Laut und deutlich wird in beiden großen Kirchen in Deutschland in öffentlichen Stellungnahmen, Publikationen und selbstverständlich auch Predigten dem Rechtsradikalismus widersprochen, wo er sich in Wort und Tat derzeit Bahn bricht. Anfang des Jahres 2024 formulierten die römisch-katholischen Bischöfe eine einhellige Ablehnung des Rechtsextremismus und rieten von der Wahl der AfD aus guten christlichen Gründen ab. Die Evangelische Kirche schloss sich diesem Votum an. Wer nicht völlig antikirchlich verstockt ist und zumindest gelegentlich konfessionelle Medien konsumiert, weiß um das vielfältige Engagement der Kirchen gegen Rechtsradikalismus, sei es in der Jugendarbeit und Erwachsenenbildung, durch Bündnisarbeit und nicht zuletzt auch durch die finanzielle Unterstützung von Opferberatungen.
Dieses lobenswerte und in unserer Gesellschaft notwendige Wirken der Kirchen, auf das sich bisweilen andere gesellschaftliche Akteure angesichts der sinkenden finanziellen und organisationalen Möglichkeiten der Kirchen allzu sehr verlassen, stellt jedoch mit Blick auf die weltweite Ökumene und die kirchliche Zeitgeschichte eine Ausnahme von der Regel dar. Es ist eine Lehre, die von den Kirchen in Deutschland aus ihrer eigenen Schuldgeschichte gezogen wurde. Diese Lernbewegung ist keineswegs abgeschlossen. Weltweit sehen wir zudem, dass christliche Kirchen viel häufiger auf der Seite derer stehen, die sich für Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen einsetzen, und sie Allianzen mit rechtsradikalen Akteuren eingehen. Rechtsradikale Ideen werden biblisch begründet und heiliggesprochen. Papst Franziskus bezeichnete dieses gemeinsame Agieren der extremen christlichen Rechten im Jahr 2018 nicht umsonst als eine „Ökumene des Hasses“. An solchen Allianzen wird derzeit besonders in den USA und in Russland gearbeitet, von wo aus die Blicke immer wieder auch auf das „alte Europa“ fallen.
Vor diesem Hintergrund finden Auseinandersetzungen zwischen Rechtsradikalen und Demokraten auch in den Kirchen hierzulande statt. Sonja Angelika Strube beschreibt sie in ihrem Buch Rechte Versuchung: Bekenntnisfall für das Christentum kenntnisreich und pointiert. Strube gehört zu den wenigen deutschsprachigen Expert:innen auf dem Themenfeld. In Rechte Versuchung bündelt sie nun Erträge langjähriger Recherchen und Untersuchungen zu zahlreichen Akteur:innen der christlichen Rechten – und gibt guten Rat, wie mit ihnen und ihren Positionen in den Kirchen umgegangen werden sollte.
Auch wenn die katholische Theologin Strube, die unter anderem als Privatdozentin an der Universität Osnabrück lehrt, sich im Buch vor allem mit katholischen Akteur:innen der extremen Rechten befasst, ist die Lektüre auch für Protestant:innen lohnenswert, allzumal wenn sie in der Bildungsarbeit oder in seelsorglichen Kontexten beschäftigt sind, in denen Opfer rechtsradikaler Politik, Propaganda und Gewalt im Fokus stehen. Auch ökumenische Verknüpfungen verschiedener extrem rechter Akteure und Organisationen zeichnet Strube nach.
Das Herz des Buches schlägt jedoch nicht in der beeindruckenden Materialsammlung und im Nachvollzug von Debatten der vergangenen Jahre: All das dient dem Ziel, Christ:innen und Kirchen heute zu befähigen, reflektierend auf die eigenen Verstrickungen und ideologischen Gefahrenherde zu reagieren sowie erfolgreich für Demokratie und Menschenwürde und gegen Rechtsradikalismus – auch in den eigenen Reihen – einzutreten. Denn das Schweigen gegenüber rechtsradikalen Botschaften und das höfliche Akkommodieren von Akteur:innen der christlichen Rechten trotz all der bischöflichen und kirchenamtlichen Deutlichkeit benennt Strube zu Recht als Probleme in Gemeinden und Werken der Kirchen in Deutschland. Dem hält sie eine theologisch fundierte und umfassend informierte Handlungsanleitung zum Bessermachen entgegen.
Philipp Greifenstein
Philipp Greifenstein ist freier Journalist sowie Gründer und Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur „Die Eule“: https://eulemagazin.de