Integer, fromm und eigenwillig

Vor 500 Jahren starb Luthers Beschützer, Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen
Friedrich der Weise (Sir Peter Ustinov im Spielfilm „Luther“, 2003) mit Reliquiensammlung im Schloss Wittenberg.
Foto: NFP/Rolf von der Heydt
Friedrich der Weise (Sir Peter Ustinov im Spielfilm „Luther“, 2003) mit Reliquiensammlung im Schloss Wittenberg.

Warum Friedrich der Weise Martin Luther nicht fallenließ, sondern ihn mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung in der Reichspolitik und seiner Autorität als Kurfürst unterstützte, gehört zu den Rätseln der Reformationsgeschichte. Der Leipziger Kirchenhistoriker Armin Kohnle zeichnet zum 500. Todestag das Bild eines Mannes, der Luther gegen Kaiser und Papst beschützte und damit der von Wittenberg ausgehenden Reformation Raum und Zeit verschaffte.

Es kommt nicht häufig vor, dass man sich nach fünf Jahrhunderten noch an einen Fürsten erinnert, der in seiner langen Regierungszeit keinen Krieg geführt, keine Schlachten geschlagen und keine Länder erobert hat. Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen zwischen 1486 und 1525, war ein solcher Politiker, den man nach seinem Tod am 5. Mai 1525 nicht als großen Feldherrn, sondern als den Friedreichen im Gedächtnis behielt. Vor allem aber erinnerte man sich an ihn als den Weisen, als den Gründer der Universität Wittenberg und als denjenigen, der Martin Luther gegen Kaiser und Papst beschützte und damit der von Wittenberg ausgehenden Reformation Raum und Zeit verschaffte, um ihre Kirche und Welt verändernde Wirkung zu entfalten.

Als Friedrich 1486 Kurfürst wurde, lastete eine schwere Hypothek auf seiner Herrschaft. Sein Vater Ernst und sein Onkel Albrecht hatten im Jahr zuvor in Leipzig das wettinische Territorium geteilt. Dies bedeutete nicht nur eine machtpolitische Schwächung, sondern war auch Quelle zahlloser Konflikte zwischen Ernestinern und Albertinern, die mühsam durch Verhandlungen entschärft werden mussten. Standen Friedrichs Finanzen durch die Silbervorkommen im Erzgebirge auf einer soliden Grundlage, war seine territoriale Basis eher bescheiden. Nach dem Willen des Vaters teilte sich Friedrich die Herrschaft zudem mit seinem jüngeren Bruder Johann, später der Beständige genannt. Üblicherweise funktionierten solche Konstruktionen nicht, aber Friedrich und Johann harmonierten. Der Jüngere ordnete sich dem Älteren unter, musste 1513 in einer Verwaltungsteilung der ernestinischen Gebiete aber größere Verantwortung übernehmen. Da Friedrich unverheiratet blieb, wuchs Johann in die Rolle des Nachfolgers und Fortsetzers der ernestinischen Linie hinein.

Der junge Friedrich hatte äußerlich noch nichts gemein mit dem übergewichtigen alten Herrn, der uns in den Porträts Lucas Cranachs des Älteren und Albrecht Dürers aus seinen letzten Lebensjahren entgegentritt. Friedrich war sportlich und gutaussehend, liebte das Turnier und die Jagd, war ausdauernd im Reiten und unermüdlich in der täglichen Verwaltungsarbeit. Bis ins hohe Alter praktizierte er eine kraftraubende Reiseherrschaft. Seine Energien flossen aber nicht nur in die Regierung des eigenen Landes, sondern er stand über viele Jahre im Dienst des Königs, des Habsburgers Maximilian I.

Friedrich gelang das diplomatische Kunststück, die Balance zu halten zwischen Loyalität zum König und Wahrung seiner kurfürstlichen Standesinteressen. An den Bemühungen um eine Reichsreform, die auf eine stärkere Beteiligung der Fürsten an der Herrschaft des Reiches hinauslief, war Friedrich an prominenter Stelle beteiligt. 1507 machte ihn Maximilian zu seinem Generalstatthalter. Spätestens jetzt war der Sachse der zweite Mann im Reich. Sicherlich gab es Phasen der Frustration über den Habsburger, der in Gelddingen notorisch unzuverlässig war, der bei Friedrich tief in der Kreide stand und der sich nicht von seinen dauernden Kriegen um eine europäische Vormachtstellung seiner Familie abbringen ließ. Aber zu einem Zerwürfnis ist es nie gekommen.

