Dieses wunderbare Hörbuch trägt den Untertitel „Wie der Sommer 45 die Welt veränderte“. Im Erzählton setzt Julian Mehne ein: „Als Harry am späten Vormittag des 7. Mai 1945 durch die Flure seines neuen Zuhauses geht, beschleicht ihn das Gefühl, auf hoher See zu sein.“ Kurz darauf erfährt der Hörer, dass es sich nicht um irgendeinen jungen Mann handelt, sondern um Harry Truman, den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Wenn selbst der mächtigste Mann der Welt meint, nicht auf sicherem Boden zu stehen, ist der Grundton für die nächsten sechs Vorlesestunden gesetzt: Die ganze Welt erlebt einen Umbruch, wofür die Kapitulationen Deutschlands und Japans zeichenhaft stehen. Und von Anfang an wird diese Unsicherheit durch die Stimme des Vorlesers unterstrichen. Dabei ist er äußerst modulationsfähig. Wenn er Tagebucheintragungen der Berlinerin Else Tietze vorliest, wird schon durch seine Stimme deren Distanz zur Kapitulation deutlich. Ganz anders trägt er die Selbstsicherheit Winifred Wagners vor, die sich noch am 2. Juni 1945 zu ihrer Freundschaft mit Adolf Hitler bekennt.
Der Autor hat eine Fülle von Originaldokumenten aus den ersten Nachkriegsmonaten zusammengetragen, die von Japan nach Frankreich, von Amerika bis nach Deutschland reichen. Er zitiert aus Vereinbarungen der Siegermächte und aus Briefen kriegsgefangener Deutscher. Er teilt mit, welches Entsetzen der Abwurf der ersten Atombombe auslöst und was sowjetische Besatzungssoldaten aus Berlin nach Hause schreiben. Er zitiert aus statistischen Angaben über Bevölkerungszahlen, über wiedereröffnete Kinos und über Lebensmittelrationen. Durch die Vortragsweise Julian Mehnes und durch klug gesetzte Pausen wird das Zuhören nie anstrengend oder gar langweilig.
Jürgen Israel
Jürgen Israel ist Publizist und beratender Mitarbeiter der "zeitzeichen"-Redaktion. Er lebt in Neuenhagen bei Berlin.