Verkürzte Kausalketten

Willkommen in der Kirche des größten gemeinsamen Nenners
Foto: privat

Just diesen März 2025 veröffentlichte die EKD auf ihrer offiziellen Website ein Thesenpapier mit dem schönen Titel „Christliche Perspektiven für unser gesellschaftliches und politisches Miteinander“ (siehe Kommentar in der April-Ausgabe). Anlass zu dem Thesenpapier scheint der dramatische Rechtsruck nach der Bundestagswahl allemal zu bieten. Zur Begründung der Veröffentlichung des Thesenpapiers wird unter anderem geschrieben: „Denn auch in ihren eigenen Reihen finden sich Populismus und Menschenfeindlichkeit.“

Da liegt die Frage nahe: Wie haben Christ*innen denn gewählt? Wer auf Zahlen, Daten, Fakten von Seiten der EKD diesbezüglich hofft, wird enttäuscht. Stattdessen kleidet sich die EKD in Floskeln: Miteinander statt „Wir“ und „Die“, auf den Menschen schauen, Vertrauen, Mut, Zuversicht … das liest sich ganz wunderbar, nicht wahr? Worthülsen, denen die so genannten „Christen in der AfD“ sicher auch zustimmen würden.

Und genau das ist das Problem: Dass die öffentlich vertretene Linie des „größten gemeinsamen Nenners“ offensichtlich fehlgeschlagen ist, spiegelt sich zum Beispiel ganz aktuell in den Statistiken zum Wahlverhalten von Protestant*innen bei der letzten Bundestagswahl im Februar 2025. Laut einer Aufschlüsselung der „Forschungsgruppe Wahlen“ landet bei protestantischen Wähler*innen die CDU/CSU bei 29 Prozent und die AfD bei 20 Prozent.

Von der Basis entfernt

Mit anderen Worten: Von allen protestantischen Wählenden entschied sich ein Fünftel für eine faschistische Partei. Damit bekam die AfD sogar aus dem protestantischen Lager leicht mehr Zustimmung als aus dem katholischen. Und in der hohen Zustimmung für die CDU/CSU wird gleichsam eine Partei unter Protestant*innen stärkste Kraft, die zuletzt vor allem mit Polemisierung gegen „unkontrollierte Migration“ Wahlkampf betrieb. „Miteinander statt Wir und Die“? Das Gegenteil spiegelt sich im Wahlverhalten der eigenen Gemeinschaft.

Abgesehen von fehlender Bezugnahme zu Erhebungen christlichen Wahlverhaltens, versäumt es die EKD darüber hinaus, konkret auf die gefährliche Pervertierung christlicher Ethik durch die sogenannten „Christen in der AfD“ einzugehen. Ich verzichte an dieser Stelle darauf, deren krude Herleitungen „sittlicher Qualität“ zu reproduzieren. Was auch immer man nun an Wahlerhebungsinstituten und -verfahren kritisieren kann: Offensichtlich schafft es die AfD, eine christliche Wähler*innenschaft in nicht unerheblichem Maße zu erreichen und zu mobilisieren. Nun tut die EKD so, also würde sich konkludent aus einer „christlich geleiteten Wertehaltung“ und der „Botschaft Jesu“ ein liberales Wahlverhalten ergeben. Dem ist offensichtlich nicht so!

Wo die AfD mit ihren Grundlinien für Christen als „politisch aktive Bürger“ die Interpretation der Bibel für ihre Anhänger gleich mitliefert, lässt die EKD lieber durch die Blume Hannah Arendt und Paul Tillich für sich sprechen. Es ist an dieser Stelle keine gewagte Analyse: Die EKD hat sich (nicht nur dank ihrer Art akademischer Referenzialität) vermutlich genauso von ihrer Basis entfremdet wie die Demokraten in Deutschland und anderswo auf der Welt.

Eine Vermeidungshaltung

Das Thesenpapier bietet weitere Beispiele misslungener Kommunikation: „Angstfrei, freudig, vertrauensvoll, unverzagt – so ist bei aller berechtigten Sorge und Angst der christliche Blick auf die Welt.“ Nur leider findet sodann keine kritische und konkrete Auseinandersetzung mit dieser „berechtigten Sorge und Angst“ statt. Oder: „Dabei geht es nicht darum, mit dieser Haltung andere zu belehren. […] Jede Christin, jeder Christ steht daher Tag für Tag vor der Aufgabe, eine Haltung der Vernunft […] zu praktizieren.“

Jetzt frage ich Sie, liebe Lesende, ob Sie schon einmal versucht haben, jemanden von bedingungsloser Nächstenliebe zu überzeugen, weil ja jede andere Haltung unvernünftig wäre. Das Thesenpapier – durchzogen von Komplexitätsreduktionen, Kontradiktionen und verkürzten Kausalketten – steht symptomatisch für eine Vermeidungshaltung der evangelischen Kirche. Darüber empfinde ich ernsthaftes Bedauern. Ich wünsche mir seit Langem eine aktive, politisch engagierte Kirche, eine evangelische Kirche, die Stellung zu kontroversen Meinungen nimmt, die sich nicht isoliert und außerhalb von politisch-ethischen Verflechtungen wahrnimmt, auch konkreten Bezug zu anderen Institutionen, Parteien et cetera nimmt, die sich nicht zufrieden gibt mit Floskeln und im Inneren wegschaut, wenn auf einmal „unvertretbare“ Meinungen vertreten werden.

Kirche befindet sich in einer Demokratie in permanentem Wettbewerb und einem offenen Aushandlungsprozess mit und über konkurrierende Weltbilder. Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit der eigenen Position sind zentral. Mir scheint oft, dass die Evangelische Kirche in Deutschland gar nicht genau weiß, wie politisch sie sein möchte, wie viel Pluralität sie bei heißen Themen wie „Waffenlieferungen“ zulassen möchte. Kurz: wie viel Realpolitik und Transparenz sie ihren Mitgliedern zutrauen möchte.

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