Gewählter König

Als Maximilian I. 1518 daran ging, seine Nachfolge zu regeln, war es Friedrich, der auf einer rechtskonformen Wahl nach den Bestimmungen der Goldenen Bulle bestand. Anders als seine Mitkurfürsten, ließ er sich nicht bestechen und auf
Maximilians Enkel Karl als König und künftigen Kaiser festlegen. Als Maximilian im Januar 1519 starb, war die Nachfolgefrage deshalb offen. Allen Versuchen, den Sachsen durch Argumente und Versprechungen schon im Vorfeld der Königswahl auf einen der drei Bewerber zu verpflichten – neben dem Spanier Karl bewarben sich auch die Könige von Frankreich und England um die Kaiserkrone –, widerstand Friedrich. Er konnte eigensinnig sein, wenn man ihn zu etwas bewegen wollte, was er nicht für richtig hielt.

Und so verlief die Wahlhandlung in Frankfurt am Main im Juni 1519 tatsächlich in den traditionellen Formen. Eine erst in jüngerer Zeit entdeckte Quelle bestätigt, was die bisherige Forschung nicht immer ernst genommen hat: Als sich die Kurfürsten am 27. Juni 1519 zur Wahl zurückzogen, wurde der Kurfürst von Sachsen zum römischen König gewählt. Doch Friedrich lehnte unter Hinweis auf sein Alter und seine Krankheit ab, was den Weg für eine zweite Wahl freimachte, aus der der Habsburger Karl als König hervorging. Friedrich ist also nicht in die Reihe der römischen Könige und Kaiser aufzunehmen, aber er war gewählt, was man in Sachsen nie vergessen hat. Im Bild Friedrichs des Weisen, wie es in Sachsen noch über Jahrhunderte tradiert wurde, spielte die Wahl zum Kaiser eine wichtige Rolle. Nie lag ein wettinisches Kaisertum so nahe wie im Frühsommer 1519. Aber Friedrich war weise genug, sich nicht darauf einzulassen. Er wusste, was er und sein Land tragen konnten und was nicht. Der neue Kaiser Karl V. wiederum wusste, was er Friedrich zu verdanken hatte.

Für einen Menschen des ausgehenden Mittelalters waren die Verwurzelung im christlichen Glauben, die Treue zur Kirche und die Befolgung religiöser Vorschriften die Normalität. Friedrichs Frömmigkeit kam jedoch von Herzen. Die Formen waren durch und durch traditionell. Friedrich förderte das geistliche Leben in seinem Land, wandte viel Geld für fromme Stiftungen auf, besuchte Wallfahrtsorte, hörte jeden Tag die Messe. 1493 ging er auf Pilgerreise in das Heilige Land und ließ sich am Heiligen Grab in Jerusalem zum Ritter schlagen – ein Höhepunkt in seinem Leben, an den er sich auch 30 Jahre später noch genau erinnerte.

Da die Universität Leipzig in der Leipziger Teilung an die Albertiner gefallen war, gründete Friedrich 1502 in Wittenberg eine eigene Landesuniversität, die nicht nur Juristen und Ärzte, sondern auch Theologen für den Dienst im Kurfürstentum heranbilden sollte. Um Wittenberg zu einem geistig-geistlichen Zentrum zu machen, strapazierte Friedrich seine Finanzen. Das Schloss und die Schlosskirche wurden aufwendig erneuert, die Liturgie am Allerheiligenstift prächtig ausgestaltet. Auch den Aufbau der großen Reliquiensammlung, des berühmten Wittenberger Heiltums, ließ sich Friedrich viel Geld kosten, betrieb er doch über Jahre eine gezielte Ankaufspolitik, die den Wittenberger Reliquienschatz zu einer der größten Sammlungen ihrer Art werden ließ. Unter diesen Umständen war es naheliegend, dass Friedrich seine und die Grablege der ernestinischen Familie in Wittenberg verankerte.

