Vivaldis Vier Jahreszeiten haben immer Konjunktur. Das Booklet dieser Doppel-CD preist sie als die am meisten eingespielte klassische Musik überhaupt an, hebt aber auch hervor, dass diesem Zyklus immer eine etwas plakative Verspieltheit anhängt. Deswegen begibt sich jede Generation neu auf die Suche nach einem Beweis wahrhaftiger Tiefe, der offensichtlich nötig scheint, weil der Herzensfreude misstraut oder aber anhand eines geistigen Schlüssels ein Mehrgewinn erhofft wird, der eine neue Aufnahme rechtfertigt. So auch der junge französische Geiger Théotime Langlois de Swarte, der mit seinem Orchestre Le Consort seine Vivaldi-, speziell seine Vier-Jahreszeiten-Liebe gleich doppelt grundiert.
Zunächst hört Théotime Langlois de Swarte in Vivaldis Jahreszeiten unsere Lebensalter: von der Geburt im Frühling – strahlend in E-Dur – bis zum Winter, der zunächst noch in Es-Dur, nach Mattheson die Tonart des Gebets, klingt und schließlich in der Todestonart f-Moll endet. Mit der Tonartensymbolik öffnet er das Tor der Spiritualität und verbindet Leben und Klang spannungsreich in den Wettern über aller Landschaft in metaphysischer Diktion. Dank großer Orchesterbesetzung gelingt das unterstützend mit einem Klangpanorama, in dem die Welten zwischen Vogelgezwitscher und Gewitterstürmen dynamisch imposant ausmusiziert werden.
Darüber hinaus hat de Swarte aber noch ein weiteres Fenster geöffnet, indem er im Oeuvre Vivaldis und seiner Zeitgenossen nach Werken gesucht hat, die die jeweilige Jahreszeit spiegeln oder kontrastreich steigern. Besonders beeindruckend sind dabei die „Danze da Nuova e curiosa scuola de’ balli teatrali“ von Gregorio Lambranzi (vor 1 700–1750), die in der Rhythmik Parallelen zum Werk Vivaldis offenbaren und hier mit ungeheurer Vitalität und Verve musiziert werden. Alle höfisch ziselierte Akkuratesse wird hier mit espritreichem Spiel auf eine lebendig bebende Tanzdiele verlagert, und die Post geht ab. Dass es auch auf himmlischen Zehenspitzen geht, beweisen Orchester und Sopranistin Julie Roset mit der Arie aus der Motette „Nulla in mundo pax sincera“ (RV 630), die wie ein großer Trost dem Winter angefügt ist und von Julie Roset mit betörend federleichter Klarheit und warmem, weichem Timbre gesungen wird.
Schade, dass diese beiden geistigen Zugänge nur bedingt in die direkte Dramaturgie der CD einfließen – denn statt des Wechselspiels zwischen den einzelnen Jahreszeiten und den Komplementärwerken ist doch erst der ganze Zyklus zu hören, ehe die Vergleiche nachgereiht Raum haben. Die direkte Verschränkung hätte dem noblen Spiel de Swartes und der geradezu perfekten Ausbalancierung des Ganzen die pulsende Prise des Unerwarteten geschenkt.
Klaus-Martin Bresgott
Klaus-Martin Bresgott ist Germanist, Kunsthistoriker und Musiker. Er lebt und arbeitet in Berlin.