten Priestertums aller Gläubigen war das öffentliche Predigtamt auch in der Reformationszeit den Männern vorbehalten. Luther konnte sich die öffentliche Predigt von Frauen nur bei Katastrophen wie dem Tod aller Männer im Krieg vorstellen. Trotzdem gab es sie, die Frauen, die das Predigtamt für sich reklamierten. Manche nur in ihren Träumen.

Von Elisabeth Cruciger (1505–1535) wird berichtet, sie habe geträumt, sie hätte in der Kirche in Wittenberg gepredigt. Als sie ihrem Mann davon erzählte, meinte er: „Vielleicht will euch der liebe Gott für würdig erachten, dass eure Gesänge, mit denen ihr zu Hause immer umgeht, in der Kirche sollen gesungen werden.“

Gesungen hat die in einem Kloster aufgewachsene Elisabeth von Meseritz gerne. Als Tochter einer märkisch-pommerschen Adelsfamilie wurde das zwischen 1504 und 1505 geborene Mädchen früh dem weiblichen Zweig des Prämonstratensorden anvertraut.

Vermutlich erreichte die reformatorische Lehre den Frauenkonvent über das in der Nachbarschaft liegende Männerkloster Belbuck. Dort wirkte der 1509 zum Priester geweihte Johannes Bugenhagen (1485–1558). Das neuentdeckte Evangelium, die alleinige Autorität der Bibel und die Rechtfertigung aus Gnade fanden über ihn auch Einlass in das nahegelegene Frauenkloster Marienbusch. Als Bugenhagen 1521 sein Theologiestudium in Wittenberg aufnahm, brach das Ende der beiden Klöster in Belbuck und Marienbusch an. Da Elisabeth von Meseritz das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht hatte, ist zu vermuten, dass sie ihre Profess mit dem Sprechen der feierlichen Gelübde noch nicht abgelegt hatte und somit keine Nonne war, obwohl sie in manchen Texten so bezeichnet wird.

Sie verlässt das Kloster und trifft 1522 in Wittenberg bei Familie Bugenhagen ein. Bugenhagen war mittlerweile Pfarrer der dortigen Stadtkirche. Als zweiter der Wittenberger Theologen hatte er Walpurga, geborene Rörer (1500–1569) geheiratet.

Genau in diesem Jahr – 1522 – hatte Luther sein Traktat zum ehelichen Leben verfasst. Er lobt darin die Ehe als einen von Gott gewollten Stand und verurteilt das Gelübde der Keuschheit als widernatürlich. Die ehemalige Klosterschülerin Elisabeth von Meseritz hört davon. Als sie im Hause Bugenhagen dem in Leipzig geborenen Studenten Caspar Cruciger (1504–1548) begegnet, sind sich die beiden rasch einig, so dass Martin Luther das Paar im Juni 1524 trauen kann. Für den vor der Kirchentür vollzogenen Trauakt hat Luther das erste nach evangelischen Grundsätzen veränderte Trauformular abgefasst. Einem von Georg Spalatin (1484–1545) verfassten Protokoll ist zu entnehmen, dass der Bräutigam noch nicht Doktor und gerade erst 20 Jahre alt war.

Gelehrte Tafelrunden

Als Pfarr- und Professorenfrau hat Elisabeth Cruciger einen großen Haushalt mit studentischen Freitischen und gelehrten Tafelrunden zu führen. Sie bekommt zwei Kinder und stirbt nach nur zehnjähriger Ehe am 2. Mai 1535 im Alter von 30 Jahren.

Crucigers Lied „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“ steht im Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 67. Mit diesem Lied hat die Dichterin der Nachwelt eines der innigsten Reformationslieder hinterlassen. Es ist das erste Jesuslied der evangelischen Kirche und steht als Wochenlied für den letzten Sonntag nach Epiphanias im liturgischen Kalender.

Obwohl Luther Elisabeth Cruciger sehr schätzte und die Popularität des Liedes auf ihn zurückgeht, war es ihm nicht möglich, eine Frau als Liederdichterin ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken. Erstmals erschien das Lied ohne Nennung der Verfasserin bereits 1524. Nachfolgend gibt es Gesangbücher, die ihren Namen nennen, und andere, die ihn nicht nennen. Seit Ende des 16. Jahrhunderts erscheint das Lied durchgängig mit dem Namen der Liederdichterin.

Die fünf Strophen des Liedes berühren sich mit den neutestamentlichen Christusliedern, den altkirchlichen Glaubensbekenntnissen und den frühen lateinischen Hymnen. Kurze, prägnante Aussagesätze kennzeichnen den Redestil. Vergleichbar mit dem von den Reformatoren hochgeschätzten Kollektengebet ist das Lied ein inhaltsreiches Gebet.

Mit ihrem Lied hat die im Kloster aufgewachsene Elisabeth Cruciger der Nachwelt einen Text hinterlassen, der mittelalterliche Mystik und reformatorische Evangeliums­predigt miteinander verbindet.

Ihr Traum ist längst in Erfüllung gegangen. Mit dem Lied hat Elisabeth Cruciger nicht nur in der Schlosskirche in Wittenberg gepredigt, sie predigt noch heute in jedem Gottesdienst, in dem das Lied gesungen wird.

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Foto: privat

Adelheid von Hauff

Adelheid von Hauff arbeitet als Lehrerin für Evangelische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

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