Ein guter Geschmack

Auch wenn sich der eine oder andere „renaissancehafte“ Zug an Friedrich dem Weisen beobachten lässt, wird man ihn doch nur unter Vorbehalt als Renaissancefürsten bezeichnen können. Ja, dieser Kurfürst förderte einige hochrangige Künstler an seinem Hof, am nachhaltigsten Lucas Cranach. Er liebte die Musik und förderte die Gelehrsamkeit. Humanisten widmeten ihm Schriften. Aber Friedrich selbst war kein Humanist. Er wurde nicht „der Weise“ genannt, weil er eine besondere Bildung genossen hätte, sondern weil er eine kluge Politik betrieb. Er hatte die Erziehung eines dynastischen Thronfolgers genossen, zu der auch die Anfänge des Lateinischen gehörten. Aber wichtiger waren höfische Formen, war der Umgang mit Pferden und Waffen. Beim Bauen achtete er auf Zweckmäßigkeit. Dieser Kurfürst hatte einen guten Geschmack, manches hat er sich am Hof König Maximilians abgeschaut. Auch Friedrich legte Wert auf eine positive Außendarstellung, war modebewusst und achtete auf sein Image. Dabei verlor er aber nie den Sinn dafür, was er sich leisten konnte und was nicht.

Als Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen über die Kraft der Ablässe an die Tür der Wittenberger Allerheiligenstiftskirche anschlug, begann auch für Friedrich eine neue Zeit. Denn es dauerte nicht lange, bis die Luthersache in das Zentrum seiner Politik rückte. Warum der traditionelle spätmittelalterliche Christ diesen Theologen nicht fallenließ, sondern ihn mit dem ganzen Gewicht seiner jahrzehntelangen Erfahrung in der Reichspolitik und seiner Autorität als Kurfürst beschützte, gehört zu den Rätseln der Reformationsgeschichte. Einfache Antworten verbieten sich. Friedrich war weder ein früher Anhänger der Theologie Luthers noch der distanziert-neutrale Landesherr, dem es lediglich um den Schutz seiner jungen Universität und um den Ruf seines Landes ging. Vielmehr ist eine Entwicklung zu beobachten, die den Kurfürsten Stück um Stück einem evangelischen Verständnis des Christentums näherbrachte.

1518 setzte die kursächsische Di­plomatie ein, die man treffend als „Lutherschutzpolitik“ bezeichnet hat. Ihr Ziel war es, eine Verurteilung der Lehre Luthers durch den Papst zu verhindern und, als dies nicht gelang, Luther vor den Folgen des Kirchenbanns in Schutz zu nehmen. Friedrich war sich des Risikos dieser Politik bewusst und versuchte, sich durch Argumente und ein entsprechend vorsichtiges Verhalten aus der Schusslinie zu bringen. Den direkten Kontakt mit Luther vermied er und übertrug die Kommunikation an Georg Spalatin, dessen Parteinahme für Luther ihm natürlich bekannt war. Lediglich während des Wormser Reichstags von 1521 sahen sich der Kurfürst und der Reformator Aug in Auge, allerdings vor Kaiser und versammelten Reichsständen. Die Verhängung der Reichsacht gegen Luther konnte Friedrich nicht verhindern, wohl aber, dass ihm das Wormser Edikt zugestellt wurde. Hier zahlte sich aus, dass Karl V. ihm noch etwas schuldig war. An seiner Politik, Luther gegen alle Widerstände nicht auszuliefern, hielt der Kurfürst bis zu seinem Lebensende fest, auch wenn der Reformator ihn immer energischer drängte, zu einer aktiven Förderung der Reformation überzugehen. Dies zu tun, war der eigenwillige Friedrich aber nicht bereit.

Von Krankheit geprägt

Friedrichs letzte Monate, die er überwiegend in seinem Jagdschloss Lochau verbrachte, waren von Krankheit und Schmerzen geprägt. In seinem am Todestag diktierten Testament bedachte er seine langjährige Lebensgefährtin, deren Namen wir nicht kennen, und seine überlebenden Kinder. Dann nahm er das Abendmahl in evangelischer Weise unter beiderlei Gestalt des Brotes und des Weins – ein Bekenntnis zur Lehre Luthers auf dem Sterbebett. Friedrichs Leiche wurde nach Wittenberg überführt und in einer zweitägigen Zeremonie am 10. und 11. Mai 1525 in der Allerheiligenstiftskirche beigesetzt. Grabplatte und Epitaph zeugen auch heute noch vom Leben und Wirken dieses bedeutenden Kurfürsten, dessen Weisheit das Gesicht Sachsens, des Reiches und Europas für immer veränderte. Friedrichs Werk zu vollenden und die Reformation aktiv durchzusetzen, blieb jedoch seinem Bruder und Nachfolger Johann überlassen. 

 

Literatur

Armin Kohnle: Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen (1463–1525). Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2024, 391 Seiten, Euro 29,90.

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Foto: privat

Armin Kohnle

Dr. Armin Kohnle ist Professor am Lehrstuhl für Spätmittelalter, Reformation und territoriale Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig.

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